Ein Licht für die Welt

Ayutthaya ist die alte Königsstadt, die siebzig Kilometer nördlich von Bangkok liegt. Sie wird auch Stadt der tausend Tempel genannt, weil dort ungewöhnlich viele Tempel und Tempelruinen zu sehen sind, wenn auch nicht gerade tausend, es sind dreihundertsiebzig. Man könnte also jeden Tag einen anderen oder die Ruine davon besuchen.

Die Stadt wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts bei kriegerischen Auseinandersetzungen von den Burmesen zerstört, was zur Folge hatte, dass die Thais im heutigen Bangkok eine neue Hauptstadt errichteten. So viel zur Geschichte, die wohl hinreichend bekannt ist.

Buddha im neuen Gewand

Wir waren bei unserem Besuch überwältigt von der historischen Anlage und wurden im größten Tempel der Altstadt rein zufällig Zeuge einer außergewöhnlichen Zeremonie. Die riesige, goldene Buddhastatue wurde von einem guten Dutzend Mönche neu eingekleidet, mit einer orangenen Robe, wie sie sie selbst tragen. Zwei Mönche saßen auf Buddhas Schultern, ein paar weitere in seiner Armbeuge und auf den Schenkeln. Die anderen bildeten eine Kette, die zu Füßen der Statue begann und reichten die Stoffballen hoch. Das Prozedere vermittelte den Eindruck, als wäre genau rituell festgelegt, wer hier was wie zu tun hatte.

Trotz der vielen Pilger, die zu Füßen der Statue herumschlenderten, stehen blieben und gebannt nach oben blickten, war es ungewöhnlich still, wie bei einer Andacht. In einer Nische wurden buddhistische Devotionalien feilgeboten, das Tuch zur Einkleidung der Statue konnte stückweise erworben werden und wurde dann an einen Mönch weitergereicht.

Keiner zu klein, erleuchtet zu sein

Nach einer Weile begann ich mich in den Nebengebäuden und der übrigen Tempelanlage umzusehen. Am Ende des Rundgangs trat ich wieder auf den Platz vor dem Haupttor. Gleich neben dem Eingang war zur Linken eine kleine Kapelle mit einem Altar zu sehen, auf welchem eine Mönchsfigur im Lotussitz saß. Eine Inschrift in goldenen Lettern wies ihn als einen Erleuchteten aus dem Reich der Mitte aus, der hier verehrt wurde. Auf dem Altar, der auch reich mit Goldornamenten verziert war, standen zahlreiche Gefäße mit Opfergaben. Die Statue selbst wurde von zwei riesigen Kerzenhaltern flankiert, aber nur in einem loderte eine kleine Flamme, von der eine dünne, schwarze Rauchsäule aufstieg.

Ich war eben im Begriff, die Inschrift zu lesen, als ich etwas Warmes, Weiches an meiner Hand spürte. Ein fünf- bis sechsjähriger Thai-Bub sah lächelnd unter seiner pechschwarzen Tolle zu mir hoch, drückte meine Hand noch fester, als er mein Erstaunen sah und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Statue. Gleich darauf versuchte er mich wegzuziehen, in eine andere Richtung, zum Tempel hin.

Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, ließ ihn aber gewähren und ging zögernd ein paar Schritte mit. Er redete ununterbrochen auf mich ein, steuerte auf eine hölzerne Abschrankung zu, die entlang der Tempelmauer verlief und zeigte auf ein Gestell dahinter, auf welchem eine Schachtel voller Kerzen lag, wie sie vor buddhistischen Kultstätten zu sehen sind. Sie war ganz oben, außerhalb seiner Reichweite. Endlich fiel bei mir der Groschen: Klar, er wollte die fehlende Kerze vor der Statue ersetzen, aber war das sein Job? Und war es meiner? Drohte mir eine späte Karriere als Tempel-Sigrist in Ayutthaya?

Dann fasste ich mir ein Herz, stieg auf einen Stuhl, holte eine der großen, braunen Kerzen aus der Schachtel und reichte sie ihm. Er lief damit weg, wartete vor dem Altar wieder auf mich und zeigte auf die Kerze, die noch brannte. Nun war auch das klar: Ich hob ihn hoch, er hielt die Kerze an die Flamme der anderen und steckte sie in die Halterung. Ein Licht für die Welt!

Endlich berühmt

Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn in jenem Augenblick, als ich die Kerze aus der Schachtel genommen habe, ein Tempeldiener aufgekreuzt wäre und die Sache publik gemacht hätte, was die Boulevardpresse dankbar etwa so kolportiert hätte:

BILD: „Schweizer Tempelschänder in flagranti ertappt – es drohen 30 Jahre Knast“.

BLICK: „Unser Tempelräuber in Thailand – wollte er die AHV aufbessern?“.

KRONE: „Schlimmer als Fritzl – Schweizer verführt Buben zum Tempelklau!“.

DER FARANG hält sich bedeckt und informiert im Falle meiner unfreiwilligen Absenz diplomatisch:

„Die Kolumne ‚Thailand Mon Amour‘ wird auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Der Autor arbeitet an einem Buchprojekt über die Zustände in thailändischen Haftanstalten. Um sich ein authentisches Bild davon zu machen, ließ er sich inkognito als Häftling einweisen. Das Buch wird wohl sehr umfangreich werden und es ist nicht mit einer Publikation vor 2035 zu rechnen. Leser, die unter Entzugserscheinungen leiden, können nochmal die alten Kolumnen lesen.“


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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