A trip on the wild side

Das Leben in einer Villa fernab vom Lärm der Stadt, umgeben von allem denkbaren Luxus und eigenem Pool, scheint der Traum vieler betuchter Expats zu sein. Dienstbare Geister sind im Haus und Garten zugange, sogar die Mahlzeiten können frei Haus geliefert werden, wenn die Köchin mal unpässlich ist. Vielleicht gibt es bald eine App, welche anstelle des Besitzers ein Fitnessprogramm abspuhlt und für ihn auf die Toilette geht. Es bleibt also nur noch eine Herausforderung: Wie geht man mit dem ewigen „Dolce far niente“ um? Kann man sich zwanzig, ja dreißig Jahre ausruhen, ohne dass einem im Paradies der Himmel auf den Kopf fällt oder der Horror vacui die Sinne vernebelt?

Jeder hat so seine eigene Strategie, diesen Gefahren zu entgegnen, so auch Tony, ein gestandener Pensionär in den 60ern, der es einfach mal wieder krachen lassen wollte und nur noch auf einen Vorwand wartete, um seine Pläne in die Tat umsetzen zu können. Vielleicht wollte er auch dem drohenden Lockdown wegen Covid zuvorkommen und sich gewissermaßen „auf Vorrat“ amüsieren.

Genug vom Dolce far niente

Ein Zerwürfnis mit seiner Thai-Freundin kam da wie gerufen. Da sie ihrerseits bereits aktiv geworden war und mit der Luxuskarrosse das Weite gesucht hatte, bestellte er ein Taxi und ließ sich nach Downtown Hua Hin chauffieren, um in den Bars im einschlägigen Quartier nach dem Rechten zu sehen.

Die ersten zwei, drei Stunden fühlten sich wie ein Jungbrunnen an. Er war jetzt nicht mehr der Tony, sondern der „handsome man“, wie er von den Damen unisono genannt wurde. Tony glaubte nach jedem Bier, jedem Whiskey ein bisschen mehr, in Wirklichkeit Brad Pitt zu sein, „more handsome“ geht auch in Thailand nicht.

Brad Pitt in Downtown Hua Hin

Es kam, wie es kommen musste: Zur Geisterstunde sah Tony nur noch Gespenster und wurde von den Damen gegen reichlich Entgelt dem erstbes­ten Taxifahrer anvertraut, der ihn nach Hause hätte bringen sollen. Es gab da aber ein kleines Problem: Brad, der jetzt wieder der Tony war, hatte vergessen, wo er wohnte und konnte dem Fahrer nur ungefähr die Richtung weisen, oder besser lallen, in einer Sprache, die er für Englisch hielt.

Der Fahrer gab sein Bestes und fuhr in jede erdenkliche Himmelsrichtung in der Hoffnung, dass sein Passagier irgendwann einen lichten Moment hätte und sich erinnern würde, aber es war hoffnungslos. Irgendwann gab er auf, hielt vor einem herrschaftlichen Haus in der Vorstadt und bat ihn auszusteigen. Tony weigerte sich und soll – nach Darstellung des Fahrers – handgreiflich geworden sein, worauf er ihm eine harmlose Ohrfeige verpasst haben soll und aus dem Wagen beförderte. Wie Tony es geschafft hatte, wegen einer harmlosen Ohrfeige zu einer Platzwunde zu kommen, wird wohl das Geheimnis der beiden Streithähne bleiben.

Jedenfalls stand er blutüberströmt am Eingang des erwähnten herrschaftlichen Hauses, das er für ein Hotel hielt, in welchem er die restliche Nacht verbringen wollte. Da er keine Klingel fand, begann er am vergitterten Eingangstor zu rütteln, um dem Nachtportier den Marsch zu blasen. Es erschien bald darauf tatsächlich ein Uniformierter, oder besser gesagt zwei, die ihm Handschellen anlegten und in den Streifenwagen bugsierten. Das herrschaftliche Haus war auch kein Hotel, sondern das Amtsgericht, der Court von Hua Hin. Errare humanum est.

Eine Prise Knast gefällig?

Als Tony am anderen Morgen erwachte, fühlte sich seine gewohnte, komfortable Federkernmatratze ungewöhnlich hart an. Der Grund war eine gefühlte Ewigkeit später klar: Er schlief auf der Pritsche der Ausnüchterungszelle im Polizeipräsidium. Immerhin war er nicht allein. Ein Drogenkurier aus Myanmar und ein Herr aus Laos mit unbestimmtem Leistungsausweis leisteten ihm Gesellschaft. Der sprachlichen Verständigung waren damit enge Grenzen gesetzt, was hier kommunizierte waren nur die Gerüche von Menschen, die seit Tagen keine Dusche mehr gesehen hatten.

Tony versuchte sich zu erinnern. Natürlich war dies alles nur ein bedauerliches Versehen, das sich bald in Minne auflösen sollte. Er war auch bereit, die Entschuldigungen der Polizei großzügig anzunehmen, sobald er wieder auf freiem Fuß war.

Zwei Stunden später wurde er dem Haftrichter vorgeführt. Tonys Freundin war auch da, sie versuchte ihm als Dolmetscherin klar zu machen, dass der Taxifahrer Klage eingereicht hatte und Schadenersatz verlangte. Bis die Sache vor dem Gericht verhandelt würde, müsse er leider in Untersuchungshaft verbleiben.

Das Gericht tagte drei Tage später. Eine mehrköpfige Untersuchungskommission, die für ein beträchtliches Sitzungsgeld dem tatsächlichen Sachverhalt nachzuspüren versuchte, empfahl eine Buße und eine Wiedergutmachung in einer Höhe, die den Ausflug ins Sündenbabel nachträglich vergoldete ¬– für den Fahrer und für die Staatsgewalt.

Tony durfte seine Villa behalten. Er hatte jetzt nur noch ein Problem: Er geriet in Erklärungsnot, wenn ihn seine Nachbarn nach dem Grund für sein plötzliches Abtauchen fragten. Statt irgendwelche Auskünfte zu geben, machte er eine vage Handbewegung in Richtung Unterstadt und zwinkerte dazu, was die Gerüchteküche erst recht einheizte. Man vermutete hinter seiner braven Fassade ein amouröses Doppelleben, um das ihn nun jederMANN heimlich beneidet und insgeheim beschließt, es auch mal wieder krachen zu lassen.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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