Der erste Influencer

Wenn ich damals am frühen Morgen erwachte, hütete ich mich, ein Fenster zu öffnen, da ich fürchtete, von der Nachbarschaft in unseren Privatgemächern ausgespäht zu werden.

Ein Frühstück im Garten war ein Wagnis und bei einem Nacktbad um Mitternacht im Pool wäre ich von einer Infrarotkamera erfasst worden und hätte mich Stunden später in den Boulevardgazetten abgebildet gesehen. Ich konnte das Haus nicht mehr ohne Personenschutz verlassen und musste mich inkognito im öffentlichen Raum bewegen. Es war ratsam, nur belangloses Zeug von mir zu geben und nur mit Leuten zusammen gesehen zu werden, die nie einen über den Durst getrunken, gekifft oder laut gelacht hatten. Ich lebte in diesem Hochsicherheitstrakt mit imaginären und wirklichen Mauern aber nicht allein.

Meine Frau wurde auch auf Schritt und Tritt verfolgt und beäugt. Man wusste genau, in welchen Shops sie einkaufte, welche Markenklamotten sie trug, was sie gerade wo aß und wieviel Trinkgeld sie gegeben hatte.

Hervorragende Neurotiker

Wir mussten die Kinder am Morgen mit einer Limousine mit abgedunkelten Fensterscheiben ins sündhaft teure College chauffieren lassen und haben sie dort unter falschen Namen eingeschrieben. Die Tochter hieß Hinz, der Sohn Kunz. Man hat sie zu hervorragenden Neurotikern ausgebildet, die in den Pausen auf dem Schulhof regelmäßig verprügelt wurden, weil sie ihr Ecstasy nicht mit den anderen teilen wollten. Meine Kinder sind wunderbare Egoisten geworden. Wenn ich gerade Lust habe, bin ich stolz auf sie.

Nun, das sind tempi passati. Ich war damals berühmt und ich erinnere mich genau wofür. Ich wollte berühmt um des Berühmtseinswillen werden, das will heute jeder, aber ich war der Erste. Die NZZ würde schreiben: Er war ein Influencer “avant la lettre”! Das hört sich edel an, zu edel vielleicht, aber es passt zu mir, damit kann ich leben.

Was sich heute Influencer nennt ist nur ein billiger Abklatsch von dem, was ich vorlebte, bzw. nicht lebte. Und sie setzen die Akzente genau verkehrtherum. Sie lassen jeden Furz auf Video bannen, machen hier einen kleinen Ausfallschritt und nennen es „Schaman-Dancing“ (mit Yolanda) oder gähnen dort in die Kamera und nennen es „Yawn-Yoga“ (mit Sepp Kama Sutra)!

Ich tat aber gar nichts und wurde deshalb berühmt, das soll mir mal einer nachmachen! Alle vermuteten einen beinharten Workaholic hinter der Fassade und wollten herausfinden, was ich wirklich tat, aber da war nichts, einfach nichts, ich war nur damit beschäftigt berühmt zu sein. Ehrlich!

Mehr als Alles

Ich hatte denselben Coach wie ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten und der hämmerte mir immer wieder ein:

„Lass das Nichts als Alles erscheinen, mach aus Garnichts mehr als Alles.“

„Ok“, antworte ich. „Aber wenn sie herausfinden, dass ich Kolumnen schreibe?“

„Das ist weniger als nichts, aber sie könnten es falsch auslegen und meinen, dass es etwas sei, also lass das bleiben, deine Glaubwürdigkeit wäre dahin, der Nimbus verflogen, Flasche leer und du hast fertig.”

Groupies an der Pforte

Aber das sind wie gesagt: Tempi passati. Heute als Rentner lasse ich es ruhiger angehen, obwohl dies in Anbetracht meiner Laufbahn schwierig ist. Der Rummel hat sich gelegt, die paar Groupies – alles ältere Damen – die noch vor dem Gartenzaun auftauchen, sind eigentlich weniger wegen mir da, als wegen den nostalgischen Gefühlen, die mein Zuhause weckt.

Auch den Personenschutz konnten wir entlassen, meine Frau hat das übernommen. Die Bewährungsprobe hat sie glänzend bestanden. Als wir kürzlich den Supermarkt in Downtown Hua Hin verließen, löste sie sich plötzlich von meinem Arm und begann auf einen jungen Mann einzuprügeln, der sich auch fluchtartig von dannen trollte. Ich war am meisten überrascht, sie gehört zu den sanftmütigsten Wesen, die mir je begegnet sind.

Was war passiert? Der dreis­te Jüngling hatte sich an meiner Ledertasche zu schaffen gemacht und war dabei, den Geldbeutel herauszuwursteln. Ich habe in meiner traumwandlerischen Art nichts davon bemerkt und war wohl in Gedanken bei der nächsten Kolumne. Meine Frau beließ es aber nicht bei den Hieben, sie hat dem Dieb nachgesetzt und ihn mit dem Handy abfotografiert – zuhanden der Polizei! Echt wahr.

Mir kann eigentlich gar nichts mehr passieren, das ist wohl die „Déformation professionelle“, die ich als Influencer „avant la lettre“ mit ins Grab nehmen werde. Es bleibt aber ein Trost: Auch dahin werde ich mich nicht selbst bewegen, da bleibe ich konsequent. Auf dem Grabstein wird stehen: Er tut, was er tat, er ruht.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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