Auch die Wissenschaft interessiert sich inzwischen für das Leben der Expats in Pattaya. Der Ethnologe, Wirtschafts- und Regionalwissenschaftler Dr. Gunnar Stange erschien Ende März im deutschen Begegnungszentrum (BZ) in Naklua und bat darum, Besucher im Rahmen einer standardisierten Umfrage interviewen zu dürfen. Es handelte sich um Fragen zum Gesundheitszustand, zu Nutzung und Bedarf an medizinischen Leistungen und Pflegedienstleistungen ausländischer Rentner in Thailand. Er versicherte, die Befragungen seien anonymisiert, man könne offen sprechen und niemand könne namentlich zurückverfolgt werden. Das Interesse war riesig. In nur sieben Tagen nahmen eine Frau und 29 Männer an der Befragung teil, die im Schnitt 45 Minuten dauerte. Im Interview mit Wolfgang Rill berichtet Herr Stange über seine Arbeit und seine Eindrücke:
Bitte berichten Sie kurz über Ihre Person:
Geboren bin ich 1978 in Berlin Mitte, noch in die DDR hinein. Ich studierte zunächst an der Universität Passau Sprachen, Wirtschafts- und Kulturstudien für die Region Südostasien in den Jahren 2000 bis 2006, arbeitete dann für verschiedene Entwicklungsprojekte in Indonesien und organisierte mit Freunden Stipendienprojekte für Schüler/-innen nach dem Tsunami 2004. Promoviert habe ich im Fach Ethnologie an der Goethe-Universität in Frankfurt/ Main im Jahr 2015. Zurzeit bin ich wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent in der Humangeographie an der Universität Wien und arbeite zu Migrationsprozessen in Südostasien. Mein zweites Standbein ist die Psychotherapie, in der ich gerade eine Ausbildung absolviere.
Wozu sollen die Befragungen dienen?
Es handelt sich um ein Forschungsprojekt der thailändischen Mahidol-Universität in Salaya bei Bangkok in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Eine japanische Universität ist ebenfalls beteiligt. An der Mahidol-Universität habe ich derzeit eine Gastprofessur inne. Das Geld für die Untersuchungen kommt über die thailändische Universität letztlich vom thailändischen Staat. Ziel ist es, das Wissen über die Lebenssituation von Menschen, die ihren Lebensabend vorwiegend in Thailand oder nur in Thailand verbringen, zu verbessern. Dabei ist ein Schwerpunkt die Erforschung der Gesundheitsfürsorge. Versicherungsfragen, Krankenhausbehandlungen und Fragen zu einer eventuellen Pflegebedürftigkeit spielen eine Rolle. Dazu gibt es bisher noch wenig spezielles Wissen. Später sollen die Ergebnisse in Form von Fachaufsätzen veröffentlicht und allgemein zugänglich gemacht werden, also allen interessierten Parteien zur Verfügung stehen.
Was hat Sie persönlich am meisten interessiert?
Lebenswege der Menschen, Kontakte ins Heimatland, wie die Menschen in Thailand „angekommen“ sind – solche Dinge interessieren mich nicht nur persönlich, sondern sind auch für die Interpretation der statistischen Daten bedeutsam. Viele Gespräche gingen weit über den standardisierten Fragebogen hinaus. Interessant war beispielsweise, dass einige der Befragten sich in Deutschland geschmäht fühlen, weil sie nach Thailand gingen. Andere berichteten, dass sie in die thailändische Gesellschaft kaum integriert seien und hier in einer Art Kokon lebten. Für die Integration von Immigranten und Immigrantinnen könnte und müsste in Thailand wesentlich mehr getan werden, da dies natürlich auch Auswirkungen auf die Gesundheit hat.
Wie war das Gesprächsklima bei den Befragungen?
Alle Gespräche waren sehr angenehm und offen. Ein großer Vorteil für mich war der Kontakt zum deutschsprachigen Begegnungszentrum (BZ) in Naklua. Die Leiter des Zentrums, Herr Hirsekorn und Pfarrer Leuschner, unterstützten mich sehr und ich hatte keine Mühe, Interviewpartner zu finden. Etwa zehn Leute musste ich gar nicht ansprechen, sie kamen von sich aus auf mich zu. Insgesamt scheint es da ein großes Mitteilungsbedürfnis zu geben nach dem Motto: „Endlich kommt mal einer der nachfragt und zuhört“. Neben vielen positiven Perspektiven auf das Leben in Thailand hörte ich auch von prekären Lebenslagen, wie z. B.: Leben in Pattaya ohne bzw. mit nicht ausreichend abdeckender Krankenversicherung, geringe Rente, Unfall mit dem Motorbike, Krankenhauskosten von etwa 10.000 Euro. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie tragfähige Lösungen für solche prekären Situationen aussehen könnten?
Was erhoffen Sie sich von den Ergebnissen?
Ich denke, dass nach unserem Projekt mehr Wissen über die Expat-Communities in Thailand für alle zur Verfügung steht. Staat, Kirchen, NGOs und andere werden hoffentlich darauf zurückgreifen. Eine Hoffnung ist, dass unser Projekt dazu beiträgt, die Themen „medizinische Versorgung und Pflege für sowie Integration von Ausländern“ in Thailand prominenter zu platzieren. Hier gibt es großen Nachholbedarf. Umfassende Versicherungslösungen, freiwillige Integrationskurse zu Recht, Alltag und Kultur in Thailand, Angebote von Sprachkursen und vielerlei andere Maßnahmen wären denkbar. Ich selbst hoffe, dass ich im nächsten Jahr für einen ganzen Monat zu einer vertiefenden Studie nach Pattaya zurückkehren kann.
Danke für dieses Gespräch