Der Zölibatär – und andere Erzählungen

Wolfram Reda im Gespräch mit Meinhard Haslinger

Wolfram Reda (r.): „Am Ende sind mir alle meine Figuren sympathisch, auch die Bösewichte“.
Wolfram Reda (r.): „Am Ende sind mir alle meine Figuren sympathisch, auch die Bösewichte“.

PATTAYA: Seit einigen Jahren schreibt Wolfram Reda, ehemaliger Leiter des Begegnungszentrums Pattaya (BZP), lesenswerte Erzählungen zu psychologischen und sozialen Themen – wie über einen Pfarrer, der sich des Missbrauchs schuldig macht – über einen Esoteriker, der die Bodenhaftung verliert – über den Weg der Asche einer verstorbenen drogenabhängigen Schwester – um nur einige Themen zu nennen. Leicht und flüssig lesen sich Wolframs lebendige und bilderreiche Geschichten. Empathisch sind die Beschreibungen seiner Protagonisten und die Beweggründe ihres Handelns. Hier wirft jemand einen etwas anderen Blick auf viel diskutierte menschliche und gesellschaftliche Probleme. Es ist der Blick eines erfahrenen Psychologen und bekennenden Humanisten.

Wolframs Erzählungen sind frei zugänglich auf der Homepage des BZP unter „Literarisches“ (bzp.life/main/literarisches). Hier finden sich Texte weiterer Autoren, thailändische Sagen sowie ein Porträt der „Schreibwerkstatt“.

Meinhard: Wir sitzen hier im schönen Garten des BZP, um über deine Erzählungen zu sprechen. Seit wann schreibst du Literarisches?

Wolfram: Mein erstes Gedicht habe ich mit zehn Jahren verfasst. Es erntete einen Verriss von höchster Stelle. Meine Eltern meinten, es sei zu konservativ, zu wenig avantgardistisch. Ich hatte mich an Wilhelm Busch orientiert. Erzählungen schreibe ich, seit ich wegen meiner Erblindung nicht mehr musizieren kann.

M.: Was treibt dich an zu schreiben?

W.: Mir kommen Personen, Szenen, Dialog-Fetzen in den Sinn. Dann finde ich ein Thema, zu dem ich schreiben möchte. Als Autor bin ich der Liebe Gott: Ich kann alles so arrangieren, wie ich es will.

M.: Deine Geschichten entwickeln sich spontan?

W.: Das gilt für den Anfang einer Erzählung. Wenn sie erst einmal läuft, folgt sie ihren eigenen Gesetzen. Am Ende sind die Personen oft ganz anders, als ich sie mir anfangs vorgestellt hatte. Die Handlung nimmt einen anderen Verlauf – und ich habe viele neue Erkenntnisse über mein Thema gewonnen.

M.: Du hast mir erzählt, dass du zu deinen Figuren eine emotionale Beziehung entwickelst und dich am Ende nur schwer von ihnen verabschiedest.

W.: In meiner Phantasie rede ich mit meinen Figuren, und ich beobachte, wie sie sich in den Situationen, in denen sie vorkommen, verhalten. Ich möchte sie gern verstehen – wie ich auch reale Menschen gern verstehen möchte. Am Ende sind sie mir sympathisch, auch die Bösewichte.

M.: Deine Erzählungen entwickeln sich oft in einem ruhigen Tempo. Sie wirken ausgewogen und harmonisch. Besteht da ein Zusammenhang mit dem Musiker, der du früher einmal warst?

W.: Das mag sein. Als Fagottist habe ich am liebsten Barockmusik geblasen. Damals herrschte das ästhetische Prinzip, dass Kunstwerke ausbalanciert zu sein hatten – auch wenn das, was sie darstellten, höchst dynamisch war. Vielleicht hat mich dieser Stil geprägt.

M.: Verglichen mit anderen, schreibst du in einem eher traditionellen Stil.

W.: Ja. Ich hasse jede marktschreierische Effekthascherei. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Fußballspiel kommentiere oder eine Geschichte über religiöse Erfahrungen schreibe. Der Stil muss zum Inhalt passen und zu der Situation, in der ich erzähle.

M.: In deinen Geschichten beschreibst du vielfältige Formen der Sexualität. Welche Bedeutung hat die Sexualität in deinen Erzählungen?

W.: Sexualität ist eine wundervolle Gabe. Ich möchte dazu beitragen, dass wir die Sexualität aus ihrer schambehafteten Schmuddel-Ecke herausholen und sie von ihrer Verquickung mit Macht und Gewalt befreien. Es gibt keine gleichgültige sexuelle Begegnung – auch in Pattaya nicht. Es sei denn, man ist total abgestumpft. Das möchte ich deutlich machen.

M.: Im „Zölibatär“ beschreibst du einen sympathischen Pfarrer, der in einer naiv-schwärmerischen Unbefangenheit sexuelle Übergriffe begeht. Ist das nicht allzu verharmlosend?

W.: Nein. Wir müssen unterscheiden zwischen Verständnis und moralischem Urteil. Beim „Zölibatär“ kommt etwas anderes hinzu: die Kirche, die ihm die Lebensumstände diktiert wie dies kein anderer Arbeitgeber darf, trägt wohl ein erhebliches Maß Mit-Schuld am Fehlverhalten des Priesters. Er ist sympathisch, man kann sein Fehlverhalten verstehen, und trotzdem ist er schuldig.

M.: In zwei deiner Geschichten üben dominante Ehefrauen psychische und physische Gewalt aus gegen hilflos reagierende Partner. Was läuft schief in diesen Beziehungen?

W.: Es besteht das Vorurteil, dass Gewalt in Familien zumeist von Männern ausgeübt wird. Als Psychologe habe ich in Beratungsgesprächen oft festgestellt: Häusliche Gewalt geht mindestens ebenso oft von Frauen aus. Die Gewalt der Frauen sieht anders aus, ist aber ebenso zerstörerisch. Meine neueste Geschichte „Gespräch und Zärtlichkeit“ widmet sich diesem Thema.

M.: Vielen Dank für das Gespräch, Wolfram.

Biographisches

Wolfram Reda, geboren 1940, wuchs im Ruhrgebiet in einer Kirchenmusiker-Familie auf. Er studierte Psychologie, Germanistik und Philosophie und war danach als Betriebspsychologe, Psychotherapeut, Lehrer und Dozent tätig. Daneben trat er als Fagottist mit verschiedenen Orchestern – wie auch solistisch – auf. Beim Aufbau des Begegnungszentrums, das er von 2011 bis 2017 ehrenamtlich leitete, hat er sich grosse Verdienste erworben. Neben der organisatorischen Leitung lag ihm besonders am Herzen, das kulturelle Angebot auszuweiten. Hier initiierte er nicht nur diverse Gruppen, er leitete etliche davon auch selbst – und das bis heute. Aktuell sind es der Chor des Zentrums sowie ein Gesprächskreis zu psychologisch-philosophischen Themen.

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