Homo pedalensis vulgaris

Es ist einfach in Hua Hin aufzufallen. Du fährst mit dem Velo ein paarmal durch die Stadt und schon hast du Kultstatus. Jedermann ist sich hier bewusst, dass du einer aussterbenden Spezies angehörst, dem „Homo pedalensis vulgaris“, oder auf gut Deutsch: dem gemeinen Velofahrer. Mit „gemein“ ist wohlverstanden nicht „hinterhältig“ gemeint, sondern „gewöhnlich“, was aber auch irreführend ist, denn es ist ja ungewöhnlich hierzulande.

Aber der langen Rede kurzer Sinn: Ein Velofahrer ist hier der Alibi-Panda. Man weiß, dass es ihn gibt, aber man sieht ihn nur selten und wenn, dann umfährt der Thai ihn respektvoll und erzählt zu Hause von ihm. Der Vater: „Ich habe heute so einen… Dings… ähm... auf zwei ähm… auf Rädern ähm… gesehen...“ Worauf der fünfjährige Sohn ihm ins Wort fällt und sagt: „Einen Radler, Papa...?! Hast du wirklich einen gesehen... ist er aus dem Zoo ausgebrochen?“

Die Gründe für das langsame Dahinsiechen des H.p.v. sind in erster Linie der unkontrollierten Vermehrung des hundsgemeinen Töffs, oder der vierrädrigen Panzerechse zu verdanken. Es kommt auch hinzu, dass er selten eine Artgenossin kreuzt (!), was ihn – auch hier drängt sich ein Vergleich mit den Pandas auf – schlicht vergessen lässt, was sich bei jedem anderen aufdrängen würde.

Ein Parcours der heimtückischen Art

Selbstredend ist auch das natürliche Biotop des H.p.v. hier nicht artgerecht, mal abgesehen davon, dass ihn die Hie­rarchie auf den Verkehrswegen an den Straßenrand verweist, wo die Schlaglöcher groß genug sind, um ihn diskret in der Kanalisation verschwinden zu lassen. Die Straßenrinnen haben exakt das Profil eines Veloreifens – einmal darin gefangen, bringst du eher die Straße weg, als das Rad.

Ich spreche aus Erfahrung: Eine Strecke, die ich so gut wie meine Hosentasche zu kennen glaubte, hatte sich über Nacht in einen Parcours der heimtückischen Art verwandelt, weil der Asphalt von einem nächtlichen Gewitter unterspült worden war und sofort unter dem Vorderrad nachgab. Immerhin weiß ich jetzt, was ein schwarzes Loch ist und wie man sich darin fühlt.

Ein Dummy mit Perücke?

Ich war gerade dabei, mich aufzurappeln, als knapp neben mir eine Limousine größerer Bauart hielt und sogleich zu hupen begann, dass Gott erbarm. Es waren aber nicht die Trompeter von Jericho, sondern eine dauergewellte Blondine älterer, vermutlich europäischer Bauart, die wie hypnotisiert über das Lenkrad hinweg auf die Straße starrte. Ich muss ihr irgendwie im Weg gewesen sein und sie dachte wohl, dass ein Hupkonzert den Schädling am ehesten von ihrer Karosse fernhalten würde. Ich wischte den Staub von der Hose und trollte mich. Die Dauerwelle glitt an mir vorbei, den Blick immer noch strikt nach vorne gerichtet. Vielleicht war es ein selbstfahrender Tesla mit einem Dummy drin. Aber tragen die Perücken?

Ganz anders die Thais. Sie wissen inzwischen offenbar, was Artenschutz bedeutet und gehen pfleglich mit den letzten Mohikanern um. Ich stieg vor einiger Zeit beim Supermarkt schwungvoll aufs Rad und trat… ins Leere. Die Kette war draußen, ein Bild des Jammers, in welches ich mich nahtlos fügte. Was jetzt? Über der Kette war auch noch ein Schutzblech, das aussah, als wolle es nicht die Kette schützen, sondern diese vor mir, dem passionierten Velomechaniker mit zwei linken Händen. Ich versuchte ein bisschen an der Pedale zu drehen und hoffte, dass sie auf gut Glück wieder einrasten würde. Denkste! Eher gewinnst du im Lotto.

Ich war gerade dabei, aufzugeben und mich auf den Weg zu machen, als ein junger Thai zu mir trat und sich mit einem Lächeln daran machte, die Kette einzufädeln. Er griff geschickt unter das Blech, hantierte ein bisschen herum und – Abrakadabra – die Sache war geritzt.

Ich starrte auf seine brandschwarzen Hände und war sprachlos. Meine Gefühlslage war aber zwiespältig: einerseits hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil er mir so selbstlos half, andererseits war ich froh, dass ich nicht seine Hände hatte. Ich packte das Portemonnaie aus und streckte ihm einen Hundertbaht-Geldschein entgegen. Der Mann lehnte mit einer Handbewegung ab. Was sagst du jetzt?


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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