Karaoke

Zugegeben: Karaoke kannte ich nur vom Hörensagen. Das Wort schmerzte in meinen Ohren derart, dass ich dabei spontan an eine japanische Folterkammer dachte. Nach flüchtigen Infos kam ich der Sache näher, aber es blieben Fragen: Singt der Sänger nur scheinbar zu Playback wie die Stars in den Shows, oder was?

In Thailand durfte ich erfahren, dass sie tatsächlich singen, Reisen bildet eben doch. Aber der Bildungsweg war anstrengend und vor allem lautstark. Und: Es gab kein Entrinnen, Karaoke sollte zu meinem Schicksal werden.

Hilfe, ein Trio Infernal

Das Verhängnis brach über mich herein, als ich es am wenigsten erwartete: in einem Restaurant in Bangkok, das für seine Thaiküche bekannt war. Eine musikalische Zugabe stand nicht auf der Speisekarte. Mitten im Dinner installierte sich ein Trio infernal auf einer kleinen Bühne und begann auch sogleich aus einem bizarren Repertoire traditioneller und moderner Musik zu spielen, dass mir Hören und Sehen und auch gleich noch der Appetit verging.

Nach einiger Zeit watschelte ein beleibter, untersetzter Chinese auf die Bühne, flüsterte einem der Männer etwas ins Ohr, worauf die Band die ersten Takte von Sinatras „I did it my way“ oder was sie dafür hielt, intonierte.

Der Chinese umklammerte das Mikrofon mit beiden Händen, als würde sein Leben davon abhängen und „sang“ aus tiefster Seele mit einer Fistelstimme, die sich gelegentlich überschlug, aber das konnte man als künstlerische Freiheit durchgehen lassen. Schlimmer war, dass ich ihn „on his way“ notgedrungen begleiten musste. In der Fachsprache nennt man das Kollateralschaden.

Als er den letzten Akkord niedergerungen hatte, baute sich eine noch rundlichere, kleine Chinesin – wahrscheinlich seine Ehefrau – vor der Bühne auf, an welche er das Micro rasch weiterreichte. Vielleicht fürchtete er, dass ich – der einzige Farang unter den Zuschauern – aus Rache die Bühne betreten und die chinesische Nationalhymne karaoken würde.

Stattdessen stürzte ich den mordssauren Wein hinunter und flüchtete ins Hotelzimmer. Karaoke? Bestimmt nie wieder.

Karaoke in der Belle Epoque

Am anderen Tag machte ich mich zusammen mit Lin auf die Suche nach einem Restaurant und dies war klar: Es durfte auf keinen Fall eines mit Karaoke sein, man ist ja lernfähig, n‘est-ce pas?

Wir wählten ein Lokal mit großzügiger Architektur, ein bisschen Belle Epoque, das an ein Theater erinnerte. Ein riesiger, samtener Vorhang lief mitten durch den Raum, um ihn in zwei kleinere aufzuteilen, was mehr Intimität versprach. Lin hatte ein paar Freundinnen aus ihrer Studienzeit in Bangkok eingeladen, die Anzahl blieb unklar, ich erwartete zwei oder drei, am Ende waren es dann zwölf.

Wer nie mit zwölf Thaifrauen an einem Tisch gesessen hat, sollte sich das so vorstellen:

Du sitzt mitten im Urwald bei einsetzender Morgendämmerung und lässt dich von einer exotischen Geräuschkulisse berauschen, einem Stimmengewirr, in welchem du dein eigenes Wort nicht mehr verstehst, welches hier allerdings überhaupt nicht gefragt ist. Du bist nicht Jesus mit zwölf Jungfrauen, die an deinen Lippen hängen und du verstehst nicht einmal Bahnhof, aber es ist unheimlich lebhaft nach dem Muster:

Lasst uns miteinander reden, aber nicht nacheinander. Das ist viel lustiger so. Da kann sich jede einbringen, keine bleibt außen vor und am Ende geht man glücklich auseinander. Die Philosophie dahinter: Es muss gar nicht um etwas gehen. Es genügt vollkommen, dass wir zusammen waren. Wunderbar.

Schweigen im Auge des Taifuns

Ok, ich saß schweigend im Auge des Taifuns und war gerade dabei, mich gemütlich darin einzurichten, als eine andere Naturgewalt ihre Drohkulisse aufbaute. Die Vorzeichen waren furchteinflößend, denn die Thaidamen schwiegen wie auf Kommando, wandten den Kopf zur Seite und blickten auf den Vorhang, welcher sich einen Spaltbreit öffnete, dann ein bisschen mehr, der Rand einer Bühne wurde sichtbar und in deren Mitte thronten drei lächelnde Musiker in glitzernden Uniformen: die Karaokeband. Danke Buddha.

Als ich mich vom ersten Schrecken erholt hatte, irrte mein Blick im Lokal umher, weil ich fürchtete, das chinesische Ehepaar von gestern unter den Gästen zu entdecken. Überwältigt von ihrem Erfolg mussten sie doch in allen Karaokebars von Bangkok unterwegs sein, oder wollten sich für eine Autogrammstunde in Pose setzen.

Sie waren nicht da, dafür fing ich den besorgten Blick von Lin auf. Sie fürchtete wohl, dass ich den restlichen Abend an der Cocktailbar verbringen würde und ergriff die Flucht nach vorn:

Sie betrat entschlossen die Bühne.

Wie sieht ein Fragezeichen aus, das sich als Mensch verkleidet hat? So etwa muss ich aus der Wäsche geschaut haben. Sie flüsterte der Band etwas zu und sang dann mit glasklarer Stimme ein thailändisches Liebeslied, den Blick andauernd auf das Fragezeichen gerichtet.

Da muss ich wohl beschlossen haben, sie zu heiraten.

Danke Karaoke.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Helmut Fritz 29.08.19 13:26
Diese Erfahrung habe ich so oder so ähnlich ebenfalls gemacht. Und inzwischen, wenn ich das Wort Karaoke nur höre, bekomme ich auf der Stelle Ohrenbluten. Aber die Thais lieben den Applaus vielleicht noch mehr als alle anderen Menschen dieser Welt. Deshalb kann ihr Wissen (besser gesagt ihre Ahnung) um ihre minimalen Xangs-Qualitäteten - im Gegensatz zu uns - sie nicht davon abhalten, die Bretter, die die Welt bedeuten, zu erobern: Heute könnte ja der Tag sein, an dem ich zwei aufeinanderfolgende Töne richtig treffe....
Diese Hartnäckigkeit gepaart mit vollkommen fehlendem Genierer kommt ja auch nicht von ungefähr: Denn 9 von 10 Thais, die es bis ins TV bringen und als Stars der Stunde abgefeiert werden, können genauso wenig singen, wie mein Nachbar. Oder dessen Göttergattin. Oder sein Hund. Papagei. Goldfisch......