Die Kobraflüsterer

Manchmal holt dich das Abenteuer dort ab, wo du es am wenigsten erwartest: in einem Resort etwa, das man für einen Friedhof halten könnte, hätten die Grabsteine da keine Fenster und wären ein bisschen zu groß geraten. Hier herrscht so viel Friede, dass das Gezwitscher eines übermütigen Jungvogels als Ruhestörung wahrgenommen wird. Da kann einer schon üben wie es ist, wenn er auch den Ruhestand hinter sich gebracht hat.

Ein Freund hat diese Herausforderung mutig angenommen und wohnt jetzt da. Als er einmal eine Weile verreisen musste, bat er mich, während seiner Abwesenheit nach seinen Katzen zu schauen und die Pflanzen zu gießen. Meine Eignung als Katzenflüsterer hatte ihn beeindruckt, seit eines seiner Tiere bei einem Dinner auf den Tisch sprang und ich ihm etwas ins Ohr „flüsterte“, das es zusammenzucken und das Weite suchen ließ. Es wird nie mehr an meinem Filetsteak schnuppern. Einen grünen Daumen habe ich zum letzten Mal als Vierjähriger gehabt, als ich im Kindergarten eine Wiese malte.

Mit diesen berauschenden Qualifikationen ausgestattet fuhr ich also jeden Tag mit dem Rad hin und gab mein Bestes. Mit der Zeit stellte sich eine gewisse Routine ein, bis wir an einem Samstagmorgen - meine Tochter begleitete mich - am Gartentor erwartet wurden.

„There is a snake...a cobra!“ rief sie und stellte sich schutzsuchend hinter mich. (Vermutlich wird sie später behaupten, dass es umgekehrt gewesen sei). Es war tatsächlich eine Kobra, sie hatte sich ein paar Meter weiter schon in ihrer typischen Angriffstellung positioniert und wog den Kopf leicht hin und her, als wolle sie sagen: „Komm her Alter, du bist doch sicher auch ein Kobraflüsterer.“

Nebenjob als Fakir?

Von Flüstern konnte natürlich keine Rede sein. Abhauen war das Gebot der Stunde. Wir fuhren zum Eingang, störten den Resortwärter in seiner Siesta auf und gingen gemeinsam zurück. Der Mann hatte sich mit einem Bambusrohr bewaffnet, aber mir war es ein Rätsel, was er damit bezwecken wollte. Er kniete sich in gebührendem Abstand vor die Kobra hin, stöberte sie mit der Stange ein bisschen auf und begann mit ihr herumzuspielen. Wieso hat er nicht gleich eine Flöte mitgenommen und sie zum Tanzen gebracht, dachte ich. Hat er vielleicht noch einen Nebenjob als Fakir und tritt in Nightclubs auf?

Die Wahrheit war prosaischer: Er wusste nicht, was zu tun war und wollte sie auch nicht erschlagen mit der Begründung, dass er am Morgen im Tempel gebetet habe und kein Tier töten dürfe. Das war zu respektieren, brachte uns aber auch nicht weiter. Ich hoffte bloß, dass die Schlange auch im Tempel gewesen war und niemand, auch keinen Farang, drangsalieren dürfe.

Dann wurde ich auf einen Mann aufmerksam, der sich im Garten des Nachbarn zu schaffen machte. Ich ging zu ihm hin, machte mit dem Arm eine Schlangenlinie in der Luft und rief: „Nguu... Nguu...!“ und zeigte dabei auf das Haus. Er schien nicht gleich zu verstehen was ich meinte, was nachvollziehbar ist, denn so wie ich es ausgesprochen hatte, konnte es auch „Nuu“, also „Maus“ bedeuten. Vermutlich hat er sich für „Maus“ entschieden, denn als er die Kobra erblickte, sprang er in Panik auf die Gartenmauer und von dort auf die höchste Säule beim Tor, zückte sein iPhone und wird sich wohl inzwischen auf YouTube als Kobraflüsterer feiern lassen unter dem Titel: „Aug’ in Aug’ mit einer Königskobra!“

Eine Totale des Schauplatzes hätte nun folgendes Bild gezeigt: Im Vordergrund ein Mädchen, das sich hinter einem Gebüsch versteckt und einem Uniformierten beim Spiel mit einer Schlange zuschaut, und gleich über ihr, auf einer Gartentorsäule stehend, ein junger Mann, der eine Kamera darauf hält. Ich als Regisseur hielt den weitesten Abstand.

Die Männer machten bei alledem keine Anstalten, die Sache zu Ende zu bringen, schließlich war es nicht ihr Garten und nicht ihre Kobra, und das biss­chen Abenteuer eignete sich ganz gut dazu, am Abend beim Nachtessen erzählt zu werden und die Familie zwanzig Sekunden von den iPhones aufblicken zu lassen.

Eva und die Schlange – mal anders

Jetzt war guter Rat teuer. Ich machte mich auf, im Resort nach Hilfe zu suchen und entdeckte in einer Nebengasse einen Pickup. Zwei Männer und eine Frau waren dabei, Gerüststangen zu entladen. Ich trat hinzu und wiederholte den Auftritt von vorhin: „Nguu, Nguu...“, und bat sie, mir zu folgen. Offenbar hatten sich meine Thaikenntnisse in den vergangen zehn Minuten verbessert, denn sie fuhren gleich los und folgten mir nach. Nach einem kurzen Blick auf die Situation packte die Arbeiterin zwei Stangen vom Pickup und reichte eine davon weiter. Dann nahmen sie die Kobra in die Zange und warfen sie im hohen Bogen in den nahen Teich. Sie konnte fliegen, nehmen wir mal an, dass sie auch schwimmen konnte. Falls sie einem Fischer ins Boot gefallen ist, wird man morgen im FARANG lesen: „Fliegende Kobra in Hua Hin entdeckt!“

PS: Die Kobra war am Morgen einen halben, am Mittag einen ganzen und am Abend zwei Meter lang.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Peter Brechbühl 16.02.20 18:37
Als langjähriger Thailand-Reisender weiss ich genau um den Kern der Wahrheit Ihrer sehr unterhaltsamen Kolumne. Bitte weiter so, macht den FARANG noch lesenswerter.