Der Geheimtipp

Mit den Geheimtipps ist es so eine Sache. Wenn man sie von Einheimischen erhält, ist die Chance groß, tatsächlich einen verschwiegenen Ort, ein außergewöhnliches Restaurant oder einen Schneider zu finden, der einem die Klamotten so zusammennäht, dass sie nicht schon beim ersten Ausgang auseinanderfallen. Wenn man einen Touristen mit offenem Hosenboden in der Stadt flanieren sieht, ist klar: Das war ein Geheimtipp, den der Schneider selbst in Umlauf gebracht hat.

Vergiss den Guide Michelin

Das Vertrauen und Wohlwollen der Alteingesessenen muss man sich verdienen. Eine Stadt wie Hua Hin entwickelt sich rasch, die Touristen besetzen die Hotspots, die Preise ziehen an, viele der Einheimischen bleiben außen vor und ziehen sich in die Nischen zurück, wo sie unter sich sind und welche sie eifersüchtig gegen die „Invasoren“ abschirmen. Wird man als Farang ins Vertrauen gezogen und eingeweiht, erhält man einen Geheimtipp, der diesen Namen verdient.

Wir hatten die Ehre und wurden auf ein Restaurant aufmerksam gemacht, das nicht unweit des Bahnhofs in einem Quartier liegt, wo man den Puls der Stadt noch spürt, aber kein Megafon braucht, oder einen Veitstanz aufführen muss, um sich verständlich zu machen. Das Lokal war rundum mit meterhohen Mauern abgeschirmt, welche gegen die Straße hin mit üppigem Grün überwuchert sind. Nichts ließ darauf schließen, dass es sich hier um ein gastronomisches Kleinod handelt und ich fragte mich, ob wir wohl an der richtigen Adresse waren.

Farang oder Krokodil?

Dann aber entdeckten wir im Mauerwerk eine diskrete Türöffnung, durch die ein fahler Lichtstrahl fiel. Das war der Wegweiser in eine Locanda mit etwa zehn Tischen, an welchen ausnahmslos Thais saßen. Sie blickten kaum von ihren Handys auf. Das hätten sie auch nicht getan, wenn statt dieses Farangs ein Krokodil eingetreten wäre, was für sie wohl keinen großen Unterschied macht.

Zwei oder drei Tische waren noch frei, die Bestuhlung war spartanisch: rohgezimmerte Küchenschemel, sechs an der Zahl, luden eher zum kurzfristigen Verweilen inklusive Bandscheibenvorfall ein. So muss der erste Showroom von Ikea in den 50ern des letzten Jahrhunderts ausgesehen haben.

Eine ältere Frau kam mit einem Notizblock hinter dem Tresen hervor. Sie nickte uns freundlich zu und legte ihn zusammen mit einem Bleistift auf den Tisch. Es war klar, was damit gemeint war: Wir sollten die Bestellung aufschreiben. In Thai wohlverstanden. Die Menükarte lag schon da – auch ohne ein Wort in Englisch. Dies hatte den Vorteil, dass ich meiner Frau meine Wünsche in den Block diktieren durfte, die sie hingebungsvoll in die Thaischrift schnörkelte. Natürlich habe ich mehr bestellt, als ich eigentlich wollte. Ein besserer Vorwand, den Boss spielen zu dürfen, stellt sich nicht so schnell wieder ein. Aber immerhin: Sie darf sich jetzt Chefsekretärin nennen.

Wäre ich allein gewesen, hätte ich die Bestellung wohl zeichnen müssen. „Fish sweet sour“ – ein Fisch, der mit einem Zitronenschnitz im Maul in einem Honigtopf schwimmt. „Fried Chicken“ – ein Huhn, das auf einem glühenden Rost sitzt und dabei noch lacht, ein thailändisches Huhn eben. Und dann noch Hopfen und Malz für das Bier.

Das Essen schmeckte ausgezeichnet. Einfache, schnörkellose Thaiküche, köstliche Currysauce, knusperiges und aromatisches „Fried chicken“ mit einem exotischen Abgang, der schwer zu definieren war. Ich beglich mit Vergnügen die bescheidene Rechnung und dankte im Geiste unseren Thaifreunden für den Geheimtipp. Das Trinkgeld fiel entsprechend üppig aus, das Personal schien mir meine exotische Herkunft zu verzeihen, eine Win-Win- Situation nota bene.

Ein Mopp mit Füssen

Als wir uns zum Gehen wandten, wieselte etwas Graues, Undefinierbares zwischen meinen Füssen hindurch, eine Art Mopp mit Füssen. Es rannte schnurstracks durch das Lokal auf die Küche zu. Kein Zweifel: das war nicht die Hauskatze. Es war die rattenscharfe Flucht eines Nachkommen von Ratatouille in das lebensbedrohliche Universum des Kochs.

War das die Erklärung für den exotischen Abgang des „fried chicken“, der so undefinierbar war?

Und die Fleischlieferung „frei Haus“ der Grund für den Dumping Preis?

Wer es herausfinden will, für den habe ich einen Geheimtipp.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Peter Brechbühl 11.10.20 14:51
Authentisch
Wie immer sehr unterhaltsam und authentisch geschrieben.
Besten Dank, bitte weiter so