Alles röhrt, keiner hupt

Morgens um acht ist die Welt auf den Straßen von Hua Hin noch in Ordnung. Der Verkehr fließt im wahrsten Sinne des Wortes. Ein unerschöpfliches Rinnsal aus Autos, Motorrädern und vereinzelten Lastwagen schlängelt sich im Schritttempo durch die Straßen. Selten kommt dieser dröhnende Tatzelwurm ins Stocken, niemand drängelt, keiner hupt. Zeigt einer den Vogel, gibt er sich als Farang zu erkennen, aber das versteht hier niemand und man lächelt ihm freundlich zu. Aha, ein Ornithologe – „nice to meet you!“

An den Kreuzungen vereinigt sich der Strom aus allen Himmelsrichtungen zu einem Strickmuster: Mal einer von links, mal einer von rechts, so einfach ist das, dafür braucht man doch keinen Polizisten.

Aha, ein Ornithologe

Der ist aber auch da. Er steht am Rand der Kreuzung und schaut. Eben fährt ein Motorrad an ihm vorbei. Der Vater am Lenker, ein halbwüchsiges Kind zwischen den Beinen, eines hinter seinem Rücken und am Ende eine massige Frau mit einem Säugling auf dem Arm. Der Polizist schaut immer noch, aber in eine andere Richtung. Eigentlich ist Helmpflicht, mindestens der Fahrer müsste einen tragen, was er nicht tut, dafür trägt der Polizist einen, aber der sitzt nicht auf einem Motorrad. Logik ist, wenn man trotzdem lacht.

Auch ein Schwertransport ist unterwegs. Wieder auf einem Motorrad. Der Mann sitzt am Lenker, seine Frau umkrallt mit beiden Händen einen respektablen Küchentisch auf dem Sozius. Hinter ihr wippt ein Rohrstuhl an einem Gummiband auf und nieder. Fehlt noch das Sofa, es ist beim nächsten Transport fällig. Alles zu seiner Zeit.

Ikarus auf dem Motorrad

Und plötzlich: Da scheint es doch einer eilig zu haben. Ein Helldriver blocht im Karacho an allen vorbei, überholt und schlängelt sich durch das Gewühl auf Teufel komm raus. Aber hallo, das kann doch gar nicht sein?! Da sitzt ja ein Bub drauf, kurze Hosen, flotte Tolle, den Oberkörper wie ein Rennfahrer über die Sitze gefläzt, seine Nase reicht knapp über den Lenker hinaus, die Spitzen der Flipflops berühren kaum die Fußstützen.

Jetzt rast er am Uniformierten vorbei, nein, er rast nicht, er fliegt! Deshalb kann der Unordnungshüter ihn ja auch nicht sehen, er ist schließlich für den Straßen- und nicht für den Flugverkehr zuständig. Er tut, was er bis anhin tat: Nichts. Dafür wird er ja auch bezahlt.

Doch dann kommt doch noch Bewegung in den Mann. Ein Erdbeben? Hat sich der Boden unter seinen Stiefeln geöffnet, droht der hehren Staatsgewalt der Absturz ins Erdreich? Nicht doch: Musik erklingt, schwillt von Akkord zu Akkord zu einer vertrauten Melodie an, das ist die Thai-Hymne. Der Verkehrslärm ebbt ab, scheint wie von Zauberhand gebannt, die Musik legt einen sanften Klangteppich über die ganze Stadt und hallt bis in die Hügel nach, die sie umgeben.

Der Herr in Uniform ist auf die Straße getreten und richtet sich in ganzer Größe auf. Dann hebt er gebieterisch die Hand. Alles steht still, wenn der Gendarm es will. Die Welt dreht sich nicht mehr, bis die letzten Klänge verstummt sind, um dann wieder Fahrt aufzunehmen, lauter und durchdringender denn je. Der Polizist tritt wieder an den Straßenrand zurück und schaut. War da was?

Die Straßenszene wäre nicht vollständig, ohne die allgegenwärtigen Vierbeiner zu erwähnen. Ein abenteuerlich geflecktes Exemplar trottet gemächlich auf die Mitte des Kreisels zu, setzt sich auf den Betonsockel und kratzt da ausgiebig das Fell. Nach einer Weile macht er kehrt und trottet genauso unbekümmert wieder auf die Fahrbahn.

Straßenköter? Nein, Polizeihunde!

Der Verkehr stockt, streunende Hunde dienen offensichtlich der Verkehrsberuhigung. Vielleicht werden sie sogar gezielt von den Behörden dafür eingesetzt und sind in Wirklichkeit Polizeihunde, die für diesen Zweck trainiert werden. Jedenfalls ist es erstaunlich, wie sicher und gelassen sie sich in diesem Chaos bewegen. Hin und wieder humpelt einer ein bisschen oder vereinzelte Exemplare stolpern auf drei Beinen über den Asphalt. Das ist Berufsrisiko. Who cares?

Diese Momentaufnahme des Alltagsverkehrs in einer Kleinstadt ist aber nur Folklore im Verhältnis zu dem, was am Abend und in der Nacht los ist. Die beängstigend hohe Zahl der Verkehrstoten in Thailand spricht Bände, deshalb dieser Szenenwechsel:

Ein Gartenrestaurant in der Vorstadt am Samstagabend. Ein paar Jugendliche feiern lautstark ihr sehr prekäres Leben. Der Alkohol fließt in Strömen. Zu später Stunde wanken sie auf einen Pickup zu, vier von ihnen setzen sich in die Kabine, ein halbes Dutzend auf die Ladefläche und los gehts in die stockdunkle Nacht.

Viele, die so losgefahren sind, hatten ein Date mit dem Friedhof. In der Heiligen Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 2020 wurden 58 Verkehrstote gezählt. Etwa die gleiche Anzahl von Covid-19-Todesopfern in den gesamten letzten acht Monaten. Die Schwerverletzten zählt niemand. In der Öffentlichkeit sind nur selten Invalide zu sehen. Auch das ist Thailand.


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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Norbert Gschwendner 18.01.21 20:41
Steunende Hunde zur Verkehrsberuhigung :-)
Danke - musste herzhaft lachen :-)
Vermisse Thailand - Menschen und Hunde
Mac Pattaya 18.01.21 20:40
Sprachlos...
Ist das toll ge-/beschrieben. Bitte mehr. Danke.
Peter Mache 18.01.21 06:22
Herrlich geschrieben
Oh mein Gott, bin ich froh, wenn ich all dass wieder live erleben darf. Herrlich geschrieben. Vielen Dank für diesen heiteren Moment
Peter Brechbühl 17.01.21 14:28
Präzis beobachtet
Einmal mehr die thailändische Realität sehr unterhaltsam geschildert.
Herzlichen Dank, bitte weiter so