Zeitungen zum Geschehen am Dienstag

Foto: Pixabay/Gerd Altmann
Foto: Pixabay/Gerd Altmann

«Stuttgarter Zeitung» zu Stuttgart 21

Die Bahn reißt einmal mehr den selbst gesteckten Zeitplan bei Stuttgart 21.

Das ist ebenso ärgerlich, wie es absehbar gewesen ist. Einmal mehr hat der Konzern lange gebraucht, das Unübersehbare einzuräumen. Aber er versucht, aus der verfahrenen Situation das Beste zu machen. Die aberwitzige Idee eines planmäßigen Parallelbetriebs von Kopfbahnhof oben und Durchgangsbahnhof unten wird zu den Akten gelegt. Die Verschiebung hat den Vorteil, dass etwa verspätete Projektteile wie der Flughafenbahnhof fertig sind und es keine Inbetriebnahme auf Raten wird. Damit das alles so funktioniert, muss die Bahn den revidierten Zeitplan einhalten. Eine gehörige Portion Misstrauen ist angebracht. Zu oft erweisen sich die Prognosen der Bahnhofsbauer als allzu optimistisch. Zu oft mussten Zeitpläne über den Haufen geworfen werden, zu oft tat sich die Bahn schwer damit, das Unausweichliche auch einzuräumen. Den baustellengeplagten Stuttgartern bleibt das Prinzip Hoffnung.


«Münchner Merkur» zu Scholz/von der Leyen

Wenn es stimmt, was die Spatzen von den Brüsseler und Berliner Dächern pfeifen, dann hat sich Olaf Scholz jetzt doch dazu aufgerafft, für den Verbleib der CDU-Frau Ursula von der Leyen an der EU-Spitze zu kämpfen.

Ließe er von der Leyen fallen, ginge er am Ende auch noch als der Unpatriot in die Geschichte ein, der eine Deutsche auf Europas Chefsessel verhinderte. Die Folge wäre zudem, dass laut Ampel-Koalitionsvertrag dann just die grünen Wahlverlierer einen EU-Kommissarsposten für sich reklamieren dürften. Für Scholz' wankende Kanzlerschaft könnte eine solch unpopuläre Personalie den Sargnagel bedeuten. Vielen Brüsseler Strippenziehern ist nach dem Erfolg der Rechtsradikalen der Schreck in die Glieder gefahren. In Europa tobt ein furchtbarer Krieg, von der Leyen gilt als energische Unterstützerin der Ukraine. Nichts braucht die von Putin hart bedrängte Europäische Union jetzt so dringend wie Stabilität.


«Pravda»: Große Fraktionen unterscheiden sich zu wenig

BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Pravda» schreibt am Dienstag zum Ausgang der Europawahl:

«Zwar ändern sich die Kräfteverhältnisse zwischen den einzelnen Fraktionen im Europäischen Parlament gar nicht so dramatisch, in einigen Staaten jedoch gab es regelrechte politische Erdbeben. Frankreich steuert in eine politische Krise, das ist für Europa keine gute Nachricht. In Deutschland erlebte Kanzler Olaf Scholz ein Debakel. (...) Doch im EU-Parlament selbst werden Konservative, Sozialisten, Liberale sowie Progressive und Grüne weiter eine zuverlässige Mehrheit für ihr Weiterregieren haben.

Doch das ist die eigentlich schlimmste Nachricht. Denn wenn sich Konservative und Sozialisten unentwegt in die politische Mitte drängen und im Gleichklang eine einheitliche Politik betreiben, es dabei aber aufgeben, sich mit mutigeren Standpunkten voneinander abzugrenzen und einen natürlichen Wettbewerb der Ideen in Fragen wie Migration, Green Deal, Wirtschaftspolitik oder Ukraine-Krieg austragen, dann lassen sie immer mehr Raum sowohl am linken wie auch rechten Ufer leer. Und diesen Raum füllen dann radikale und extreme Kräfte.»


«ABC»: Was machen mit dem zweifelnden Europa?

MADRID: Die spanische Zeitung «ABC» kommentiert am Dienstag den Ausgang der Europawahl:

«Das war zu erwarten. Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die reflexartige Reaktion derjenigen unter uns, die dazu neigen, in den gemäßigten Zonen der liberalen Demokratie zu leben. Wir ballen die Fäuste und runzeln die Stirn (...), um eine ebenso offensichtliche wie enttäuschende Wahrheit zu erfahren: der Aufstieg von (...) extremen Rechten wie der deutschen AfD. (...) Wir sind schockiert, dass politische Kräfte, die den liberalen und europäischen Rahmen infrage stellen, an Bedeutung gewinnen.

Diese Besorgnis ist verständlich, vermeidet es aber, sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen: In Europa (...) gibt es Tausende Menschen, vor allem junge Menschen, die sich - ob berechtigt oder nicht - von dem Konsens ausgeschlossen fühlen, auf dem das europäische Projekt beruht. Sie zu beleidigen, zu demütigen, zu karikieren oder sich auf empörten Alarm zu beschränken, verstärkt nur die subjektive Wahrnehmung derjenigen, die alles kaputt machen wollen. (...) Viele ihrer Forderungen sind unangenehm, aber es ist auch enttäuschend, die Arroganz und den mangelnden Integrationswillen derjenigen von uns zu sehen, die weiterhin an die liberale Demokratie glauben. (...) Es ist schön und gut, Feuer zu schreien! Aber was wir wirklich brauchen, ist ein wenig mehr Selbstkritik und jemanden, der herausfindet, wo zum Teufel der (Feuerwehr-)Schlauch versteckt ist.»


«Dagens Nyheter»: Wahl mitten im Krieg - deutlich, wer es ernst nimmt

STOCKHOLM: Die liberale schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» kommentiert am Dienstag die Ergebnisse der Europawahl:

«Extreme Kräfte haben in den zwei größten Ländern der EU, Frankreich und Deutschland, Stimmen hinzugewonnen. Dass eine deutsche Partei mit Verbindungen zum Nationalsozialismus fast 16 Prozent der Stimmen bekommt, ist schockierend. Während des Wahlkampfes wurden enge Beziehungen zwischen dem Kreml und mehreren Spitzenkandidaten der AfD aufgedeckt.

In Osteuropa liegt die Geschichte der diktatorischen Unterdrückung nicht so weit zurück, und dort scheinen die Menschen die akute Bedrohung durch Putins Russland klarer zu erkennen. In Polen knüpften Donald Tusk und seine Bürgerkoalition an den Sieg bei den nationalen Wahlen im Herbst mit einem weiteren Sieg an, während die antidemokratische, rechtsextreme Partei PiS fast 10 Prozentpunkte verlor.

In Ungarn erlebte Viktor Orbán mit seiner Partei Fidesz mit 44 Prozent der Stimmen die schlechteste Wahl seit Jahrzehnten und hat zum ersten Mal seit genauso langer Zeit einen reellen politischen Gegner. In der Slowakei gewann die sozialliberale Progressive Slowakei vor der populistischen und prorussischen Smer von Ministerpräsident Robert Fico.

Dieses Mal gingen die Europäer im Schatten eines Krieges zur Wahl. Und es ist klar, wo in Europa das ernst genommen wurde. Man sollte das Gedenken an den D-Day an den Stränden der Normandie feiern, aber wie deutlich ist die Erinnerung an die Gefahr eines totalitären, aggressiven Nachbarn eigentlich? In Osteuropa erinnert man sich und dort versteht man, was auf dem Spiel steht.»


«Hospodarske noviny»: EU geht geschwächt aus Europawahl hervor

PRAG: Zum Ausgang der Europawahl schreibt die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien am Dienstag:

«Die europäischen Wähler haben ihren Politikern ein Mandat gegeben, aus der Europäischen Union in den nächsten Jahren einen schwächeren und noch weniger berechenbaren globalen Akteur zu machen. Auch so lässt sich das Ergebnis der Europawahl interpretieren. Denn wegen Streitereien um alles und jedes droht eine gelähmte Union. Es wird schwieriger, Kompromisse bei großen und grundlegenden Themen zu finden. Das ist eine Schwäche in einer Zeit, in der sich in der Welt neue regionale Blöcke bilden und die politische, wirtschaftliche und militärische Stärke aufstrebender globaler Akteure wie Indien und Brasilien wächst. (...)

Ein Fragezeichen hängt zudem über der weiteren Hilfe für die Ukraine. Dafür wird das Ergebnis der französischen Parlamentswahl wichtig sein, die als Folge der Europawahl ausgeschrieben wurde. Eine Schwächung der französischen Unterstützung für Kiew würde die gesamte europäische Hilfe in Gefahr bringen. Die Anführerin der französischen Rechten, Marine Le Pen, drückt sich zwar in letzter Zeit vorsichtiger aus, was Russland anbelangt, (...) aber ihre Vorstellungen erinnern an die Reden des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban über einen Frieden - ohne einen klaren Plan, wie dies erreicht werden soll.»


«Corriere della Sera»: Meloni als Wellenbrecher gegen Nationalisten

MAILAND: Zur gestärkten Position von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nach der Europawahl schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» am Dienstag:

«Zwei lahme Enten, Macron und Scholz; und ein ehemaliges souveränistisches hässliches Entlein, das zum Schwan wurde, Giorgia Meloni. Das bleibt von Europa nach dem Erdbeben der Wahlen übrig. Unsere Ministerpräsidentin ist die einzige im Club der Großen, die die Wahlen gewonnen hat. Das Paradoxe ist, dass es nun an einer rechten Frau liegt, die aus Überzeugung EU-kritisch ist, aber notgedrungen an der Spitze eines proeuropäischen Landes steht, zu retten, was vom Projekt der EU noch zu retten ist. (...) Denn was am Wochenende geschah, war das krachende Versagen des deutsch-französischen Motors.

Italien hat derzeit die stabilste Regierung, und das ist die gute Nachricht. (...) In den fast zwei Jahren ihrer Regierungszeit konnte Giorgia Meloni auch mit eigenen Augen sehen, wie nützlich die Europäische Union für unsere nationalen Interessen sein kann. (...) Ihr Sieg bringt sie in die einzigartige Lage, die Rolle als Wellenbrecher gegen die nationalistische und EU-skeptische Flut zu spielen, die die Parteien der konservativen EVP anderswo spielen. Am Wahlabend entschlüpfte einigen aufrichtigen Pro-Europäern (...) ein «Gott sei Dank haben wir Meloni».»


«Moskowski Komsomolez»: Beziehungen Russlands zum Kaukasus im Wandel

MOSKAU: Die russische Tageszeitung «Moskowski Komsomolez» kommentiert am Dienstag Russlands sich wandelnde Beziehungen zu den Staaten im Kaukasus:

«Eine Großmacht wie Russland hat keine ständigen Feinde und keine ständigen Freunde, sondern nur ständige Interessen. Betrachtet man die Westfront der russischen Außenpolitik, so ist die Umschreibung einer berühmten Aussage des britischen Staatsmannes Lord Palmerston aus dem 19. Jahrhundert unendlich weit von der Realität entfernt. Nachdem die Nato-Länder in der für Moskau nicht sehr komfortablen Rolle der «besten Freunde Russlands» waren, sind sie nun wieder in die für sie bekanntere Rolle der Erzfeinde Moskaus zurückgefallen. Und ein Ende der Situation ist nicht in Sicht.

Im Südkaukasus hingegen ist alles weit verzwickter. Noch vor wenigen Jahren galt Georgien bei uns als «treuer Vasall des amerikanischen Imperialismus», Armenien als Herzensfreund für alle Zeiten und Aserbaidschan weder als Freund noch als Feind. Und heute droht der «amerikanische Imperialismus» der Regierung in Tiflis mit Sanktionen, das offizielle Eriwan schaltet russische Fernsehkanäle ab, während sich der Bereich der Zusammenarbeit mit Baku ausweitet.»


«Tages-Anzeiger»: Noch nie war ein Bundeskanzler so unbeliebt

ZÜRICH: Zum Abschneiden der Ampel-Parteien bei der Europawahl heißt es am Dienstag im Schweizer «Tages-Anzeiger»:

«Olaf Scholz lächelte von den Plakaten seiner Partei quer durch Deutschland, obwohl der Kanzler natürlich keinerlei Interesse daran hatte, sich ins Europaparlament wählen zu lassen. Entsprechend ist das Debakel seiner Partei nun aber auch sein eigenes. (.)

Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass die Ampelkoalition das Vertrauen der Deutschen verloren hat - hier ist er. Die Umfragen nach der Wahl zeigten überdies, wie viele Deutsche Scholz noch für einen guten Kanzler halten: 23 Prozent nämlich. So unbeliebt war ein Regierungschef noch nie, seit es die Bundesrepublik gibt.

Die Sieger, Christdemokraten und AfD, forderten Scholz schon am Wahlabend dazu auf, die Vertrauensfrage zu stellen und Neuwahlen zu ermöglichen.

Als später bekannt wurde, dass Emmanuel Macron nach dem Desaster seiner Partei bei der Europawahl das nationale Parlament auflöst und Neuwahlen ansetzt, legten deutsche Medien Scholz nahe, sich ein Beispiel am französischen Präsidenten zu nehmen. Doch die SPD und ihr Kanzler denken nicht daran.»


«NZZ»: Scholz wird die Krise wohl aussitzen

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Dienstag die Ergebnisse der Europawahl:

«Der befürchtete Erdrutsch der «harten Rechten» ist bei der Europawahl ausgeblieben. Diese Parteien haben wohl zugelegt, aber die eigentliche Siegerin ist die Europäische Volkspartei (EVP), eine breite Mitte-Rechts-Koalition. Sie ist auch die politische Heimat der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ihre Chancen für eine Wiederwahl sind intakt.

In vielen Ländern im Osten und im Norden des Kontinents sind die Resultate der Rechtsaußenparteien schwächer ausgefallen als erwartet, etwa in Polen, Ungarn, Dänemark und in Finnland. Doch in den «Führungsnationen» der EU, in Deutschland und Frankreich, wurden die Regierungsparteien von der AfD beziehungsweise vom Rassemblement National (RN) brutal gedemütigt. Das ist ein Problem - aber nicht in erster Linie für die EU, sondern für Berlin und Paris. Präsident Emmanuel Macron sucht jetzt einen Ausweg, indem er Parlamentswahlen ankündigt. Wie die defekte Ampelkoalition damit umgeht, ist noch offen. Kanzler Scholz' Temperament lässt erwarten, dass Berlin die Krise aussitzt.»


«Financial Times»: Macron geht ein großes Risiko ein

LONDON: Zur Ansetzung von Parlamentsneuwahlen in Frankreich meint die Londoner «Financial Times» am Dienstag:

«Es sei an der Zeit, das «Fieber» zu beenden. Mit diesen Worten begründete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine überraschende Entscheidung, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, nachdem die extreme Rechte bei den Europawahlen einen überwältigenden Sieg errungen hatte. (.)

Die Neuwahlen sind ein außerordentlich riskantes Unterfangen. Macrons Absicht scheint zu sein, die französischen Wähler aus ihren fieberhaften Illusionen darüber zu reißen, wie es wäre, wenn die extreme Rechte an die Macht käme. Die Wahl zwischen Frankreichs etablierten Parteien und einer nationalistischen, europaskeptischen und migrationsfeindlichen Gruppierung, deren Politik das Land in einen Konflikt mit der EU stürzen würde, sollte eigentlich klar sein. Die Franzosen könnten in der Tat davor zurückschrecken, eine Regierung des Rassemblement National (RN) zu installieren. Aber zu viele von ihnen sind von den anderen Parteien bitter enttäuscht und verachten Macron, als dass man sich darauf verlassen könnte. (...)

Angesichts eines Krieges in Europa, sinkender Wettbewerbsfähigkeit und der dringenden Notwendigkeit, den Klimaschutz voranzutreiben, braucht die EU ein Frankreich, das sich voll engagiert. Wenn Macrons Wette nicht aufgeht, könnte bald das Gegenteil der Fall sein.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.