Einmal Ming-Dynastie retour

Zu den vornehmsten Aufgaben eines verheirateten Rentners gehört es, die berufstätige Ehefrau am Morgen rechtzeitig zu wecken, damit sie nicht zu spät zur Arbeit fährt. Das ist eine der Freuden der Emanzipation, die ich zu schätzen weiß. Hin und wieder werde ich von ihr eingeladen, sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit im Real Estate Business zu begleiten. Besonders dann, wenn ihr die Adresse des Kunden nicht ganz geheuer ist.

Diesmal waren wir in einem Quartier am Stadtrand von Hua Hin unterwegs. Sie parkte den Wagen vor einer hohen Gartenmauer aus Natursteinen, die von üppigen Girlanden überwuchert war, welche mit ihrer Blütenpracht einen auffälligen Kontrast zu den angrenzenden Betonmauern der Nachbarn bildeten. Da war schon mal klar: Der Mensch, der da wohnt, sitzt nicht acht Stunden im Büro.

Wir traten durch das schmiedeeiserne Tor in den Garten und sahen an leicht erhöhter Lage ein Haus, dessen Vorderseite eine durchgehende Veranda hatte, die mit dunkelbraunen Balken abgestützt war. Aus Vasen und großen Kupfer-Gefäßen ergoss sich auch hier eine Flut von Farbtupfern an filigranen Zweigen über zwei Stockwerke bis zum Rasen hinunter. Hier waren sie wieder: Die hängenden Gärten der Semiramis! Nur waren wir nicht in Babylon und unsere Semiramis keine Prinzessin, sondern eine großgewachsene, blonde Frau in den späten Fünfzigern, die im Türrahmen stand und uns freundlich lächelnd willkommen hieß. Das war Maria, die Dame des Hauses.

Reise ins alte Reich der Mitte

Sie winkte uns zu sich heran und sprach Englisch wie jemand, der es vor einem halben Jahrhundert in einem Mädchenpensionat irgendwo auf dem alten Kontinent gelernt hatte. Sie trug ein schmuckloses Gewand aus braunem Sackleinen, die Haare waren zu einem Dutt gebunden – modische Extravaganz sieht anders aus. Maria machte eine einladende Geste in das Innere des Untergeschosses. Wir traten ein und verabschiedeten uns augenblicklich von unserer Zivilisation und vom 21. Jahrhundert. Wir waren jetzt im Reich der Mitte zur Zeit der Ming-Dynastie.

Der Blickfang des spärlich beleuchteten Raumes war ein riesiger, dunkel gebeizter Tisch aus massivem Holz. Darum herum hatte es genügend Stühle aus Rohr und Leder für eine Tafelrunde mit Schwertkämpfern einer Kriegerkaste. Ein gewaltiger Lüster mit verspielten Silberornamenten schwebte darüber. Die Wände waren mit scharlachroten Tapeten bezogen, auf welchen goldene Drachen mystische Kämpfe ausfochten.

Im Hintergrund zog ein ungewöhnliches Möbelstück meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich trat näher und vermutete richtig: Es war tatsächlich eine Sänfte, die an den Seitentüren mit Ziervögeln und Lotusmalereien aus Chinalack verziert war. Als mir Maria gerade den Rücken zuwandte, hob ich diskret den samtenen Vorhang, um zu sehen, was sich dahinter verbarg. Vielleicht hockt da die Mumie eines Mandarins in Samt und Seide? Oder die Wachsfigur eines reichen Geschäftsmanns, der an seiner Opiumpfeife nuckelt?

Kaiserliche Sänfte ein Putzschrank?

Die Überraschung war perfekt: Da war doch tatsächlich der Meister persönlich. Kung- Fu- Tse? Nein, nicht Konfuzius, Meister Propper wartete auf der Sitzbank in einem Plastiktrog aus Putzmitteln und Lumpen. Marias Liebe zum exotischen Detail rieb sich offensichtlich an den Belanglosigkeiten des modernen Alltags. Die Sänfte seiner Majestät ein Putzschrank? Der Kaiser von China würde sich im Grab umdrehen.

Die Treppe zum Obergeschoss war mit filigranen Ornamenten geschmückt, Schlangenmotive wanden sich auf den Geländern entlang nach oben. Das Dekor änderte sich im ersten Stock. Die Tapeten waren nicht mehr rot, sondern ockergelb und mit Goldfäden durchwirkt, welche im Licht der offenen Veranda glänzten und dem Raum einen märchenhaften Zauber verliehen. Kolorierte Stiche mit Szenen vom kaiserlichen Hof waren geschmackvoll auf diesen Hintergrund abgestimmt. Die Darstellungen zeigten vorwiegend irgendwelche Mandarine mit langen Zöpfen und dünnen Bärten, denen sich Frauen in bunten Seidengewändern – offenbar Konkubinen – ehrfurchtsvoll und in gebückter Haltung näherten. Wie weit die Annäherung noch ging war nicht ganz klar, auf dem letzten Bild knieten zwei Frauen vor einem fetten Chinesen, der auf einem Kissen saß. Ich hatte den zwingenden Verdacht, dass die Bildfolge nicht zu Ende war und sich vielleicht in Marias Schlafzimmer mit gewagteren Motiven fortsetzte...

Gelbe Punkte geistern durch die Nacht

Zur Gartenseite öffnete sich der Salon mit einer weiten Fensterfront zur Veranda hin, die mit einer Chaiselongue und einem ausladenden Sofa möbliert war, auf welchem ein silbergrauer, wohlgenährter Kater lag. Er hob kaum merklich den Kopf als ich eintrat und starrte mich an. Er hatte auffallend gelbe Pupillen. Ich stellte mir vor, wie sie nachts im Dunkeln leuchten würden und wie gespenstisch es wäre, nur diese zwei Punkte im Zimmer herumgeistern zu sehen. Aber er passte perfekt in dieses museale Interieur und strahlte durch seine träge, animalische Präsenz doch etwas sehr Lebendiges aus – als Kontrast gewissermaßen. Ich verabschiedete mich mit einem letzten Blick von ihm, aber er hatte sein Interesse an mir schon wieder verloren und fixierte etwas vor oder neben mir oder tat wenigstens so. Blasiert bis auf die Knochen diese „Aristocat“, aber eine zwangsläufige Deformation in diesem noblen Ambiente.

Ich beschloss, nicht beleidigt zu sein und folgte den beiden Frauen durch einen getäfelten Gang ins Badezimmer. Ich hätte mir nicht vorstellen können, wie weit jemand geht, wie konsequent jemand seinen Traum von einem Leben in einer historischen, exotischen Kulisse umzusetzen bereit ist, aber beim Anblick des Badezimmers war klar: Maria ging sehr weit. Eine Badewanne aus Kupfer, wie man sie in alten Western sieht, dominierte den Raum, auch die Hähne über dem Lavabo, die Zuleitungen, alles war aus Kupfer, die Kacheln in adäquaten Mustern – gut, nicht mehr Ming-Dynastie – aber bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts schaffte die Einrichtung den Zeitsprung locker.

Der Ausflug ins Reich der Mitte ging dem Ende entgegen. Wir schlenderten durch den Garten. Maria hatte jede Menge Kräuter in den Beeten rund um ihr Haus. Darum beneidete ich sie. Aber sie brauchte sie vermutlich dringender als ich: für den Zaubertrank, um sich tagtäglich ins alte China zu beamen..


Über den Autor

Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.

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