Die Krim wählt Putin

Umstrittene Abstimmung auf der Halbinsel

Foto: epa/Alexei Druzhinin
Foto: epa/Alexei Druzhinin

SIMFEROPOL (dpa) - In Moskau unternimmt der Staatsapparat einiges, um Oppositionelle von der Stadtratswahl fernzuhalten. Es ist aber nur eine von vielen Wahlen in Russland am 8. September. Eine, die heraussticht, ist die umstrittene Abstimmung über das Parlament der Halbinsel Krim.

«Jeden Tag ein neuer Kinderspielplatz» und «Jeden Tag 1.200 Meter neue Wege» - die Kremlpartei Geeintes Russland verspricht einiges vor der Wahl des neuen Parlaments der Krim. Am 8. September wird auf der Schwarzmeer-Halbinsel wie in vielen Regionen Russlands gewählt - ein Stimmungstest auch für Kremlchef Wladimir Putin. Fünf Jahre nach der international umstrittenen Vereinigung der Krim mit Russland kann die Regierungspartei mit einem haushohen Sieg rechnen. Und die Ukraine, der die Krim laut Völkerrecht gehört, muss zuschauen, wie Putin seine Macht ausbaut.

«Die Dynamik der Entwicklung hier bei uns ist wahnsinnig», sagt der Abgeordnete Juri Gempel im Parlamentsgebäude der Krim-Hauptstadt Simferopol. Er ist Mitglied von Geeintes Russland - Putins Machtbasis. «Natürlich muss auch noch viel passieren», räumt der 62-Jährige ein. Er sitzt in einem kargen Zimmer, umgeben von den Flaggen Russlands und der Krim und einem Porträt von Putin. Der für internationale Beziehungen zuständige Abgeordnete war wie fast alle auf der Krim früher ukrainischer Staatsbürger. Jetzt ist er Russe.

«Von einem Rechtsraum in den nächsten zu kommen - natürlich war das schwer», sagt Gempel. Spuren aus ukrainischen Zeiten sind kaum noch zu finden. Milliarden Rubel fließen seit nunmehr fünf Jahren auf die Krim. Keine russische Region erhält so viel Geld vom Staat wie die Halbinsel. Der Abgeordnete ist erleichtert, dass er sich damals für die «richtige Seite» entschieden habe.

Gempel hätte als Hochverräter im Gefängnis landen können, wenn die Ukraine sich durchgesetzt hätte. «Wir sind damals nach unserer inneren Überzeugung vorgegangen.» Zu welchem Preis? «Ich habe Freunde verloren in Kiew, sie halten mich für einen Verräter, einen Separatisten», erzählt der Politiker, der hier auch für die kleine deutsche Minderheit zuständig ist und für sie die Zeitung «Hoffnung» herausgibt.

Was erreicht ist seither, das zählen die Menschen auch fremden Besuchern auf der Straße nahezu euphorisch: ein neuer Flughafen, die Brücke von der Krim-Stadt Kertsch zum russischen Kernland inklusive der Autobahn Tawrida. In einem Jahr soll sie durchgängig vier- statt wie im Moment nur zweispurig sein. Für eine neue Bahnstrecke werden über die Kertsch-Brücke bis nach Simferopol gerade auch die Gleise verlegt. Im Dezember soll der erste Zug rollen.

Die ukrainische Regierung dagegen, ist an jeder Ecke zu hören, habe früher alles verkommen lassen - und nicht einmal in Wasserleitungen und Straßen investiert. Diese neue Realität sollte auch der Westen anerkennen, meinen Passanten bei den Straßengesprächen. Doch wird die Europäische Union diese Wahl am Sonntag - wie das Referendum vor fünf Jahren - nicht anerkennen. Und auch die Sanktionen gegen die Annexion bleiben.

Gempel hofft zwar, dass sie irgendwann fallen, damit sich die Halbinsel frei entwickeln kann. Doch machen könne hier ohnehin niemand was dagegen. Er kennt die Klagen vieler Bürger, dass die Preise immer weiter stiegen - vor allem für Lebensmittel. Allerdings sei hier schon zu Sowjetzeiten alles teurer gewesen.

Das Meinungsforschungsinstitut Wziom hat vor der Wahl ermittelt, dass gut zwei Drittel der Befragten mit der Lage auf der Krim zufrieden seien. Trotzdem äußerte sich mehr als die Hälfte unzufrieden etwa mit ihrem Einkommen und mit der medizinischen Versorgung.

Während Präsident Putin zuletzt vor allem in Moskau Proteste gegen seine Politik hinnehmen musste, kann er sich hier in besten Umfragewerten sonnen. Im sommerlichen Wahlkampf tourte der Kremlchef auf dem Bike mit den Rockern von den Nachtwölfen über die Krim, besuchte ein Theater, sprach mit Arbeitern. Und er lobte eins ums andere Mal die Fortschritte in der «strategisch wichtigen Region».

Die Krim ist Putins in jeder Hinsicht uneinnehmbare Bastion. Gegenüber dem Parlamentsgebäude steht die neue unter seinem Patronat wiederaufgebaute prunkvolle Alexander-Newski-Kathedrale der russisch-orthodoxen Kirche. An der Newski-Straße ist er auf einer Hauswand in Kampfmontur als Fassadenmalerei verewigt.

Doch es gibt Schattenseiten wie die allgegenwärtige Korruption, Behördenwillkür und soziale Ungerechtigkeit. Darüber schreibt etwa die St. Petersburger Menschenrechtlerin Alexandra Krylenkowa in einem Buch zum fünften Jahrestag der Annexion. Das neue System unterscheide sehr genau zwischen bequemen und unbequemen Bürgern. Letztere sähen sich immer wieder auch inszenierten Strafverfahren ausgesetzt, berichtet sie. Doch solche Kritik bleibt - wie so oft - folgenlos.

Zwar sind auch die Kommunisten mit ihrem Wahlkampf zwischen den zwei großen Lenin-Denkmälern der Stadt unübersehbar. Aber eine Konkurrenz sind diese und andere Parteien nicht für Geeintes Russland.

Die Regierungspartei stellt sich bei den Wahlen hier wie in anderen Regionen Russlands am Sonntag trotz teils mieser Zustimmungswerte auf einen Sieg ein. Millionen Menschen sind aufgerufen, über Gouverneure und Regionalparlamente abzustimmen. Die massiven Proteste in der Hauptstadt Moskau gegen den massenhaften Ausschluss von Oppositionskandidaten bei der Wahl blieben landesweit die Ausnahme.

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