ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 25

(Fortsetzung von FA05/2023)

Zu viele Leute hatten bereits ein Auge zugedrückt. Damit er wenigstens ein Papier hatte, gab man ihm einen Thai-Führerschein auf seinen richtigen Namen Dr. Hans Schillner mit der alten Passnummer und dem zutreffenden Geburtsdatum. Dieses Führerscheinkärtchen ist in Thailand so viel wert wie ein Ausweis. Es wird überall als Identitätsnachweis anerkannt.

Die Jahre kamen und gingen. Bald fragte niemand mehr nach Mr Johns Hintergrund. Er war eben da und damit basta. Jeder Polizist in der Stadt kannte, mochte ihn und ließ ihn in Ruhe. Er bewegte sich auch nicht auf gefährlichem Terrain außerhalb der Gemeindegrenzen. Nur einmal im Jahr verschwand er mit dem Bus über Khon Kaen und Bangkok nach Phuket. Das musste man eben hinnehmen. Was das Gehalt betraf, führte Anuthida ihn als thailändischen Lehrer. Auch dies mit dem stillen Einverständnis vorgesetzter Stellen. Was den Führerschein betraf, so wurde er alle fünf Jahre verlängert.

Und jetzt stirbt der Kerl einfach! Und das nicht anständigerweise zu Hause im Städtchen, wo man die Sache angemessen hätte regeln können, sondern in Khon Kaen, wo er in die Hände einer gierigen Klinik und womöglich noch gierigerer Bestattungsinstitute fällt. Heiliger Buddha, es ist zum Reiskörner-Scheißen! Wer weiß, was aus England alles zutage kommt. Und wer weiß, ob nicht auch ein paar Leute von all den Vertuschungen erfahren, die das gar nichts angeht.

Der Leichenwagen kommt am Abend wieder im Städtchen an. Bedrückt und unverrichteter Dinge entsteigen ihm die drei Delegationsmitglieder.

* * *

Was sie nicht ahnen, ist, dass die Sache sehr langwierig wird. Genau genommen wird das Problem um Johns Leiche nie wirklich gelöst, es wird sozusagen nur im Handstreich überwunden.

In den nächsten Wochen folgt eine Tragödie, vielleicht auch Tragikomödie von Briefwechseln, E-Mail-Nachrichten, Anfragen und Rückfragen, Telefonaten, Übersetzungsmissverständnissen, Akten, die angelegt und abgelegt werden, Nachforschungen, amtlichen Irrtümern und Irrläufern – ein Behördensalat, der immer ungenießbarer wird.

Ein frühes Ergebnis des Aufwands: Mr John ist gar keine Engländer. Er ist Deutscher. Zwar steht auf dem Führerschein nicht die Nationalität des Inhabers, wohl aber seine Passnummer. Die englische Meldebehörde hat schnell erkannt: Die Passnummer auf dem Führerschein ist keine englische Passnummer, sondern eine deutsche. Also wird der Vorgang nach Deutschland geschickt. Zunächst mal nach Berlin ins Auswärtige Amt, danach zum Einwohnermeldeamt Frankfurt am Main. Ja, eine Familie Schillner gebe es hier. Sogar drei davon. Es müsse recherchiert werden, so einer der drei Familien Schillner ein Dr. Hans Schillner, geb. 1937, bekannt sei. Das werde eine Weile dauern, denn das Amt sei überlastet. Diese Nachricht geht von Frankfurt aus ans Auswärtige Amt in Berlin, von dort an die Meldestelle in London, von dort an die englische Botschaft in Bangkok, von dort in Übersetzung an die Polizeidienstelle in Khon Kaen und von der wiederum an das Krankenhaus. In Phung Daet erführe man nichts, hätte der Bürgermeis­ter nicht eine eigene Quelle angezapft. Die Quelle arbeitet zuverlässig, und so erhält er von allem, was in der Klinikverwaltung eintrifft und den toten John betrifft, eine Kopie. Inzwischen sind sechs Wochen vergangen. Mr John ruht in der Kühlung. Im Krankenhaus wird man nicht nervös. Jeder Tag bringt tausend Baht, egal, wer die zum Schluss bezahlt.

Sechs Wochen später eine weitere Nachricht: Zwei der drei Familien Schillner seien mit dem Verstorbenen verwandt, aber untereinander zerstritten. Es gehe um Erbschaftssachen. Eine der beiden Familien habe die Angelegenheit einem Rechtsanwalt übergeben. Dem, einem gewissen Dr. Stark, habe man die vorliegenden Akten übergeben. Der Anwalt wird die Verbindung zur Familie herstellen und letztendlich mitteilen, wie mit der Leiche des in Thailand verstorbenen Familienmitglieds zu verfahren sei, speziell, ob eine Überführung nach Deutschland und eine hiesige Beisetzung gewünscht sei oder ob die Leiche in Thailand nach dortigem Ritus behandelt werden solle. Auch alle finanziellen Fragen werde der Anwalt regeln. Man bitte also, abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten.

Die Nachricht des Amtsgerichts ist in der Darstellung einiger Sachverhalte etwas schief, aber einen ab nun beteiligten Dr. Stark gibt es wirklich. Die Nachricht geht den üblichen Weg. In Phung Daet erfährt man alles zuletzt. Mr John ruht und ruht. Inzwischen ist fast ein Vierteljahr vergangen. Im Krankenhaus reibt man sich die Hände. Die Kühlkammern sind sowieso unterbelegt, und die Leiche bringt fettes Geld.

Weitere neun Wochen später trifft eine Darstellung der Sachlage des Rechtsanwalts Dr. Stark ein. Sie dient der Information der zuständigen Stellen, besonders aber der Klinik in Khon Kaen und nebenbei dem heimlichen Mitleser in Phung Daet. Mr John sei der Begüns­tigte einer größeren Erbschaft gewesen. Problem sei nur, dass er das Erbe rechtlich zwar angetreten, aber nie genutzt habe. Der liquide Teil des Erbes – der Anwalt verschweigt dessen Höhe – ruhe seither auf einer Frankfurter Bank. Da Herr Dr. Schillner kein Testament hinterlassen habe, gehe es nun darum, wer der Erbe des Erbes sei. Da keine Eltern mehr vorhanden seien, kämen als Erben nur die leiblichen Kinder oder eventuell Geschwister des Toten infrage. Einen Erbanspruch erheben zurzeit fünf Parteien: ein uneheliches Kind, ein eheliches Kind, das juristisch gleichgestellt ist, ein weiteres Kind mit ungeklärtem Status sowie noch ein eheliches Kind, wobei nicht klar sei, ob es sich bei der Ehe nicht um Bigamie handle. Eine weltweite Recherche laufe, ob es nicht weitere erbberechtigte Kinder gebe. Die Mutter des ersten, unehelichen Kindes habe mangels Blutsverwandtschaft nur geringe Aussicht auf einen Teil des Erbes, sie habe allerdings ein Dokument vorgelegt, das als frühes Testament des Dr. Schillner gelten könnte und in dem sie zur Alleinerbin erklärt wird.

(Fortsetzung in Ausgabe FA07/2023)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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