ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 35

(Fortsetzung von FA15/2023)

Der Fehltritt hieß Deng und war ein Junge. Der Abt des Klosters legte Hans nahe, das Kloster zu verlassen und für das Kind und dessen Mutter zu sorgen. Hans war beliebt unter den Mönchen und in der Bevölkerung ringsum, obwohl er nie richtig Thai sprechen lernte. Viele bedauerten seinen Weggang.

Noch in Australien hatte er erfahren, dass sein Vater inzwischen verstorben war. Vom Tod der Mutter hatte er schon in der Mongolei gehört. Er begann in einem Ort bei Phuket, wieder als Englischlehrer zu arbeiten. Das brachte wenig ein. Nun war es das erste Mal, dass Hans überlegte, sein Geld in Deutschland anzugreifen. Bei dieser Gelegenheit hätte er erfahren, dass er inzwischen vielfacher Millionär war. Als habe die Vorsehung aber anderes vor, ließ sie Hans eines Tages seiner jungen Frau einen Hundert-Baht-Schein in die Hand drücken. Die Frau lief damit zum Losverkäufer und kaufte ein Los. Das Los gewann. Seine Freundin und er besaßen nun drei Millionen Thai-Baht. Er war frei. Das Geld überließ er der Freundin und dem Kind zusammen mit dem nun schon bekannten Umschlag. Er sagte nicht, wohin er ging, aber er versprach, jedes Jahr für einige Wochen wiederzukommen. Die Frau kaufte ein kleines Haus in einem Provinzstädtchen bei Phuket mit etwas Land drumherum. Sie zog Gemüse, das sie in einem Laden in ihrem Haus und auf dem Markt verkaufte.

Vielleicht haben einige der Mütter den Umschlag schon bald aufgemacht. Sie fanden darin die Kontoangaben eines Bankkontos in Frankfurt sowie ein kurz gefasstes Testament: Nach meinem Ableben vermache ich den ihm/ihr/ihnen zustehenden Anteil des Betrags, der sich auf dem Konto befindet an …, und es folgten die Namen der Zwillinge oder der Jungen oder des einzelnen Mädchens. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, Ort, Datum, Unterschrift. Als hätte er Unrat gerochen, war jeder der vier Briefe auch amtlich beglaubigt. Das heißt, ein Notar oder eine staatliche Stelle hatten seinerzeit bescheinigt, dass das vorliegende Schreiben tatsächlich von Dr. Hans Schillner stammte und ihrem Beisein von ihm unterschrieben wurde.

Die Mutter von Deng, dem letzten Kind, hat geweint, als sie von Mr Johns Tod erfuhr. Seit Jahren war er im Juni oder Juli bei ihr aufgetaucht, hatte im Garten geholfen oder die Tage auf einer Bank auf einem Hügel verbracht, von wo er Fernsicht über die Palmen auf das Meer hatte. Dann war er eines Morgens unangekündigt wieder abgereist, hatte aber am nächsten Tag bei ihr angerufen und gesagt, dass er an seinem Heimatort angekommen sei, dass es ihm gut ginge und dass er im nächsten Jahr wiederkomme. Dieses Mal war kein Anruf gekommen. Die Frau fragte in Phung Daet an. Natürlich hatte sie längst herausbekommen, wo Mr John das Jahr verbrachte. So erfuhr sie von seinem Tod. Und dann hat sie gewissenhaft vier Briefe zur Post getragen, die Mr John ihr schon lange ausgehändigt hatte. Sie waren an die Mütter in Frankfurt, Asunción, Ulan Bator und im australischen Outback adressiert und enthielten folgenden Text:

Liebe …, ich möchte Dir mitteilen, dass ich gestorben bin. Diese Nachricht erhältst Du von meiner Freundin Mod aus Thailand. Sie hat den Auftrag, Dich und andere in Falle meines Todes zu informieren. Ich möchte Dir noch mal danken für die schöne Zeit, die Du mit mir verbracht hast. Leider musste ich damals weiter, ich war nun mal so. Ich hoffe, … (Name des Kindes) geht es gut und Du hast ihnen/ihm/ihr eine gute Ausbildung verschaffen können. Sicher erinnerst Du Dich an den Umschlag, den ich Dir bei meinem Abschied gegeben habe. Es ist ein Testament. Mach ihn jetzt bitte auf. Unser Kind wird einen Teil meines Frankfurter Bankkontos erben. Ich hoffe außerdem, dass das Geld dem Kind und Dir Glück bringen und Eure Lebensumstände verbessern wird.

Siebzehn Millionen Euro sind ein schönes Stück Geld. Verteilt auf sechs Kinder sind es immer noch fast drei Millionen pro Kind. Als das herauskam, waren die vier Mütter im Ausland außer sich. So ein Wahnsinn! Natürlich waren sie mit der Aufteilung einverstanden, natürlich akzeptierten sie das horrende Honorar des Dr. Stark für seine Bemühungen. Gern reisten sie auch mit ihren Kindern nach Frankfurt, um die Schecks oder die Überweisungsquittungen auf Konten in Deutschland persönlich entgegenzunehmen.

Leider blieb es nicht bei dieser Harmonie. Susanne, die rothaarige, dralle Susanne, die Mutter des ersten Kindes Stefan, wollte alles. Sie, beziehungsweise ihr Sohn, seien schließlich die ersten gewesen, die bedacht wurden. Nun gut, sie war mit Hans nicht verheiratet gewesen, aber das waren die anderen auch nicht. Außerdem war in ihrem Testamentschreiben als einzigem nicht von anderen Erbberechtigten die Rede. Hans hatte damals ja noch nicht gewusst, dass er weitere herstellen würde. Susanne hatte in ihrem Leben nicht viel Glück gehabt. Männer waren gekommen und gegangen, berufliche Misserfolge und Krankheiten hatten sich eingestellt. Aus dem lebenslustigen Vollweib, das sie mit sechzehn gewesen war, war eine dürre, verbitterte Xanthippe geworden. Sie nahm sich einen eigenen Anwalt, der die Testamentsregelung anfocht und einen langen Streit mit fadenscheinigen Argumenten vom Zaun brach. Ergebnisse dieses wütenden Kampfes waren nur, dass die endgültige Regelung und Auszahlung des Geldes verzögert wurde und dass die Honorarabrechnung des neuen Anwalts wuchs und wuchs. Zum Schluss entschied ein Gericht gegen Susanne, und die sechs Kinder erhielten ihre Millionenbeträge, auch ihr Sohn Stefan, dem das Gezerre seiner Mutter längst schon peinlich war.

Fast in Vergessenheit war geraten, dass es im fernen Thailand noch eine Leiche zu versorgen gab. Der Haupt­erbe sollte über Mr Johns toten Körper bestimmen. Es gab aber nur gleichberechtigte Anteilserben. Und aus Angst vor Susannes Klagewut traute sich auch Anwalt Dr. Stark nicht, die Sache einfach übers Knie zu brechen.

(Fortsetzung in Ausgabe FA17/2023)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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