ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 21

(Fortsetzung von FA01/2023)

Zuerst die Jüngsten in ihren dunkelblauen Röcken oder Hosen und den hellblauen Hemden der Schuluniform. Dahinter die Größeren, die Jungen in Khaki, die Mädchen in Dunkelrot und Weiß. Eine kleine Gruppe in weißen und silbernen Fantasieuniformen. Dahinter eine andere mit dunkelbraunen Hemden und Hosen, aber mit giftgrün leuchtenden Handschuhen, die bis über den Unterarm reichen. Das sind die Cheerleader. Vor jeder Klasse marschiert stolz die zuständige Lehrkraft zur Marschmusik der Blaskapelle, die auf einer Tribüne auf der anderen Seite des Sportfeldes Aufstellung genommen hat. Die jaunernde Isaanmusik, die einem Ausländer Zahnschmerzen machen kann, ist noch verbannt. Einstweilen dröhnt es aus den Lautsprechern sehr westlich.

Nachdem alle angetreten sind, dem König gehuldigt haben und die Nationalhymne respektvoll mitgesungen haben, wird zum »Rührt Euch« geblasen, und alle Schüler legen sich auf die Wiese, möglichst im Schatten der Bäume oder auf ein paar Matten unter leichten Zeltdächern oder auf dem Geländer des Sportfeldes. Die große Tribüne ist den Besuchern aus der Stadt überlassen. Auch sie hat eine Zeltbahn über sich. Der Platz reicht aber nicht aus. So bildet sich ein dichter Ring um das zentrale Volleyballfeld. Wer keinen Schatten findet, behilft sich mit einem Schirm. Die Sonne sticht wie mit Säbeln, aber später ziehen Wolken auf. Vor dem Schulgebäude gibt es ein Sonnenzelt für die very important persons. Da thronen der Bürgermeister und die Direktorin, ein paar einflussreiche Eltern und einige Leiter von Fachbereichen. Der Stuhl des Polizeichefs bleibt lange leer. Er kommt angehetzt, als schon das erste Spiel beginnt. Musste ausschlafen. Schwaden von Grillrauch ziehen über die Menge. Ambulante Wurst- und Hähnchenbratereien, Pfannkuchenhersteller und Produzenten des berüchtigten Isaansalats haben außerhalb des Schulgeländes an den Zugängen Aufstellung genommen.

Zum Auftakt vor den Spielen gibt es die Aufführung der Cheerleader. Die etwa dreißig Braungewandeten mit den Handschuhen sitzen auf einer kleinen Tribüne aus Rohren, die für sie herangetragen wurde. Ein Trommler mit zwei Trommeln nimmt daneben Aufstellung. Zum rhythmischen Gesang und Rufen der Großgruppe bewegen sich nun die Silbernen. Es sind etwa zehn, auch zwei Ladyboys dabei, die besonders lasziv die Hüften drehen können. Sie tanzen nach einer offenbar lange eingeübten Choreographie.

Die Spiele erfüllen alle Wünsche nach hochklassigem Volleyball. Bei den gemischten Spielen gewinnt zum Jubel der Städter nicht die Mannschaft mit den drei Siegerinnen, sondern die, in der nur zwei davon spielen. So schlecht sind unsere Mädchen gar nicht, anscheinend merkt das nur keiner, freut man sich in der Menge. Später, beim Spiel der Südostasiencupsiegerinnen gegen eine Auswahl aus der Stadt, hat die Stadt aber keine Chance. Hier und da gönnen die Siegerinnen ihren Gegnern mal ein Pünktchen, das ist aber auch alles. Sie zeigen wahre Wunder an Reaktionsschnelligkeit, Koordination und Steigvermögen in den Himmel über dem Netz.

Sie wissen gar nicht, wie viel Sie für uns getan haben, sagt der Bürgermeister später zur schwer atmenden Saaphaa, als diese vom Spielfeld kommt. Ich erkenne meine Stadt kaum wieder. Sie fördern unseren Lokalpatriotismus. Gucken Sie sich die Leute an. Wie froh, wie fröhlich, wie stolz auf unsere Schule und unsere Stadt. Danke dafür! Vielen, vielen Dank!

* * *

Der denkwürdige Tag ist vorüber. Weitere Feste sind vorüber und auch viele alltägliche Schultage. Mr John gehört weiter zum Inventar. Seine Englischstunden folgen nach wie vor ihrer unkonventionellen Didaktik. Eine Pensionierung entfällt, denn zum einen ist sein Status als thailändischer Arbeitnehmer mit ausländischen Wurzeln unklar. Als Lehrer im Staatsdienst bekäme er mit sechzig eine Rente, die gar nicht so schlecht wäre. Aber ist er Lehrer im Staatsdienst? Frau Anuthida hüllt sich in Schweigen. Nur zwei-, dreimal hat sie in den letzten Jahren in der City Hall, also dem Bürgermeisteramt, lange, anstrengende Gespräche geführt, um gemeinsam mit den Beamten einen Dreh zu finden, wie man Mr John halten kann. Er selber kümmert sich um solche Sachen überhaupt nicht. Er arbeitet eben hier. Und sein Geld bekommt er auch. Und damit basta! Zum anderen weiß kein Mensch, wie alt John ist. Vielleicht hat er es selbst vergessen. Zum wievielten Mal ist er schon sechzig geworden? Ist er siebzig? Oder fünfundsiebzig? Oder vielleicht doch erst fünfundsechzig? Vielleicht ist er ja auch schon achtzig?

Mit Frau Anuthida isst er manchmal zu Abend, wenn sie ihn in ihr Haus einlädt, mehr nicht. Dann sitzen sie auf dem Vorhof zur Straße hin bei einem Wasser und bereden Schuldinge. Frau Kim, die Haushälterin macht in letzter Zeit ein besorgtes Gesicht, wenn sie mit ihren Nachbarinnen spricht. Er ist nicht ganz gesund, ich spüre das. Kenne ihn jetzt schon zwölf Jahre. Er ist mir so ans Herz gewachsen wie damals mein Mann. Weiß natürlich nicht, was er hat. Aber denken Sie, der geht mal zum Arzt? Nichts da. Der sagt: Krank ist man, wenn man zum Arzt geht.

Drei Ehen hat Mr John gestiftet, seit die Verkupplung des deutschen Zahnarztes Max mit der Schönheit Phoo so gut geklappt hat. Zwei weitere Beziehungen sind außerehelich am Laufen. Eine der Ehen ist allerdings schon wieder zerbrochen. Der Mann ist ein gutmütiger Bauarbeiter aus dem Dörfchen Rottenegg bei Linz in Österreich gewesen. Er hat viel investiert, um seine zweiunddreißig Jahre jüngere Freundin nach Linz zu holen. Leider stellte sich heraus, dass ihm nichts daran lag, am Wochenende in die Disco zu gehen. Und seine junge Gattin wollte bald nicht mehr einsehen, dass das Einkommen eines Maurers zwar gut, aber doch begrenzt ist. Den Geländewagen für die Familie in einem Dörfchen bei Phung Daet hat er noch finanziert. Die Reparatur des Hauses auch. Aber als es nun ein neues Haus sein sollte, das er nicht nur mauern, sondern auch bezahlen sollte, hat er sich überfordert gefühlt.

(Fortsetzung in Ausgabe FA03/2023)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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