ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 18

(Fortsetzung von FA24/2022)

Sie waren in Chiang Mai, dann im Goldenen Dreieck – blödsinnig touristisch dort, sagt Max –, dann haben sie die große Motorradtour gemacht, den sogenannten Mae Hong Song Loop, über Chiang Rai, Pai, Mea Hong Song, den Doi Inthanon, den höchsten Berg Thailands – furchtbar kalt da oben, wirft Phoo ein, stellen Sie sich vor: dreizehn Grad! – zurück über kleine Städtchen wie Khun Yuam und Mae Sariang wieder bis nach Chiang Mai. Alles auf einer nagelneuen PCX, die Max kurzerhand gekauft hat.

Die Maschine bleibt bei Phoo, wenn ich wieder nach Deutschland muss, sagt Max.

Die beiden wohnen im besten der drei Hotels der Stadt. John hat ihnen sein Sofa im zweiten Stock angeboten. Aber er war froh, als sie dankend ablehnten, und die beiden hatten das geahnt. Am nächsten Tag will sich Phoo mal bei ihrer Mutter blicken lassen.

Kannst du morgen noch mal allein vorbeikommen?, bittet John den verliebten Max.

Am nächsten Tag am späten Nachmittag klingelt Max durch, und eine halbe Stunde später ist er bei John zu Hause.

Eigentlich geht es mich nichts an, sagt John, aber vielleicht erlaubst du mir eine Frage. Man ist schon von Anfang an beim Du.

Und die wäre?

Wie hast du dir die Sache vorgestellt? Wie soll es weitergehen?

Ich … ich glaube, mit Phoo habe ich etwas ganz Besonderes gefunden. Das ist so ein Gefühl, das hatte ich noch nie. Jedenfalls noch nie so stark. Großes Wort, aber es ist wohl … Liebe. Ja, wie soll es weiter gehen?

Max holt tief Luft und setzt zu einer längeren Erklärung an, aber John unterbricht ihn: Bitte lass mich erst mal reden. Ich will hier niemanden bevormunden. Natürlich könnt ihr beide machen, was ihr wollt. Aber ich möchte dir etwas sagen. Lass es mich direkt formulieren: Du wirst es schon gehört haben, bei den Beziehungen zwischen einem Thaimädchen oder einer Thaifrau mit einem sogenannten Farang geht es immer um Geld. Viele Nörgler sagen, in Wirklichkeit gehe es nur ums Geld. Viele Blauäugige sagen, Geld sei nur so ein Beiwerk, notwendiges Übel, in Wirklichkeit sei es Liebe.

Davon habe ich schon gehört, wirft Max ein. Ich bin vielleicht ein bisschen doof, aber nicht blöd.

Einem alten Dicken, der sich nicht oft genug wäscht, würde ich raten: Lass die Finger von einem der jungen Thai-Dinger! Das würde er wahrscheinlich trotz meines Rats nicht tun. Die Mädchen sind zu attraktiv und am Anfang zu lieb. Die Fälle, bei denen der Ausländer am Ende bettelarm und natürlich ohne die Geliebte dasteht, gehen in die Hunderte.

Ich bin kein alter Dicker, der sich nicht wäscht.

Weiß ich. Deswegen meine ich auch: Versuch es! Ich habe die Sache ja selbst eingefädelt. Wie könnte ich jetzt dagegen sprechen. Vielleicht gelingt mal etwas. Muss ja nicht immer alles schiefgehen. Aber die Sache mit dem Geld spielt trotzdem eine Rolle. Willst du sie heiraten?

Nein!, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Ich kann nicht heiraten. Aus gesundheitlichen Gründen. Wenn ich verheiratet bin, kriege ich keine Luft mehr. Ich muss ins Krankenhaus und künstlich beatmet werden. Habe das in Deutschland mal versucht. Am Tag, an dem ich zum Standesamt sollte, bin ich morgens im Bett fast gestorben. Schweißausbrüche, Atemnot. Ich habe mich angezogen, habe mich zum Bahnhof geschleppt, bin nach Berlin gefahren, habe mich bei einer alten Freundin einquartiert und drei Wochen keinen Laut gegeben. Getrunken habe ich in der Zeit auch ein wenig. Meine Verlobte und ihre Familie natürlich schwer sauer. Sie haben den Kontakt abgebrochen. In Berlin bin ich dann gleich geblieben.

Erstaunlich, erstaunlich, sagt John. Sicher auch ganz vernünftig. Wirst du ihr Geld schicken, wenn du nicht da bist?

Knifflige Frage. Bis jetzt habe ich monatlich so viel gearbeitet, wie ich gerade Geld brauchte. Ich kenne einige Ärzte, die Praxen haben. Sie wissen, dass ich ihnen keine Schande mache, wenn sie mich rufen. Ich will mich ja nicht loben, aber ich glaube, ich bin ein guter Zahnklempner. Habe sogar einen Doktor, aber sag das niemandem. Wenn ich Phoo, sagen wir fünfhundert Euro monatlich schicke, muss ich nur zwei Tage mehr arbeiten. Das wäre mir diese Frau wert.

Sonst sage ich immer: Schickt kein Geld. Es wird doch nur verwendet, um teuren Schnickschnack oder ein Auto zu kaufen oder um zu Hause auf der faulen Haut zu liegen. Aber – jetzt schnieft John geräuschvoll, was ihn dazu zwingt, gleich darauf kräftig zu gähnen –, aber bei Phoo liegen die Dinge etwas anders. Denen geht’s zu Hause wirklich dreckig. Die Mutter kann kaum noch arbeiten, und Phoo verdient einen Hungerlohn, wenn sie überhaupt Arbeit hat. Dazu kommt ein Bruder, der ein Halunke ist. Er hat schon in der Schule nichts getaugt. Damals war er faul und hinterhältig, heute ist er dazu noch versoffen und drogenabhängig. Die Mutter mit ihrem weichen Herzen gibt ihm trotzdem immer wieder von ihrem letzten Geld.

Phoo hat so etwas angedeutet. Aber richtig offen hat sie nicht geredet.

Über etwas anderes wird sie ebenfalls nicht geredet haben: Der Bruder will von Phoo etwas Bestimmtes, und die Mutter ist inzwischen so weit, dass auch sie das als letzten Ausweg sieht.

Was soll das sein?

Sprich bitte mit niemandem über das, was ich dir jetzt sage: Phoo soll in eins der Touris­tenzentren gehen. Nach Koh Samui, Phuket, Bangkok, am liebsten aber nach Pattaya. Kurz gesagt, sie soll anschaffen gehen!

Uff.

Viele, viele Mädchen auch aus unserer Stadt und aus unserer Provinz machen das. Und zu Hause steht bald ein neues Auto oder sogar ein neues Haus. Du kannst dir denken, was das bedeutet. Die Familie steigert ihren Wohlstand, die Mädchen verrohen. Sie werden zu Nutten, hier nennt man sie Bar Girls. Und die meisten haben, wenn sie altern und nicht mehr verdienen, nichts mehr. Alles ist ausgegeben, versickert. Viele bringen sich um.

(Fortsetzung in Ausgabe FA26/2022)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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