Zeitungen zum Geschehen am Freitag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zu Sylt-Video

Rechtssein gehört in vielen Milieus inzwischen zum guten Ton.

Das war früher nicht anders - neu ist, dass diese Kreise ihre Haltung schamlos zeigen - wie in einer Bar auf Sylt: Ein Haufen Leute grölt dort "Ausländer raus"-Parolen. Ein Ausrutscher? Wer nüchtern keine Nazi-Parolen schwingt, wird im betrunkenen Zustand nicht plötzlich zum Höcke. Die Empörung im Land über das Video ist groß. Gut so. Der Fall Sylt kann dazu dienen, auch dem letzten Gutgläubigen die Augen zu öffnen: Nicht nur unzufriedene, frustrierte Deutsche sind anfällig für rechte Parolen. So was kam und kommt auch in vermeintlichen Gewinnermilieus vor - und ist gerade dort besonders gefährlich. Denn: Wer auf Sylt feiert, gehört in der Regel zu jenen, die an den Hebeln sitzen - in den Unternehmen, in den Kanzleien, bei den Lobbyisten.


«Frankfurter Rundschau» zu IGH-Urteil/Israel

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat die israelische Regierung aufgefordert, die Offensive auf Rafah einzustellen.

Überraschend ist das nicht. Mehrfach bereits haben die Richterinnen und Richter Israel dringend ermahnt, das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza zu verringern, durch Zurückfahren der Attacken, durch Verbesserung der Versorgung. Ein wenig reagiert hat Israel angeblich. Es heißt, es gehe weniger massiv vor als geplant. Aber behutsamer ist eben nicht behutsam. Hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser, die vor den ersten Angriffen in Rafah Zuflucht gefunden haben, wurden nun erneut vertrieben. Dem Gericht fehlt dafür das Verständnis und das ist nachvollziehbar - auch wenn Tel Aviv die gleichermaßen verständliche Angst bleibt, ein auch nur kleiner Rest von Hamas-Terroristen könne Israel existenziell gefährlich werden. Aber eine sichere Umgebung schafft sich das Land durch hundertausendfaches Leid in seiner Nachbarschaft nicht.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Streit über Verteidigungsausgaben

Kürzlich überraschte der Verteidigungsminister (.) mit einer neuen Auslegung der Schuldenbremse, die sich so zusammenfassen lässt: Ohne Verteidigung ist alles nichts.

(.) Mit dem Grundgesetz hat dieser kühne Ansatz allerdings nichts zu tun. Wer Geld benötigt, muss das im Rahmen der geltenden Schuldenbremse begründen - oder ein neues Sondervermögen beantragen. (.) Wer jetzt angesichts des - unbestreitbaren - Reformstaus in Deutschland eine Lockerung oder Streichung der Schuldenbremse fordert, der braucht dafür nicht nur eine verfassungsändernde Mehrheit. Er muss auch wissen, dass die frühere, weichere Bremse in einen Schuldenstrudel geführt hat (.). (.) Das größte Geschenk für (.) Wähler wäre eine komplette (.) Aufgabenkritik sowie Kreativität - und zwar beim Sparen und Umschichten, nicht bei neuen Ausgaben. (.).


«Washington Post»: Trump-Prozess setzt Maßstäbe für weitere Fehltritte

WASHINGTON: Der historische Prozess gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump um Schweigegeldzahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels neigt sich dem Ende zu. Dazu schreibt die «Washington Post» am Freitag:

«Der Prozess hat das Land zurück in die letzten Tage des Wahlkampfs 2016 versetzt, als die Washington Post gerade über die (...) Aufnahme berichtet hatte, auf der Trump unbekümmert über sexuelle Übergriffe sprach: «Grab 'em by the pussy» (etwa: «Greif ihnen zwischen die Beine»). (...) Im Rückblick war dieser Vorfall der Beginn von Trumps uneingeschränktem Einfluss auf die republikanische Basis und der Anfang vom Ende für das, was von der traditionellen Partei noch übrig war. Diejenigen, die ihn im Herbst 2016 anprangerten, haben entweder die Politik verlassen - oder sich hinter Trump gestellt. (...)

Sicher, das Verhalten, um das es im New Yorker Prozess geht, erscheint im Vergleich zu den Anklagen, vor denen Trump in seinen zwei stockenden Verfahren auf Bundesebene steht, geringfügig. (...) Aber der New Yorker Fall und die Reaktion der republikanischen Führungsspitze darauf sind Punkte auf einem Kontinuum, bei dem das Verzeihen kleiner oder mittelgroßer ethischer Fehltritte zur Entschuldigung größerer führt. (...) Welches Urteil auch immer gefällt wird, die Öffentlichkeit wird sich fragen: Wenn Anschuldigungen wie die von Daniels dieses Jahr aufkämen - würde Trump dann überhaupt die Notwendigkeit verspüren, sie zu vertuschen?»


«Wyborcza»: Die langen Arme des Kremls in Europa

WARSCHAU: Polen will eine Kommission zur Untersuchung der Einflussnahme russischer Geheimdienste einsetzen. Dazu meint die polnische Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» am Freitag:

«Hinter unserer Ostgrenze tobt ein großer Krieg, ausgelöst durch die Aggression von Putins Russland. Die Angst vor einem Übergreifen auf Polen oder die baltischen Staaten ist keineswegs unbegründet. Seit Jahren führen Moskaus Geheimdienste einen hybriden Krieg - eine großangelegte Desinformationskampagne in westlichen Ländern, auch in Polen. In den vergangenen Jahren haben sie auch mehrere Attentate verübt, zum Beispiel in Großbritannien auf den ehemaligen russischen Agenten Sergej Skripal. Moskau kaufte auch effektiv Marine Le Pens Gruppierung Rassemblement National mit einem Kredit.

In einer solchen Situation müssen wir wissen, wie das russische Eindringen in unser polnisches öffentliches Leben in den vergangenen Jahren aussah. Dies ist wichtig für die Sicherheit des Staates und für die Sicherheit von uns Bürgern. Deshalb ist die Einsetzung einer Expertenkommission zur Untersuchung der russischen und belarussischen Einflussnahme ein sehr wichtiger und richtiger Schritt. Der Fall des Verrats und der Flucht des (polnischen) Richters Tomasz Szmydt nach Belarus hat uns wohl hinreichend bewusst gemacht, dass es reale und nicht eingebildete Spione unter uns gibt.»


«The Guardian»: Südafrika steht wieder an einem Wendepunkt

LONDON: Zu den Parlamentswahlen in Südafrika am 29. Mai meint der Londoner «Guardian» am Freitag:

«Rund 30 Jahre nach den ersten freien und fairen Wahlen in Südafrika steht das Land an einem weiteren Wendepunkt. Umfragen deuten darauf hin, dass der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) bei den Parlamentswahlen am Mittwoch zum ersten Mal seine absolute Mehrheit verlieren dürfte, auch wenn sich seine Zahlen in den letzten Wochen etwas verbessert haben. Trotz einiger vielversprechender Fortschritte im ersten Jahrzehnt der ANC-Regierung ging der politische Wandel des Landes nach dem Ende der Apartheid nie in angemessener Weise mit wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen einher. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts lag seit 2012 nur bei durchschnittlich 0,8 Prozent pro Jahr.

Es ist eine schwarze Mittelschicht entstanden, aber die Einkommensungleichheit ist außerordentlich hoch. Die obersten 0,1 Prozent besitzen 25 Prozent der Vermögen, während die unteren 50 Prozent mehr Schulden haben, als sie bezahlen können. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent, wenn man diejenigen einbezieht, die die Suche nach einem Job aufgegeben haben. Südafrikas Mordrate ist eine der höchsten der Welt und die Probleme im Bildungswesen sowie die bröckelnde Infrastruktur sind Quellen der nationalen Verzweiflung.»


«Corriere della Sera»: Peking testet die dritte Front

MAILAND: Zu Chinas großangelegter Militärübung vor der Inselrepublik Taiwan schreibt die italienische Zeitung «Corriere della Sera» am Freitag:

«Was bezweckt Xi Jinping mit dem Militärmanöver, das Taiwan einkreist? In der Propaganda wird ein politisches Ziel genannt: die Bestrafung des neuen Präsidenten Lai Ching-te, den er als Verräter bezeichnet. Der Ton ist schärfer als in der Vergangenheit, brutal, aber der persönliche Hass der Kommunistischen Partei auf Lai war bekannt. (...) In Wirklichkeit schwingt Xi derzeit den Säbel des Wiedervereinigungskrieges, um es den USA und ihren Verbündeten in Europa und im Pazifik zu zeigen. Im Grunde beschwört er das Schreckgespenst der dritten Front nach der Ukraine und Nahost herauf. Eine Aussicht, von der er hofft, dass sie das westliche Lager einschüchtern, spalten und lähmen wird. (...)

Xi hat Grund zu der Annahme, dass die Hypothese einer dritten Front für die chinesische Supermacht spricht. Im Gegensatz zu Wladimir Putin ist er bisher kein Zocker gewesen. Er weiß, wie man abwartet. (...) Xi verweist auf die Debatte im Westen, die sowohl im Falle der Ukraine als auch Israels bisweilen nicht mehr zwischen dem legitimen Überlebenswillen des Angegriffenen und dem Angriff des Aggressors unterscheidet und das Opfer als mitverantwortlich, wenn nicht gar als schuldig betrachtet. Auch der chinesische Staatschef will dem Chef der rivalisierenden Regierung das Recht absprechen, zu denken und zu sprechen. Und er hat den Alptraum der dritten Front auf seiner Seite.»

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