Liebe Leser,
seit Jahren habe ich Ihnen vom Glück meiner Ehe mit Nai, meiner Herzallerliebsten, erzählt.
Ich habe viele Zuschriften von Lesern erhalten, die uns um unser Glück beneideten, aber auch andere, in denen bezweifelt wurde, dass es auf längere Zeit soviel Harmonie zwischen einem Farang und einer Thai geben könnte. Doch, es gab sie. Wir waren ein Herz und eine Seele. Mehr als acht Jahre lang waren wir ein glückliches Paar. Carolus und seine Herzallerliebste führten ein ausgefülltes Eheleben. Das war, ehe die große, weltweite Krise auch bei uns zur Ehekrise führte. Gewiss, davor gab es auch mal Streitereien und Missverständnisse, die meistens auf unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen basierten. Aber immer fanden diese Auseinandersetzungen ihr schönes und oft höchst befriedigendes Ende.
Um die Wahrheit zu sagen: das hat sich im neunten Jahr unserer Ehe allmählich verändert, schleichend, ich könnte nicht einmal sagen, warum. Irgendwie ist Nai für mich gar nicht mehr erreichbar. Sie geht oft ihre eigenen Wege, hat ihre eigenen Pläne und macht was sie will. Sie ist mir fremd geworden, obwohl ich sie immer noch liebe. Sie wird – und das scheint eines ihrer Probleme zu sein - in einigen Monaten vierzig Jahre alt, sieht aber für mich immer noch attraktiver aus als die meisten jüngeren Frauen, denen ich begegne.
Okay, auch ich bin älter geworden, werde bald achtundsechzig, aber gefühlt,
…na, lassen wir das, ein Jüngling bin ich jedenfalls auch nicht mehr.
An der gegenseitigen Entfremdung leidet Nai meiner Meinung nach ebenso wie ich. Wir wissen beide nicht, was mit uns geschehen ist.
Ich sagte ihr: „Du hast dich total verändert.“
Sie antwortete: „Du hast überhaupt kein Interesse mehr an mir.“
Martin, ein guter Freund, der kürzlich bei uns zu Gast war, brachte es auf den Punkt.
Er sagte: „Euer Eiapopeia war doch nichts anderes als ein schlechter Kitsch- Roman. Ihr seid jetzt in der Realität angekommen. Willkommen! Auch hier lebt und liebt man, aber mit all den Problemen, die sich im Alltagsleben ergeben. Werdet doch endlich mal erwachsen und akzeptiert, dass Honeymoon kein Dauerzustand ist.“
Das war harter Tobak, aber vielleicht hat er ja recht.
Wenn ich es genau bedenke, fällt mir ein, dass wir uns über all die Jahre nie auf dem gleichen Level begegnet sind. Ihr Lebensgefühl, ihr Geisterglaube, ihre Familienbande und ihre Weltsicht sind mir letztlich fremd geblieben. Und sie hat natürlich auch von meinen Wurzeln und meiner Lebensart kaum etwas begriffen.
Heute würde ich sagen, unsere Liebe, die Zärtlichkeit füreinander und der Sex haben bislang alles überdeckt. Nichts wurde hinterfragt, und jetzt, wo der Sex nicht mehr die alles dominierende Rolle spielt, rächt sich dieses Versäumnis.
Kürzlich las ich einen Spruch, der mich traurig machte. Er lautet:
Liebe ist das einzige Märchen, das nicht mit „es war einmal“ beginnt, son- dern damit endet.
Nein, ich werde um unsere Ehe kämpfen. Die vielen glücklichen Jahre, die ich mit meiner Herzallerliebsten erlebt habe, haben schließlich eine Basis geschaf- fen, die von vorübergehenden Entfremdungen nicht zerstört werden darf. Das wirft man doch nicht einfach so über Bord.
Ich bin fest entschlossen, alles zu versuchen, damit meine Herzallerliebste und ich eine gemeinsame Zukunft haben. Ob Nai auch dazu bereit ist, wird sich zeigen. Und auch, ob der Versuch glücklich endet. Ich bleibe optimistisch.
In diesem Sinne grüße ich Sie. Carolus