Das sogenannte „Verflixte 7. Jahr“ habe ich mit meiner Herzallerliebsten ohne größere Schwierigkeiten überstanden. Auch im achten Jahr lief alles gut. Aber jetzt, im neunten Jahr, beginnt sie gelegentlich zu zicken. Ich versuche es damit zu erklären, dass sie in die Wechseljahre gekommen ist. Das ist so etwa wie die Krise der Lebensmitte beim Mann. Da stellen sich Fragen wie: Soll das schon alles gewesen sein? Gibt es nicht noch andere Chan- cen für mein Leben? Wer mit diesen Fragen seine Tage füllt, wird sich wohl kaum in den Alltagstrott einfügen. Für mich bedeutete diese Zeit damals, dass ich mich nach Thailand absetzte. Und jetzt steckt meine Herzallerliebste in dieser Krise: Immer wieder versucht sie auszubrechen aus unserer relativ harmonischen Welt, verreist ohne vorherige Ankündigung, bleibt nächtelang bei irgendwelchen Freundinnen oder verschwindet vorübergehend auf einer sogenannten Beauty-Farm und erklärt mir danach, dass sie ihr Lebensziel noch nicht gefunden hätte, dass sie deshalb auf der Suche sei.
„Callolo, das verstehst du doch – oder? Wer im Leben kein Ziel mehr hat, der ist praktisch tot.“
„Und dein Ziel?“
„Ich bin auf der Suche danach, Callolo.“
„Vielleicht ist dieser Weg dein Ziel.“
Dieses Argument beschäftigt sie einige Zeit, weil sie weiß, dass es für jeden Buddhisten nur ein letztes Ziel gibt.
Aber sie fühlt sich noch immer im Anfangsstadium auf dem langen Weg ins Nirwana. Sie will hier noch etwas bewirken, helfen und gleichzeitig Anerkennung erhalten.
„Du könntest im Waisenhaus Englisch-Unterricht geben“, schlage ich ihr vor, oder im AIDS-Hospital als Schwestern-Helferin arbeiten.“
„Du hast mich nicht verstanden, Callolo, ich will keine Mutter Theresa
werden, sondern zu mir finden.“
„Und wie soll das passieren?“
„Was weiß ich? Es geht um meine Rolle in diesem Leben.“
„Du bist meine Frau.“
„Ja, und du bist mein Mann. Aber das kann doch nicht alles gewesen sein.“ “Ich verstehe nicht, was du erwartest.“
„Das verstehe ich auch nicht, Callolo, es ist nur so ein Gefühl, eine Leere, als ob da noch etwas kommen müsste.“
Dem half ich nach, indem ich, ebenfalls ohne vorherige Ankündigung, unser Haus verließ und für einige Tage bei einem Freund unterkam.
Plötzlich schien meine Herzallerliebste begriffen zu haben, wo und an wessen Seite ihr Platz im Leben war. Sämtliche meiner Freunde und Bekannten bat sie, mir auszurichten, alles sei wieder gut, wenn ich nur zurückkäme.
Tränenüberströmt fiel sie mir bei meiner Rückkehr um den Hals:
„Callolo, ich habe doch nur dich. Du bist doch mein Ein und Alles. Was wäre ich denn ohne dich?“
Am anderen Morgen fand ich auf dem Frühstückstisch einen Zettel:
„Ich bin bald zurück, Callolo. Mach dir bitte keine Sorgen.“ Ich weiß nicht, wie Sie darauf reagieren würden.
Ich war stinksauer.