Noch kein bisschen Frieden nach dem Friedensgipfel

Anwesende während der Plenarsitzung des Gipfels zum Frieden in der Ukraine in Stansstad bei Luzern. Foto: epa/Urs Flueeler
Anwesende während der Plenarsitzung des Gipfels zum Frieden in der Ukraine in Stansstad bei Luzern. Foto: epa/Urs Flueeler

OBBÜRGEN: Es ist der erste Versuch, auf höchster Ebene einen Friedensprozess für die Ukraine in Gang zu bringen. Die Ergebnisse des zweitägigen Gipfels in der Schweiz sind aber eher ernüchternd.

Uneinigkeit beim Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz: Die Abschlusserklärung wurde am Sonntag nur von 80 der 93 Teilnehmerstaaten gebilligt. Mächtige Länder wie Brasilien, Indien, Südafrika und Saudi-Arabien scherten aus. In dem nur gut zweiseitigen Dokument wird unter anderem die Drohung mit Atomwaffen verurteilt, die Rückkehr von nach Russland verschleppten Kindern gefordert und der ungehinderte Getreideexporte aus der Ukraine verlangt.

Zu einer Nachfolgekonferenz findet sich in der Erklärung keine klare Aussage. Die Unterzeichner sprechen sich aber dafür aus, Russland an künftigen Beratungen zu beteiligen: «Wir glauben, dass die Einbeziehung und der Dialog zwischen allen Parteien notwendig ist, um Frieden zu schaffen.»

Selenskyj verspricht baldigen Nachfolgegipfel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versicherte, dass bald ein zweiter Gipfel folgen soll. Entsprechende Vorbereitungen würden nur Monate und nicht Jahre dauern, versprach er auf der Abschluss-Pressekonferenz nach dem zweitägigen Treffen auf dem Bürgenstock, einem Bergrücken über dem Vierwaldstättersee. Einige Staaten hätten bereits ihre Bereitschaft signalisiert, Gastgeber eines solchen Gipfels zu sein. Als Favorit gilt Saudi-Arabien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, die Voraussetzung für eine Teilnahme Russlands sei, dass sich Moskau zur UN-Charta bekenne.

Der Gipfel in der Schweiz war nach mehr als zwei Jahren russischem Angriffskrieg gegen die Ukraine der erste Versuch auf höchster Ebene, Wege zum Frieden auszuloten. Die Erwartungen wurden schon vorher gedämpft. Bundeskanzler Olaf Scholz, der am Samstag vom G7-Gipfel in Süditalien in die Schweiz reiste, sprach in den vergangenen Wochen immer wieder von einem «zarten Pflänzchen», das gepflegt werden müsse.

Biden sammelte lieber Wahlkampfspenden

Die Schweizer Gastgeber hatten sich monatelang darum bemüht, möglichst viele Staaten zur Teilnahme zu bewegen. 160 wurden eingeladen, mehr als 90 sagten zu, die zu einem großen Teil von Staats- und Regierungschefs vertreten wurden. Aber einige fanden die Veranstaltung auch von vorneherein nicht wichtig genug. US-Präsident Joe Biden reiste anders als Scholz vom G7-Gipfel lieber zum Sammeln von Wahlkampfspenden nach Los Angeles und ließ sich von seiner Stellvertreterin Kamala Harris vertreten.

Auch wenn sie Russland nicht einluden, bemühten sich die Schweizer Organisatoren darum, möglichst viele mit Russland befreundete Länder an den Tisch zu bekommen. Mit China sagte aber der wichtigste Verbündete Moskaus ganz ab, Brasilien schickte nur einen Beobachter, Indien und Südafrika waren unterhalb der Ministerebene vertreten.

Keine klare Verurteilung Russlands in Abschlussdokument

Der Entwurf der Abschlusserklärung nahm trotzdem Rücksicht auf die Freunde Russlands, um einen möglichsten großen Konsens herzustellen. Russland wird darin nicht ausdrücklich für seinen Angriff auf die Ukraine verurteilt und auch nicht zum Rückzug aufgefordert.

Das Dokument beruft sich stattdessen auf die Charta der Vereinten Nationen. «Insbesondere bekräftigen wir unser Bekenntnis zum Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates», heißt es in dem Text. Die Grundsätze der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen müssten geachtet werden. Das schließe die Ukraine ein.

Acht G20-Länder stehen nicht hinter der Erklärung

Aber auch das funktionierte als kleinster gemeinsamer Nenner nicht. Unter den 13 Ländern, die ausscherten, sind alleine 6 Staaten aus der G20-Gruppe der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt: Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika, Indien und Indonesien. Zusammen mit China und Russland, die gar nicht dabei waren, können sich also 8 Länder der einflussreichen G20 nicht hinter der Erklärung versammeln.

Als konkretes Ziel ist darin neben der klaren Absage an einen Atomwaffeneinsatz der Schutz des von Russland besetzten Atomkraftwerks Saporischschja formuliert. Der ebenfalls festgeschriebene ungehinderte Getreideexporte aus der Ukraine ist gerade für arme Länder etwa in Afrika von großer Wichtigkeit, die auch bei dem Gipfel vertreten waren. Auch der Austausch aller Kriegsgefangenen wird gefordert.

Die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd räumte nach dem Gipfel ein, dass die «Perspektiven und Ausgangspositionen sehr unterschiedlich» gewesen seien. Aber immerhin habe zum ersten Mal eine hochrangige und breit gestützte Konferenz über einen Friedensprozess gesprochen, sagte sie.

Lösung noch in weiter Ferne

Wie weit eine Friedenslösung entfernt ist, hatten unmittelbar vor dem Gipfel Äußerungen aus Moskau deutlich gemacht. Russlands Präsident Wladimir Putin nannte seine Bedingungen für Verhandlungen - darunter der vollständige Verzicht der Ukraine auf die Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja und die Schwarzmeer-Halbinsel Krim - etwas mehr als ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris wies Putins Forderung am Samstag als abwegig zurück. «Wir müssen die Wahrheit sagen. Er ruft nicht zu Verhandlungen auf, er ruft zur Kapitulation auf», sagte sie - und sicherte der Ukraine anhaltende Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zu. «Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist.»

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Thomas Sylten 19.06.24 19:30
Dank an Ole und Marc
Es stimmt natürlich dass Diplomatie bei solch verfahrenen Situationen nur in (sehr) kleinen Schritten arbeiten kann - und man den ganzen Prozess, der ja noch lange nicht abgeschlossen ist, sehen muss.

Eure Aussagen sind geeignet, mir meinen angesichts der vielfältigen nicht im Ansatz gelösten Probleme zunehmend abhanden kommenden Optimismus zumindest teilweise zurückzugeben. Dank dafür!
Ole Bayern 18.06.24 14:50
Es haben 92 Länder teilgenommen ...
...und sich immerhin haben 80 Länder auf eine Abschlußerklärung geeinigt. Und hier muß ich Hr. Deschamps vollumfänglich recht geben, Diplomatie ist hin und wieder nur eine durch kleine Schritte zum Erfolg zu führen. Und hier ist die CH mit ihrer Neutralität, auch wenn sie Maßnahmen gegen RU unterstützt, ein sehr guter Ort für Gespräche und Verhandlungen.
Und in RU selbst sieht die Situation vollkommen anders aus , als von der TASS - Kriegspropaganda immer wieder vorgegaukelt. Ich war am vergangenen WE auf eine kleine Feier eingeladen, wo auch eine in D tätige und schon lange lebende Akademikerin zugegen war. Obwohl wir eigentlich auf Wunsch des Gastgebers darauf verzichten sollten, politische Gespräche zu führen, wollte sie sich trotzdem mit mir unterhalten, da ich sie schon mehr als 20 Jahre kenne. Sie sagte aus Informationen 1. Hand, daß derzeit lange Schlangen von Menschen in RU vor den Banken stehen, um ihre Geld zu sichern. Vertrauen sieht anders aus !
Rubel kann zur Zeit in $ überhaupt nicht mehr gewechselt werden. Die " obere " Schicht der Beamten ist keineswegs begeistert von Putin, nur öffentlich sagen kann man es nicht, wie in D eben auch von im 3.Reich. Viele haben Besitz verloren, können nicht mehr frei reisen, und deren Kinder können nicht mehr im westl. Ausland studieren.
Dies frustriert viele Menschen in RU.
Übrigens, die Konferenz von Jalta 1944 fand auch ohne den Hautakteur des WK II A. Hitler statt, und besiegelte dennoch das Ende des 3. Reiches. VG Ole
Marc Deschamps 18.06.24 13:22
Frieden und Diplomatie - gute kleine Schritte…
Diplomatie geschieht niemals in grossen Schritten. Viel kleine Schritte sind nötig.
Und dieser erste kleine Schritt von der kleinen Schweiz ist ein grosser erster Schritt.
Well done! Weiter so und dran bleiben.
Und die Nörgler sollen gleich aufhören mit ihren destruktiven Kommentaren. Sie sollen selber was machen oder schweigen.
Danke
Thomas Sylten 17.06.24 16:50
Das hat ja nicht einmal gereicht den Schein zu wahren - nur peinlich: Ein ernsthafter, gar gemeinsamer Fahrplan Richtung Frieden sieht wohl doch anders aus.

Ich fürchte mehr und mehr dass unsere Generation die Probleme von heute leider nicht gebacken kriegt - nur noch jämmerlich, unsere Damen und Herren "Vertreter"..
Helge Fitz 17.06.24 14:30
Jetzt, wo die deutsche Rüstungslokomotive ins Rollen kam, werden neoliberale Kräfte schon dafür sorgen, dass ihr die Bremsen demontiert werden !
Ingo Kerp 17.06.24 14:20
Das dürfte wohl insgesamt ein dürftiges und ernüchterndes Ergebnis des teuren UKR-Gipfels in der Schweiz gewesen sein. Nicht nur kamen nur etwa die Hälfte der eingeladenen Länder, zum Schlußkommunique scherten auch noch 13 Länder aus, u.a. auch Thailand. Man besprach und veroeffentlichte Allgemeinplätze, für die es keine Konferenz benoetigte.
Titus 17.06.24 14:20
Wer wirklich gehofft oder gar geglaubt hat, dass diese "Friedenskonferenz" das Wunder einer anständigen Absichtserklärung an den Tag bringen wird, dem muss man ein gewisses Maß an Naivität attestieren. Es wurde debattiert, aber die Uneinigkeit war nicht zu übersehen. Präsident Putin, als zweiter Hauptakteur neben Präsident Selenskyj wurde einfach nicht eingeladen! Was oder wem nützt ein Friedensgipfel ohne beide involvierten "Streithähne"? Herr Selenskyj tut sich einfach schwer, über seinen eigenen Schatten zu springen! Er lehnte bisher immer jegliche Direktbegegung mit Herr Putin ab. Dafür ein solcher, überdimensionierter Friedensgipfel ohne den 2. Hauptakteur zu veranstalten, ist eines Präsidenten nicht würdig. Erwachsene Menschen sollten doch in der Lage sein miteinander zu sprechen, ohne dabei über 90 "Nebenakteure" in die Schweiz einfliegen zu lassen!!!