50 Jahre nach dem geheimen Krieg der CIA in Laos

Löffel aus Bomben  

Im Ban Napia «Spoon Village» im Nordosten von Laos liegen Granathülsen, Munition und andere Waffenteile, die in der Gegend gefunden wurden. Foto: Carola Frentzen/dpa
Im Ban Napia «Spoon Village» im Nordosten von Laos liegen Granathülsen, Munition und andere Waffenteile, die in der Gegend gefunden wurden. Foto: Carola Frentzen/dpa

PHONSAVAN: Laos gilt als das meist bombardierte Land der Erde. Der geheime Krieg der USA scheint fast vergessen - aber die Bevölkerung leidet bis heute. Droht der Ukraine und Gaza ein ähnliches Schicksal?

«Alles hier in der Gegend ist aus Bomben gemacht», sagt Reiseleiter Kham Dee und zeigt auf die idyllische Landschaft der Provinz Xieng Khouang. «Öllampen, Kochtöpfe, Zaunpfähle, sogar die Kuhglocken.» Bei der Ankunft im Ban Napia «Spoon Village» im Nordosten von Laos wird klar, wovon er spricht. An Häuserwänden lehnen Fragmente von Streubomben, rostige Raketenwerfer, Stapel von Granaten, sogar der Flügel eines Militärflugzeugs. Die Waffenreste werden eingeschmolzen und in Nützliches verwandelt - Löffel vor allem. Die sogenannten Kriegslöffel sind in Laos ein begehrtes Souvenir.

Der südostasiatische Binnenstaat gilt - pro Kopf gemessen - bis heute als das meist bombardierte Land der Welt. Zwischen 1964 und 1973 flogen amerikanische Piloten hier im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA rund 580.000 Einsätze und warfen durchschnittlich alle acht Minuten eine Flugzeugladung Bomben ab.

Als vor 50 Jahren - am 3. Juni 1974 - die letzte Maschine der CIA-eigenen Fluglinie Air America das Land in Richtung Thailand verließ, waren 270 Millionen Streubomben gefallen. Dutzende Millionen detonierten nicht und blieben als heimtückische Blindgänger in Reisfeldern, Dschungeln und Wiesen zurück.

Ein Zeitraffer-Video im Besucherzentrum der britischen Minenräumorganisation MAG (Mines Advisory Group) in der Stadt Phonsavan zeigt, wie das Land Tag für Tag, Jahr für Jahr von einem unablässigen Bombenhagel bedeckt wurde. Ohne Wissen der Welt. Selbst der Kongress in Washington war nicht über den Krieg informiert, den die CIA in dem 13.000 Kilometer entfernten Land führte.

Dabei war Laos offiziell neutral, wurde aber schnell zum Spielball im Kampf der USA gegen den Kommunismus. Besonders betroffen von den Luftangriffen war der Nordosten an der langen Grenze zu Vietnam, durch den der berühmte Ho-Chi-Minh-Pfad verlief. Über diesen wurden während des Vietnamkriegs die nordvietnamesischen Truppen im Süden mit Nachschub versorgt. Gleichzeitig befürchtete die CIA einen Domino-Effekt und eine Ausbreitung des Kommunismus in ganz Südostasien, denn auch in Laos gab es eine pro-kommunistische Bewegung: die Pathet Lao.

Und so nutzte die CIA das «Land der eine Million Elefanten» als Basis für eine der größten Militäroperationen ihrer Geschichte. Sie rekrutierte zahlreiche Mitglieder verschiedener Bergstämme, allen voran der Hmong, stattete die Truppen mit Waffen aus und schickte sie in den Guerilla-Kampf gegen die Pathet Lao.

Ihr geheimes Hauptquartier war eine Stadt, die auf keiner Landkarte verzeichnet war: Long Cheng im laotischen Dschungel. Teilweise wohnten 40.000 Menschen auf der Luftbasis, und für einige Jahre war Long Cheng der meistbeflogene Flugplatz der Welt. «Wir kamen vom Himmel und zerstörten alles, was sie besaßen, alles, was sie liebten und schätzten», sagt der US-Anti-Kriegs-Aktivist Fred Branfman in der Arte-Dokumentation «Amerikas geheimer Krieg in Laos» von 2014.

Nach dem Inkrafttreten eines Waffenstillstandsabkommens zogen die USA sich aus Laos zurück - und hinterließen ein Land voller Bombenkrater und Blindgänger. Vielerorts schlummert die Streumunition noch immer im Boden - zumeist tennisballgroße Minibomben, «Bombies» genannt.

Der verniedlichende Name trügt: Seit dem Ende des Krieges sind Schätzungen zufolge mindestens 20.000 Menschen durch solche nicht detonierte Kampfmittel (UXOs) ums Leben gekommen. 40 Prozent davon waren Kinder. Droht den Menschen in der Ukraine und Gaza ein ähnliches Schicksal?

Experten sind davon überzeugt. «Die Ukraine wird jahrzehntelang unter Landminen und UXOs leiden, genau wie andere europäische Länder nach dem Zweiten Weltkrieg», sagte Henrik Færch, Direktor des dänischen Minenräumunternehmens Damasec Global Group, der Deutschen Presse-Agentur. In dem Konflikt hätten beide Parteien sowohl alte als auch hochmoderne Arten von Munition, Raketen, Streumunition und Landminen eingesetzt. «Zusätzlich werden von Drohnen abgeworfene UXOs in Zukunft viele Probleme bei den Räumungsarbeiten verursachen.»

Es könne rund 100 Jahre dauern, bis alle Kriegsrelikte in der Ukraine aufgespürt seien, sagte Færch. «Aber ich glaube eigentlich nicht, dass jemals alles geräumt sein wird.» Auch im flächenmäßig viel kleineren Gazastreifen zeichnet sich nach sieben Monaten Krieg ein ähnliches Bild ab, wie Pehr Lodhammar vom Minenräumdienst der Vereinten Nationen (UNMAS) im April mitteilte.

Durchschnittlich zehn Prozent der Munition, die bei Luftangriffen abgeworfen werde, bleibe als Blindgänger zurück, erläuterte er und fügte hinzu, es würde schon jetzt etwa 14 Jahre dauern, den Gazastreifen von allen UXOs zu befreien. Der frühere Air-America-Pilot Charlie Weitz bringt es in der Arte-Doku auf den Punkt: «Wenn man wissen will, wie im 21. Jahrhundert Kriege geführt werden, muss man zurück nach Laos schauen.»

Die Laoten haben in den vergangenen 50 Jahren gelernt - ja lernen müssen - mit den unzähligen, gefährlichen Relikten zu koexistieren und sie gar im Alltag zu nutzen. Der Englischlehrer Somchit Pouangsavat gießt seit 15 Jahren in seiner Hütte Löffel, Flaschenöffner und Schlüsselanhänger aus verschiedenen Waffenteilen, die in der Gegend gefunden wurden. 800 Stück am Tag schafft er manchmal in seinem kleinen Ofen. Viele werden auf Touristenmärkten in der Nähe als Andenken verkauft.

Jahrelang seien allein aus seinem Dorf Dutzende Einwohner von den heimtückischen Bombies getötet worden, erzählt er. Und auch wenn die Zahlen deutlich gesunken sind, werden noch regelmäßig Menschen getötet oder verstümmelt: Im vergangenen Jahr wurden 27 schwere Unfälle mit Blindgängern gemeldet, 2022 waren es 20. Mehr als ein Dutzend Menschen starben, darunter mehrere Kinder. «Für uns geht der Krieg bis heute weiter», sagt Pouangsavat und dreht nachdenklich eine Granate in seiner Hand.

Die, die eine solche Explosion überleben, sind entweder erblindet oder haben Arme oder Beine verloren. Dazu passt der Titel eines Videos der Mines Advisory Group, das Besuchern die furchtbaren Folgen der CIA-Geheimoperation verdeutlicht: «Surviving the Peace». Denn nicht nur Konflikte wollen überlebt werden, auch in Friedenszeiten droht noch jahrzehntelang Lebensgefahr. In Laos hat ein halbes Jahrhundert nicht ausgereicht, um das Land vom Trauma eines fast vergessenen Krieges zu befreien.

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