Der russische Präsident Putin hält Liberalismus in der heutigen Zeit für obsolet. In einem 90 Minuten Interview mit der Financial Times vertritt er offen seine Sicht der Dinge und begrüßt das Erstarken sogenannter Rechtspopulisten in Europa. In seinen Augen ist Liberalismus nicht im Interesse der überwältigenden Mehrheit der Menschen. Nichtstun und Stillstand sind nach seiner Meinung keine Werte per se.
Auch in Osaka beim Treffen der G-20 Staats- und Regierungschefs konnte man einen gutgelaunten und manchmal sogar feixenden russischen Präsidenten beobachten, der sich relativ offen über die Entscheidungsschwäche europäischer Regierungen lustig machte. Die britische Regierungschefin hatte sich am wenigsten im Griff. Ihre Mimik beim Treffen mit Putin war eiskalt und sprach Bände. Das Video lohnt sich anzusehen.
Was passiert da gerade und warum jetzt? Weshalb platziert der kühl kalkulierende Putin in einem Interview mit der Financial Times ungefragt Botschaften, die den Westen ins Mark treffen. Die Antwort könnte lauten: Er propagiert eine Systemalternative.
Die jüngsten Ereignisse auf der politischen Weltbühne belegen, wie sehr Donald Trump mit seiner Amerika-First Politik die globale Statik verändert. Scharfmacher wie Steve Bannon und zahlreiche weitere Hardliner-Berater des US-Präsidenten (genannt Falken) werfen China heuchlerisch vor, die USA seit Jahrzehnten über den Tisch zu ziehen. Das stimmt zwar nicht, da die USA glänzend am Aufstieg Chinas mitverdient haben und sich alle Präsidenten bewusst waren was läuft. Dies ist jedoch im Zeitalter einseitiger Lagerberichterstattung nicht mehr von großer Bedeutung.
Russland und China stellen die Systemfrage
Auf der anderen Seite hat China den Schuss gehört. Egal wie man sich im kurzfristigen Streit um Zölle einigt, langfristig geht es um die Frage, wer die Welt Mitte des 21. Jahrhunderts anführen wird. Die Systemfrage einzelner Gesellschaften sowie liberale Werte wie Bürgerrechte und individuelle Freiheiten dürften neben Innovation und wirtschaftlichen Erfolgen im Zentrum des Wettstreits stehen. Die größte Gefahr für die dauerhafte Herrschaft der kommunistischen Partei in China könnte vom Wunsch der Menschen auf Freiheit und Selbstbestimmung ausgehen, wenn es dem Westen gelingt, traditionelle Werte der chinesischen Gesellschaft zu unterwandern und auszuhöhlen. Die jüngsten Proteste in Hong Kong zeigen anschaulich, welche Anti-Peking Dynamik praktisch über Nacht entstehen kann. Das Regime in China bereitet sich einerseits durch totale Überwachung der eigenen Bevölkerung auf einen Krisenfall vor, andererseits versucht man die weltweite Hegemonie der US-Amerikaner so rasch wie möglich zu beenden und durch wirtschaftliche Erfolge zu überzeugen. Die Finanzindustrie spielt dabei eine zentrale Rolle. Man stelle sich nur vor, China kauft Rohstoffe im größeren Stil von Russland und schafft eine Alternative zur Bezahlung mit US-Dollar, der sich immer mehr Länder anschließen. US-Sanktionen gegen einzelne Länder würden sehr schnell ihre Wirkung verlieren und die Vorherrschaft der USA wäre gebrochen. Vielleicht rührt die gegenwärtige exzellente Laune Putins ja daher, dass seine Gespräche mit der chinesischen Führung diesbezüglich viel weiter sind als sich der Westen und Trump dies momentan vorstellen.
Für den Westen geht es langfristig um nichts Geringeres als um die Verteidigung seiner zentralen Werte. Der Kampf für den Erhalt einer freiheitlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Grundordnung sollte jedem Bürger mehr als wichtig sein. Hier gilt es Flagge zu zeigen.
Von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit in der Auseinandersetzung der kommenden Jahre in der oben aufgezeigten Systemfrage wird dabei die Qualität des politischen Spitzenpersonals sein. China und Russland haben erfahrene Politiker mit Plan. Im Westen sieht es derzeit finster aus. Bei Trump kann man nicht wirklich sicher sein, wie sehr er und seine Administration in der Lage sind, langfristig und strategisch zu denken. Großbritannien ist gelähmt, die Regierung von Premierministerin May hat das Land in Handlungsunfähigkeit geführt und außenpolitisch isoliert. Die Europäische Union spielt außenpolitisch eine untergeordnete Rolle. Ein bisschen kann man daher schon verstehen, warum sich Putin derzeit ins Fäustchen lacht.
Über den Autor
Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.
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Warum soll der Liberalismus am Ende sein? Weil Putin sich ins Fäustchen lacht? Hat er Grund zum Lachen? Sein Land ist außenpolitisch isoliert, innenpolitisch extrem stark zerrissen, die Wirtschaft hängt irgendwo im letzten Jahrhundert fest und ist abhängig vom Weltmarktpreis fossiler Energieträger - einem Weltmarkt der immer noch von den USA und ein paar durchgeknallten Arabern dominiert wird. Vielleicht hat er ja sich ja deshalb so gefreut, weil die Ölpreise letzte Woche gestiegen sind? Man weiß es nicht.