ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 19

(Fortsetzung von FA25/2022)

Und ich bin der strahlende Ritter mit dem funkelnden Schwert, der aus dem fernen Königreich Germany kommt und das verhindert.

Der bist du. Oder der kannst du sein.

Beide schweigen eine Weile. Draußen wieder die Geräusche der abendlichen Gasse. Diesmal kommt lautes Vogelgezwitscher dazu. Eine Horde Hirtenmainas, eine Sorte der Stare, hält Konferenz in einem nahen Baum.

So ist die Lage, sagt John in die Pause. Ich wollte nur, dass du das weißt. Was du daraus machst, ist deine Sache.

Ich muss überlegen, sagt Max. Lass uns etwas trinken. Aus seinem kleinen Rucksack fördert er eine Flasche Wein hervor. In Thailand, wie bekannt, etwas Seltenes. John holt Gläser, und gemeinsam sitzen sie am Fenster im ersten Stock, der in Thailand schon der zweite Stock ist, und schauen runter auf die Gasse. Später kommt Phoo die Treppe herauf. Eine Weile sitzt sie bei ihnen und hält

mit Max Händchen.

Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Mr John, sagt Phoo leise. Sie haben mein Leben verändert. Sie haben mir so viel geholfen.

Keine großen Worte bitte, antwortet John. Davon bekomme ich immer Sodbrennen.

Dann brechen die beiden auf, und Mr John legt sich ins Bett.

* * *

Sie sind da! Zwar ist nicht die ganze Mannschaft mit zwölf Spielerinnen, Trainer, Trainerassistent, Arzt und Physiotherapeut angereist, aber immerhin sind vier Teamgenossinnen mitgekommen. Mit Saaphaa also fünf. Höhepunkt soll am Samstag ein Spiel gegen eine Auswahl der Besten aus dem Städtchen werden. Ein weiteres Spiel, bestehend aus drei Sätzen, soll schon am Morgen stattfinden. Bei diesem spielen Mädchen aus den höheren Klassen der Schule und einige aus der Stadt, die man für die Besten hält, mit den Siegerinnen in zwei gemischten Mannschaften. Nes, der Sportlehrer, setzt gewisse Hoffnungen in seine Schützlinge, mit denen er nach Kanada fahren will.

Als der Minibus, den die Stadtverwaltung von Phung Daet angemietet hat, am Freitagnachmittag vor der Schule eintrifft, schüttet es in Strömen. Es ist ein Tropenregen mit Blitz und Donner, bei dem man meint, man sei im Paläozoikum und die Erde bilde gerade erste Ozeane. Der Bus durchpflügt die Wasserströme auf der Straße und biegt mutig aufs Schulgelände ein. Die aufgeblendeten Scheinwerfer beleuchten die Bugwelle, die das Auto vor sich herschiebt. Wer würde glauben, dass schon eine Stunde später alles vergessen sein wird und dass der engere Kreis noch am gleichen Abend in der Freiluftbar des Hotels Royal Imperial – bestes Hotel am Platz – beisammensitzen wird.

Die fünf Spielerinnen sind da, Anuthida, die Direktorin ist da, der Bürgermeister und der Polizeichef sind da, und alle machen wichtige Gesichter. Weiter unten an der Tafel sitzen Khun Nes, der Organisator der morgigen Events, Eule, die durch ihre unverzichtbare runde Brille äugt, ihr Engländer Peter, weitere Lehrer der Schule und Leute aus der Stadtverwaltung. Ganz am Ende auch Mr John. Er freut sich, als er auch seine alte Schülerin Phoo und ihren neuen Freund Max unter den Gästen entdeckt. Die beiden wohnen sowieso immer im Imperial, wenn Max da ist. Es werden Reden gehalten, Getränke getrunken, Toasts ausgesprochen, Essen wird verzehrt. Eule und Mr John tauschen resignierte Blicke. Dieses offizielle Getue macht die ganze Stimmung kaputt. Saaphaa, die Spielführerin der Mannschaft, fasst sich zum Glück kurz und erzählt, dass sie damals vor Jahren oft die Mathestunden geschwänzt hat, um heimlich hinter dem Haus Volleyball zu spielen. Der Bürgermeister braucht etwas länger, um zu betonen, wie geehrt er sich fühlt und mit ihm die ganze Stadt, solche berühmten Gäste … und so weiter.

Der Abend ist schon fortgeschritten, es haben sich Grüppchen für die Unterhaltung gebildet, nur manchmal fliegt ein Scherzwort von einem Tischende zum anderen. Kurz bevor sich die ersten der etwa dreißig Anwesenden zum Aufbruch rüsten, erhebt sich Peter, der Engländer, von seinem Platz. Er klopft mit einer leeren Flasche Singha Bier an ein Glas und schaut in die Runde. Seine junge Eule neben ihm, peinlich berührt, weil er sich so exponiert, versucht ihn am Hemd wieder nach unten zu ziehen.

Bitte hören Sie mir einen Moment zu, beginnt Peter auf Thai. Ich möchte Ihnen etwas mitteilen, das Sie alle, aber besonders Khun Nes, unseren verdienten Sportlehrer, freuen wird.

Eule wird rot, übersetzt aber tapfer die letzten beiden Sätze, die Peter schon auf Englisch gesprochen hat.

Eule hat mich vor zehn Tagen in Bangkok angerufen und mir von dem großen Ereignis erzählt, das hier heute und morgen stattfindet, fährt Peter fort. Sie sagte mir, dass Khun Nes und sie selbst alles eingefädelt haben. Natürlich wollte ich gern dabei sein. Wir Engländer haben zwar nichts mit dem Südostasien Cup im Volleyball zu tun, aber wir spielen in Europa. So wollte ich nicht mit leeren Händen kommen. Ich ging zu unserem Botschafter, ein guter Mann übrigens. Wir haben ein paar Kontakte aktiviert, ein paar Mails geschrieben und ein wenig telefoniert.

Auch das letzte Gemurmel am Tisch ist verstummt. Eine Kellnerin stellt ihr Tablett voller Flaschen ab und hört zu.

Nun, ich weiß, dass Khun Nes seit langem davon träumt, mit zwei Teams der Schule, einer Mädchenmannschaft und einer Jungenmannschaft, nach Kanada zu einem Turnier zu fliegen. Bis jetzt hat das nicht geklappt.

Khun Nes, der auf der anderen Seite von Eule sitzt, atmet nur noch flach, Eule hofft, er vergisst das Atmen nicht ganz. Sie nimmt unter dem Tisch seine Hand und drückt sie auf ihren Schenkel.

Auch ich kann Ihnen leider keinen Ausflug nach Kanada bieten, obwohl die Kanadier im Commonwealth sind. Aber ich kann Ihnen hiermit eine andere Einladung überbringen:

Khun Nes, kommen Sie bitte mit zwei Mannschaften nach England. Sie sind eingeladen!

(Fortsetzung in Ausgabe FA01/2023)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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