Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Berliner Morgenpost» zu Faeser

Die Hinweise verdichten sich, dass die amtierende Bundesinnenministerin auch Spitzenkandidatin der SPD in Hessen wird.

Dieser Schritt ist gewagt. Schon jetzt säbelt die Konkurrenz gegen Faeser, sie könne am Ende beides nur halb machen: in Berlin regieren und in Hessen wahlkämpfen. In Hessen wird es womöglich um Schulpolitik gehen, um bessere Bahnverbindungen und den Bau von Infrastruktur in der hessischen Provinz. Als Innenministerin muss Faeser Zuwanderung steuern, Terroristen bekämpfen, Cybersicherheit gewährleisten. Das ist alles weit weg von Wiesbaden. Nur wer etwas riskiert, kann auch Erfolg haben. Siegt Faeser in Hessen über die CDU, wäre das ein riesiger Erfolg. Dann heißt es: Alles richtig gemacht - Bekanntheit im Bund genutzt, um lokal zu punkten. Nancy Faeser wird erst im Herbst wissen, ob sie das Risiko richtig kalkuliert hat.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Südamerikareise/Scholz

(...) In gewisser Weise erlebt der Westen auf solchen Besuchen die Umkehr alter Verhältnisse und die neue Realität der mul-tipolaren Welt.

Früher reisten Politiker aus dem stabilen Europa in den globalen Süden, um dort politische Lösungen für komplexe militärische Konflikte zu verlangen. Heute ist Europa wieder selbst ein Krisenkontinent und sieht sich in Lateinamerika, Afrika oder Asien mit der pauschalen Aufforderung konfrontiert, die Sache doch irgendwie beizulegen. Lulas Initiative für einen «Friedensklub» gehört in diese Kategorie. Der Schlüssel zu einem Ende des Krieges besteht nicht nur in der Wahl eines passenden Formats, sondern vor allem in einer Annäherung der Interessen (...). Das ist derzeit nicht zu erkennen. Gerade für die Europäer ist auch wichtig, wie der Krieg endet.


«Stuttgarter Zeitung» zu Faeser und ihrer möglichen Doppelrolle

Eines muss Nancy Faeser klar sein: Wer als Spitzenkandidatin antritt, sollte bereit sein, auch als Wahlverliererin in die Landespolitik zu wechseln.

«Wenn ich mich einer Aufgabe verschreibe, dann ohne Rückfahrkarte», gab der damalige CSU-Chef Horst Seehofer im Jahr 2012 Bundesumweltminister Norbert Röttgen zur nordrhein-westfälischen Landtagswahl mit auf den Weg. Röttgen wollte nicht hören - und verlor krachend.


«Handelsblatt» zu Novelle Energiewirtschaftsgesetz

Das Netz von heute ist deutlich anspruchsvoller als früher.

Es gibt bei der Steuerung kein simples Entweder-oder, dafür ist die dezentrale Energiewelt viel zu komplex. Das Netz der Zukunft muss beide Optionen vorhalten: Die Betreiber müssen im Zweifel eingreifen dürfen, und die Verbraucherinnen und Verbraucher sollten für vorausschauenden Stromverbrauch vergütet werden, wenn sie damit helfen, das Netz stabil zu halten. Aktuell könnten die meisten Stromkunden ihren Verbrauch nicht einmal flexibel steuern, selbst wenn sie es wollten. Ihnen fehlt die digitale Ausrüstung. Sicherlich gibt es viele Details bei den Vorschlägen für die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes, die noch geklärt werden müssen. Aber statt eine Debatte im Keim zu ersticken, sollte auf Augenhöhe diskutiert werden. In anderen Ländern ist die flexible Steuerung des Netzes längst Normalität.


«Frankfurter Rundschau» zu Verhältnis Großbritannien/EU/Brexit

Viele in Großbritannien denken wieder positiv über die EU.

Man darf darüber aber nicht vergessen: Der Brexit nahm seinen Anfang in der berechtigten Kritik an einer dysfunktionalen EU. Schadenfreude ist ein exakt so geschriebenes Wort der englischen Sprache. Man sagt aber eher: «Toldyou so.» Da schwingt dann ein grimmiges Mitgefühl gegenüber dem Gestrauchelten mit. Die EU könnte nun Großbritannien sagen: «Toldyou so.» (...) Aber die Einsicht einer Mehrheit in Großbritannien, dass Europa die Zukunft ist, sollte dem Kontinent in Erinnerung rufen: Der Brexit nahm seinen eigentlich ganz vernünftigen Anfang in der Kritik an einer dysfunktionalen EU, die von wenigen dominiert wird, die Lasten ungleich verteilt und die eben keine Union baut. Nun hat Brüssel in drei Brexit-Jahren und einem Jahr Krieg in der Ukraine schon Einsicht in seine eigenen Mängel bewiesen, aber noch nicht genug. Wenn Europa es noch mal mit der Insel probiert - dann muss es das auch mit sich selbst.


«La Repubblica»: Wahre Corona-Lage in China werden wir nie kennen

ROM: Zur Corona-Politik Chinas schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» aus Rom am Dienstag:

«Immer wenn die Politik die Wissenschaft ignoriert, kommt es zu Unglücken, und auch mit der chinesischen Gesundheitspolitik ist ein Unglück passiert, das sich seit Pandemie-Beginn in der Null-Covid-Strategie niederschlug. (...) Das Szenario änderte sich mit der viel ansteckenderen und unmöglich einzudämmenden Omikron-Variante. Auch dieses Mal sagten die Wissenschaftler dem aktuellen chinesischen Staatschef Xi Jinping, dass die Null-Covid-Strategie keinen Sinn mehr habe und es notwendig sei, den Westen nachzuahmen: flächendeckende Impfung und Schutz der Schwächsten. Leider hörte Xi Jinping nicht auf die Wissenschaftler, bis die Realität zwangsläufig auch ihm die Rechnung vorlegte. (...)

Was nach der Aufhebung der Null-Covid-Maßnahmen passiert ist und was gerade in diesen Tagen in China passiert, wissen wir nicht und wir müssen uns damit abfinden, es nicht zu wissen. Wir haben es mit einem Land zu tun, das nie ein Beispiel für Transparenz war, schon gar nicht in dieser Lage. Schätzungen gehen davon aus, dass fast alle Chinesen bald infiziert sein werden, mit tragischen Folgen für die Bevölkerung. Aber wie gesagt, finden wir uns damit ab: Solange es in China keine Demokratie gibt, werden wir die echten Zahlen nie kennen.»


«NZZ»: Netanyahus Beschlüsse verheißen nichts Gutes

ZÜRICH: Zur Gewalteskalation in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am Dienstag:

«Nun steht Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor der ersten handfesten Sicherheitskrise seiner jüngsten Amtszeit. Der erfahrene Politiker müsste aus Erfahrung wissen, was nun zu tun ist: Die Lage beruhigen, deeskalieren, für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen.

Doch die Beschlüsse, die sein Sicherheitskabinett am Sonntag gefällt hat, verheißen nichts Gutes. Zwar ist es folgerichtig, dass die Präsenz von Armee und Polizei in Jerusalem und im Westjordanland gestärkt wird. Andere Entscheide dürften hingegen dafür sorgen, dass sich die Spirale der Gewalt im Nahostkonflikt weiter dreht, angetrieben vom lodernden Drang nach Rache auf beiden Seiten.»


«De Telegraaf»: Krieg in Ukraine sorgt für Comeback der Panzer

AMSTERDAM: Zur Rückbesinnung auf die Stärke der Panzer, die die niederländischen Streitkräfte bis auf einige von Deutschland geleaste Exemplare bereits abgeschafft hatten, schreibt die niederländische Tageszeitung «De Telegraaf» am Dienstag:

«Der Krieg in der Ukraine hat zu einem auffallenden Comeback des Panzers geführt. Er fiel hier dem Sparzwang des Verteidigungsministeriums zum Opfer. Intern gab es beim Heer große Zweifel, wie zukunftsträchtig der Panzer war. Innerhalb eines Jahres hat sich der Blick vollkommen gewandelt und aus Den Haag kommt der Ruf nach Ehrenrettung. (...) Für den Panzer schien es 2012 tatsächlich nur noch eine viel kleinere Rolle zu geben. Die mächtige Waffe, von der die Niederlande zum Höhepunkt des Kalten Krieges gut 900 Exemplare besaß, war nicht mehr nötig, um einen russischen Aufmarsch in der norddeutschen Tiefebene zu stoppen. (...)

Es ist einer Gruppe sturer Offiziere beim Heer (...) zu verdanken, dass dennoch eine minimale Kapazität an Panzern behalten wurde, zwar nur geleaste deutsche Panzer, aber dennoch. Diese Offiziere wurden intern oft als Dinosaurier angesehen. Ihre Argumentation war, dass der Panzer ein unverzichtbares Element der Bodenstreitkräfte ist. (...) Der Krieg in der Ukraine beweist, dass sie mit ihrer Sichtweise Recht haben. Der Krieg hat so manche militärische Gewissheit an den Papierkorb verwiesen. Die wichtigste davon war die Annahme, dass es nie mehr zu einem großen Konflikt auf europäischem Boden kommen würde. Der Krieg in der Ukraine ist genau das und er erfordert die Waffen, mit denen er geführt werden muss. Vorhang auf für den Panzer.»


«Sydsvenskan»: Schweden sollte jetzt am besten nichts tun

MALMÖ: Die liberale schwedische Tageszeitung «Sydsvenskan» (Malmö) kommentiert am Dienstag den anhaltenden Nato-Streit Schwedens mit der Türkei:

«Präsident Erdogan spannt Schweden und Finnland für seine eigene Zwecke auf die Folter: Um beim heimischen Publikum vor der türkischen Wahl im Mai Stärke zu zeigen und die USA dazu zu bringen, Kampfjets vom Typ F-16 an die Türkei zu verkaufen. Auch wenn Erdogans Chancen, einen Keil zwischen Schweden und Finnland zu schlagen, minimal oder nicht vorhanden sind, bleibt der Fakt, dass der Nato-Prozess der Länder pausiert wurde. Was sollte Schweden jetzt tun? Vielleicht auf John Bolton hören, den früheren nationalen Sicherheitsberater von Donald Trump. «Ich würde überhaupt nichts tun», antwortete Bolton in einem Interview auf die Frage, was Schweden machen sollte, um mit der Türkei voranzukommen. Ein guter Rat. Sich nicht verleiten lassen, Tatkraft zu zeigen. Kühlen Kopf bewahren, auf Finnland, die Nato und USA vertrauen - und Erdogans innenpolitische Pirouetten abwarten.»


«La Vanguardia»: Die Gefahr einer neuen Intifada

MADRID: Zur Eskalation der Gewalt in Israel und Palästina schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Dienstag:

«Der jüngste Anschlag auf die Synagoge war der blutigste der vergangenen zwölf Jahre in Israel. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versicherte, dass er keine Eskalation anstrebt. Aber das angekündigte Maßnahmenpaket könnte die Spirale von Aktion und Reaktion im Konflikt mit den palästinensischen Gruppen weiter anheizen. Dies ist die erste ernsthafte Prüfung, der sich Netanjahu stellen muss, seitdem die am weitesten rechts stehende Koalitionsregierung in der Geschichte Israels regiert.

Angesichts der Tatsache, dass extremistische und antiarabische Minister Ressorts leiten, die für Polizei und Sicherheitskräfte zuständig sind und einen Freibrief zur Unterdrückung der Palästinenser erteilen könnten, angesichts der Erklärung der Regierung, die jüdischen Siedlungen im Westjordanland zu stärken und auszuweiten, und angesichts eines Ministerpräsidenten, der ankündigt, «Tausenden von Menschen» Waffengenehmigungen zu erteilen, die sich zu den Siedlern gesellen werden, die in der Regel bereits bewaffnet sind, ist die Gefahr, dass diese Gewalt zu einer neuen Intifada führen könnte, nicht unerheblich.»


«Le Monde»: Nach Tod von George Floyd hat sich in USA nichts geändert

PARIS: Zu dem brutalen Polizeieinsatz gegen den Schwarzen Tyre Nichols in der US-Stadt Memphis schreibt die französische Zeitung «Le Monde» am Dienstag:

«Dieser weitere Tod, für den Ordnungshüter verantwortlich sind, zeigt leider, dass sich in den USA nichts geändert hat mehr als zwei Jahre nach dem grausamen Tod von George Floyd in Minneapolis, Minnesota, im Mai 2020, der ebenfalls bei einer extrem gewalttätigen Festnahme ums Leben gekommen war. Diese Tragödie hatte eine Welle von Protesten ausgelöst und Hoffnungen auf Veränderungen geweckt, die jedoch enttäuscht wurden. Die Zahlen sind gnadenlos. Laut der jährlichen Zählung der Washington Post wurden 2022 insgesamt 1093 Menschen von Polizisten getötet, hauptsächlich mit Schusswaffen. (...)

Einige der Ursachen für diese Gewalt sind wohlbekannt. Die extreme Dezentralisierung der öffentlichen Sicherheit hat von den Städten bis zum Bundesstaat ein polizeiliches Durcheinander geschaffen, das die Einführung einer echten Doktrin auf nationaler Ebene behindert. Diese ist jedoch notwendig, um dem entgegenzuwirken, was Ben Crump, der Anwalt, der sich heute am meisten gegen diese Auswüchse engagiert, als «eine institutionalisierte Kultur in der Polizei, die exzessive Gewaltanwendung, insbesondere gegen Minderheiten, toleriert», anprangert, auch durch Angehörige, die selbst aus diesen Minderheiten stammen.»


«Nepszava»: Deutschland beendet Vogel-Strauß-Russlandpolitik

BUDAPEST: Zur Entscheidung Deutschlands, die Ukraine mit Panzern zu unterstützen, schreibt die links-liberale ungarische Tageszeitung «Nepszava» am Dienstag in einem Kommentar:

«Die ambivalente Beziehung zur Vergangenheit ist die Erklärung dafür, dass Deutschland seit dem Sieg über den Nationalsozialismus im europäischen und transatlantischen Sicherheitssystem eine zweitrangige Rolle spielt und bemüht ist, Zurückhaltung zu zeigen, den Antimilitarismus unterstützt und Handelsbeziehungen dazu nutzt, um autoritäre Regime wie die frühere Sowjetunion zu besänftigen. Die Invasion der Ukraine hat diese einvernehmlichen Grundsätze nicht nur erschüttert, sondern geradezu zum Einsturz gebracht und die heutige Führung dazu gezwungen, die Vogel-Strauß-Politik aufzugeben.

Die fast elf Monate seit Kriegsausbruch haben gezeigt, dass Deutschland sehr wohl zur Veränderung fähig ist, zur Konfrontation mit der Vergangenheit und zum Bruch mit alten Befindlichkeiten. Das ist auch in der Energiepolitik sichtbar: Einen Tag auf den anderen musste man das, was sich bis dahin jahrzehntelang auf billige russische Rohstoffe stützte, auf neue Grundlagen stellen. Deutschland ändert sich - dies allerdings nicht so schnell, dass das Land bei der Versorgung der Ukraine mit schweren Waffen und im Kampf gegen Russland eine führende Rolle spielen könnte. Und das wird sich auch später nicht ändern.»


«NZZ»: In Österreich wird das Regieren schwierig

ZÜRICH: Zum Niedergang der konservativen ÖVP und dem Aufstieg der rechten FPÖ in Österreich - dokumentiert zuletzt bei der Landtagswahl in Niederösterreich - schreibt die «Neue Zürcher Zeitung»:

«Paradox ist dabei, dass die Regierungskoalition von ÖVP und Grünen ziemlich gute Arbeit macht. Anders als sein Vorvorgänger Sebastian Kurz ist Bundeskanzler Karl Nehammer kein Blender, sondern ehrlich darum bemüht, nachhaltige Lösungen zu finden. Aber offenbar sitzen die Ängste und der Frust bei vielen Österreichern derart tief, dass dies nicht reicht. Spätestens im Herbst 2024 werden nationale Wahlen stattfinden. Die ÖVP wird sich wohl in eine grosse Koalition mit der SPÖ retten und noch einen Juniorpartner beiziehen müssen, wenn sie weiterregieren will. Aus heutiger Sicht ist die FPÖ nämlich in keinerlei Hinsicht ein akzeptabler Regierungspartner: Zu derb tritt sie auf, und den Beweis, dass sie Lösungen zustande bringt, blieb sie auch schuldig.»

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