Schwimmer-Tristesse ohne Ende

Kurswechsel und Aus für Eliteteam

 Statt der angepeilten Medaille ging Weltmeister Marco Koch als Siebter über 200 Meter Brust leer aus. Foto: epa/Patrick B. Kraemer
Statt der angepeilten Medaille ging Weltmeister Marco Koch als Siebter über 200 Meter Brust leer aus. Foto: epa/Patrick B. Kraemer

RIO DE JANEIRO (dpa) - Jetzt oder nie! Nach dem nächsten olympischen Frusterlebnis durch die verpasste Medaille von Weltmeister Marco Koch muss sich im deutschen Schwimmen gewaltig etwas ändern. Der Bundestrainer warnt vor dem Ende im Spitzensport.

Aus der ständigen Olympia-Tristesse der leidgeplagten deutschen Schwimmer gibt es nur einen Ausweg. «Das System muss sich ändern, sonst sind wir im Leistungssport nicht mehr existent», warnte Chefbundestrainer Henning Lambertz nach dem nächsten olympischen Frusterlebnis in Rio. Nach Weltrekordler Paul Biedermann und Europameisterin Franziska Hentke stach auch der höchste Trumpf nicht. Statt der angepeilten Medaille ging Weltmeister Marco Koch als Siebter über 200 Meter Brust leer aus.

Wie vor vier Jahren steuern die deutschen Beckenschwimmer auf eine Bilanz ohne Medaille zu. Vier Finalteilnahmen in Peking 2008, überstrahlt von Britta Steffens Doppelgold, folgten acht Endlauf-Beteiligungen ohne Edelmetall in London 2012. Aktuell sieht es noch finsterer aus. «Am meisten tun mir die Fans leid, die nachts um drei aufstehen, um sich so was anzuschauen. Das kann es ja nicht sein», sagte Lambertz.

Immerhin schraubten Rückenschwimmer Christian Diener und Lagenschwimmer Philip Heintz die Zahl der Finalplätze in Rio auf fünf. Aber das tröstete nicht über die 2:08,00 Minuten von Koch beim Überraschungs-Olympiasieg des Kasachen Dimitri Balandin hinweg.

«Das einzige, was mich traurig macht, ist, dass ich dieses Jahr zwei- oder dreimal schneller war. Es ärgert mich, dass ich hier nicht mein Bestes zeigen konnte», sagte Koch. Eine Hundertstelsekunde schneller als bei seinem deutschen Rekord - das hätte für Gold gereicht. Nur noch mehr angestachelt dachte Koch noch auf dem Weg aus der Halle schon an die Spiele 2020: «In vier Jahren ist Tokio. Ich fange jetzt morgen mit dem Training an - so ungefähr.»

Bis dahin ist auch die Arbeit von Lambertz ausgelegt. «Ich denke nicht darüber nach, das sinkende Schiff zu verlassen», betonte der 45-Jährige. «Aber auch ich muss mich ja hinterfragen und will auf keinen Fall Schuld von mir weisen.» Er will die deutschen Schwimmer bis 2020 in Tokio zurück in die Weltspitze führen. Nach den tränenreichen Wettkampftagen im Olympic Aquatics Stadium fällt es schwer, an einen Erfolg des ambitionierten Projekts zu glauben.

«Es ist Zeit, einen massiven Kurswechsel einzuleiten. Wir reden schon seit vielen Jahren von einem Kurswechseln», sagte ARD-Expertin Franziska van Almsick. «Es war ein leichter Kurswechsel mit Henning Lambertz. Ich glaube, auch er macht jetzt Druck und sieht, dass man was machen muss», sagte die frühere Weltklasseschwimmerin. Zwar gab es ehrbare Erfolge bei EM und WM, aber Olympia sei eben noch einmal eine andere Liga.

Eine erste Veränderung ist eingeleitet: Ein Eliteteam, wie es der zurückgetretene Weltrekordler Paul Biedermann, Europameisterin Franziska Hentke und Weltmeister Koch bildeten, wird es wohl nicht mehr geben. Aufgrund ihrer Erfolge durften sich die Leistungsträger weitgehend nach eigenen Wünschen und Vorstellungen vorbereiten. Ohne olympischen Erfolg. «Auf dem Silbertablett wird uns die Medaille präsentiert, aber wir wollen sie nicht. Wir nehmen die Finger wieder weg und greifen nicht zu», haderte Lambertz. Zeiten, die zu Medaillen reichten, seien in den wenigen starken Disziplinen «nicht Lichtjahre entfernt».

In der Nachwuchsarbeit wurden in den vergangenen Jahren - etwa mit der Bildung eines Perspektivteams - Änderungen angestoßen, die sich in Tokio dann aber auch auszahlen müssen. Insgesamt treffen den Schwimmsport mit einer gewaltigen internationalen Konkurrenzsituation die Schwächen des Leistungssportsystems in Deutschland besonders hart. Lambertz wünscht sich mehr Geld für seine Sportart. «So kann es nicht weitergehen», betonte der Chefbundestrainer und forderte einen Austausch mit Verband und den Geldgebern Innenministerium und DOSB.

Fördersituationen für den Sportnachwuchs wie in den USA oder Australien sind in Deutschland nicht absehbar, zentralistische Sportprogramme wie in Russland und China nicht durchsetzbar. Neue Ideen und Lösungskonzepte müssen aber gefunden werden, sonst versinkt der deutsche Schwimmsport endgültig in der olympischen Bedeutungslosigkeit.

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