Schwartensalat oder Hackfleisch

übersetzt von Dr. Christian Velder

Zur Vorbereitung eines Tempelfestes kommen stets viele Menschen zusammen, Männer und Frauen, jung und alt. Sie helfen sich gegenseitig bei den Vorarbeiten für den Festtag. Die Männer sagen dann wohl, dass ihre Arbeit von größter Bedeutung ist, die Frauen aber entgegnen, ihre Arbeit sei viel mehr wert.

Bei einem dieser Tempelfeste sagten die Alten zu den Jungen:

“Wir Alten sind am wichtigsten.”

Die Jungen waren damit nicht einverstanden und hielten entgegen:

‘’Wir Jungen sind viel wichtiger, denn wir haben Kraft und bringen dem Land auf allen Gebieten den Fortschritt.”

Die Alten waren anderer Ansicht. Sie widersprachen:

‘’Wir Alten sind gewiss am wichtigsten, denn den Wohlstand des Landes haben wir ihm gebracht, unserer Hände Arbeit hat das alles bewirkt. Ihr Jungen dagegen habt derweil nichts als unnütze Spiele im Kopf gehabt.”

So ging die Rede hin und her, und die Menschen, die zusammengekommen waren, um in Eintracht zu arbeiten, entzweiten sich, ja es kam soweit, dass sie nicht mehr zusammen arbeiten wollten.

Der Herr des Tempelfestes musste einschreiten.

“Morgen”, sagte er, “werdet ihr Jungen hier und ihr Alten dort wieder zusammen eure Arbeit tun. Gemeinsam werdet ihr Bambus schlagen für den Festpavillon. Und ihr werdet eure Speisen mitbringen, jeder die seine, und einträchtig werdet ihr alles gemeinsam verzehren, was jeder mitgebracht.”

Danach kehrten sie nach Hause zurück. Die Jungen berieten am Abend, was sie an Leckerbissen zum gemeinsamen Mahle mitbringen, und die Alten hielten Rat, was sie ihrerseits Schmackhaftes beisteuern könnten.

Am frühen Morgen brachen sie zum Festplatz auf, die Jungen und die Alten. Gemeinsam gingen sie in den Wald und wählten die Bambusstauden aus, deren Stämme sie zusammen abhacken wollten. Bald hatten sie einen großen Stapel Bambus zusammengetragen, da war auch schon die Mittagspause gekommen. Sie wuschen sich die Hände im Bach und holten dann ihre Speisepäckchen hervor, legten sie zusammen auf den Boden, setzten sich hin, um zu essen, die Jungen und die Alten einträchtig in einem und demselben Kreise.

Als die Jungen ihre Päckchen öffneten, stellte sich heraus, dass sie alle die gleiche Mahlzeit gewählt, eine der wohlschmeckendsten im ganzen Norden. Es war der leckerste Schwartensalat, den man je gesehen. Die Schwarten waren dünn und fest. Gesotten waren sie und gebacken, bis sie braun und knusprig geworden, überpudert mit Zutaten und beträufelt mit Würze, dass einem der Speichel zum Munde stieg.

Allerdings: die Alten nahmen davon nichts, sie konnten das nicht essen, denn allen miteinander fehlten dazu die kräftigen Zähne. So hatten die Jungen die Alten zum Besten.

Die Alten hatten sich verabredet und nichts als Hackfleisch, wohlgewiegt und gewürzt, mitgebracht in ihren Päckchen. Bewahrheitet hatte sich, was sie erwartet, nämlich, dass die Jungen versuchen würden, sie zu übertölpeln. Ihnen Schwartensalat anzubieten, eine Frechheit. Schwarten, die sie auf ihre alten Tage nicht mehr beißen, nicht mehr kauen konnten, eine Zumutung, während Hackfleisch für jung und alt höchst bekömmlich. Das schrie nach Rache. Die Alten hatten vorgesorgt. Sie waren in der Lage, es den Jungen heimzuzahlen. Denn einer von ihnen hatte das Hackfleisch mit allerfeinstem Sand gepudert, leicht versetzt mit dem kleingewiegten Fleisch und allen herrlichen Gewürzen. Da stellte sich heraus, dass die Jungen sich zwar von dem Gehackten nahmen, aber als sie es im Munde hatten, knirschte es nur so zwischen ihren Zähnen, nach einem zweiten Bissen verlangte es sie nicht. Die Alten aber, sie griffen herzhaft zu und verspeisten zusammen all das Hackfleisch, das sie mitgebracht. Im Gegensatz zu den Jungen, die mit kräftigen Mahlzähnen ihre Nahrung zermalmen wollten, ließen die Alten ihre Speise im Munde zergehen, drückten sie mit der Zunge an den Gaumen und wendeten sie hin und her, ehe sie Happen für Happen langsam herunterschluckten, so wie sie es tagtäglich mit ihrer Nahrung taten, Speisen, die des Kauens nicht bedurften und doch bekömmlich waren. So geschah es, dass für diesmal die Jungen und die Alten jeder nur von der eignen Kost aß, dieses eine Mal.

Damit war der Streit beigelegt. Von nun an würde wieder Vielfalt herrschen auf dem Küchenzettel, und jeder würde mal hier zugreifen, mal dort, ganz so, wie es ihm schmeckte – gleichgültig, wer von ihnen was mitgebracht.


Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch „Der Reiche und das Waisenkind“ entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch „Der Richter Hase und seine Gefährten“ enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tier von Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

Sie können das Buch hier bestellen

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.