Die grosse Hungersnot

Die grosse Hungersnot

Zwölf Jahre ging es so, da fassten sie sich ein Herz, verliessen ihre Häuser und traten zur Bürgerversammlung vor den Palast. Laut riefen sie zum König und jammerten über ihre Not. Der König hörte das Lärmen vor der Mauer und fragte seine Minister: "Was ist das für ein Aufruhr dort draussen?"

Die Minister antworteten: "Oh Herr, die Bürger der Stadt sind in grosser Not! Als die vielen berühmten Könige der Vorzeit herrschten, da gab es solchen Aufruhr nie! Während aber du im Palast deine Schätze verwaltest, plündern Räuber deiner Untertanen Besitz, und böse Geister quälen die Stadt. Die Bürger erliegen Seuchen. Der Reis ist teuer und teurer geworden. Trocken ist das Land und ohne Regen. Das ist es, was deiner Untertanen Geschrei dir verkünden soll!"

Der König befahl den Sehern, in die Halle zu treten, und er fragte sie: "Wie kommt es, dass unser Vaterland in diese Not geriet? Untersucht es und schaut. Sodann prophezeit das Gute und das Böse!"

Die Wahrsager blickten in die Zukunft und in die Vergangenheit und sahen die guten und die bösen Stunden, aber sie erkannten den Grund des Übels nicht. Sie sprachen: "Oh grosser König! Es gibt keine Erklärung für das Böse, das uns heimgesucht!" Der König erwiderte: "So leben wir vielleicht nicht im Einklang mit dem Gesetz?"

"Oh Herr, wohl folgst du den königlichen Pflichten und den Geboten des Glaubens!"

"Wie kommt es dann zu dieser schweren Hungersnot?"

"Oh Herr, lass uns die Geister beschwören und hören, was sie uns zu sagen haben!"

Der König vernahm es und befahl seinem Gefolge: "Ihr Herren, geht und holt die heiligen Gerätschaften zur Beschwörung der Geister! Bringt Blumengewinde und Betelschalen, auch Speisen tragt und Getränke herbei zum Sitz des Stadtgeistes. Denn in der heutigen Nacht wollen wir die Geisterfeier vollziehen und warten , ob er sich uns offenbart."

Die Hofbeamten führten des Königs Befehl aus und fragten den Schutzgeist der Stadt: "Oh Geisterherr, warum hast du es zugelassen, dass unserer Heimat so grosse Not widerfahren ist?"

Der Geist antwortete: "Das ist mitnichten des Königs Schuld! Die Schuld der Bürger ist es! Zu wenig Barmherzigkeit haben sie geübt. Uns Geister haben sie missachtet, und die Opfergaben in unseren Wohnungen liessen sie verfallen. Von den Opferbäumen sind Blüten und Blätter, ja ganze Zweige abgebrochen. Die Pflicht, uns Geistern Gutes zu tun, geriet in Vergessenheit. Aber vor allen, eure Frauen haben zuchtlos ihren Begierden frönen dürfen! Darum sind wir Geister euch gram, und der Heimat abhold sind viele von uns in die Fremde geflogen. So kommt es, dass Dämonen in die Stadt einsickern konnten, um die Bürger in Sorge und Not zu stürzen und in düsterste Gefahr! Wenn euer König will, dass das Glück wieder heimkehrt in die Stadt, so möge er den Bürgern verkünden, dass sie Opfer bringen und milde Gaben verteilen, dass sie die Gebote einhalten und den vielen Geistern Gutes erweisen sollen!"

Die Hofleute hörten das Wort ihres Schutzgeistes, kehrten zum König zurück und erstatteten ihm Bericht. Da befahl er den Bürgern, sich zu versammeln, und ermahnte sie. Die Bürger sprachen: "Oh Herr, nicht unsere Schuld ist es, dass die Horden der vaterlosen Bälger umherziehen und unsere ehrliche Stadt in Verruf bringen. Sie plündern und stehlen, sie zerschlagen die Wohnungen der Geister, sie zerstören die Pflanzungen und verwüsten unsere Felder. Bitte, oh Herr, gib Befehl, jenen Banden das Handwerk zu legen."

Der König wunderte sich über das, was er hören musste, und fragte: "Warum haben jene Kinder keine Väter?

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