übersetzt von Dr. Christian Velder
Ein Mann hatte einst ein paar Besorgungen zu machen und musste dazu den Wald durchqueren. Als er fertig war und sich auf dem Rückweg befand, fing es mächtig an zu regnen. Er fand am Wege einen überdachten Unterstand und wollte dort das Ende des Unwetters abwarten. Doch der Regen prasselte nur so vom Himmel herab, er nahm an Stärke eher zu als ab. Schon war es Nachmittag geworden, aber noch immer hellte sich der Himmel nicht auf, im Gegenteil. Das bereitete dem Manne Sorgen. Er fürchtete sich davor, hier im Walde ganz allein die Nacht zu verbringen. Da näherte sich auf dem Pfade ein Wanderer, der das gleiche Wegziel zu haben schien, und dieser schritt flott unter einem Regenschirm voran. Der Mann freute sich, als er den Wanderer sah und bat darum, ihn im Schutze seines Schirmes begleiten zu dürfen. Der Fremde hatte nichts dagegen, im Gegenteil, denn auch er fürchtete sich, allein durch den Wald zu gehen. Sie reisten nun also zusammen. Nach einer Weile fragte der Mann den Wanderer, der Weg sei noch weit, ob er ihn ablösen könne beim Halten des Schirms, und der Angesprochene willigte gern ein.
Schliesslich waren sie beim Dorfe des Mannes angekommen. Während er den Schirm hielt, war ihm aufgefallen, wie neu und schön der noch war. Darum wollte er ihn behalten. Er hielt ihn also fest und gab ihn dem Eigentümer nicht zurück. Er behauptete frech, dieser Schirm gehöre ihm selbst. Der Wanderer war damit ganz und gar nicht einverstanden. Ein Wort gab das andere. Der Mitreisende hielt den Schirm fest umklammert, während der andere versuchte, ihn mit Gewalt wieder an sich zu bringen.
Da sie sich nicht einigen konnten, suchten sie den Richter in der Stadt auf und baten ihn, ihnen zu helfen und ihren Streit zu schlichten.
Der Richter schritt zum Verhör, aber ein jeder behauptete steif und fest, der Schirm gehöre ihm allein. Da fragte der Richter:
"Diesen Schirm hier, wer war es, der ihn auf dem Wege hierher gehalten?
Der Mann antwortete wahrheitsgemäss:
"Ich Sklave des Herrn, ich bin es gewesen, der den Schirm hierher geführt.
Der Richter verkündete daraufhin seinen Spruch:
"Ein Schatz gehört dem, so steht es in den Gesetzen geschrieben, der ihn in seinem Besitz hat. Darum nimm deinen Schirm wieder auf und geh!
Dieser Richterspruch wollte dem Eigentümer des Schirms ganz und gar nicht gefallen. Er war traurig, doch wagte er nicht, dem Richter zu widersprechen. Er verneigte sich und zog sich ebenfalls zurück. Der Richter rief den beiden nach:
"Morgen früh findet ihr euch noch einmal bei mir ein, verstanden?
Nun beorderte der Richter einen seiner Diener zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er hiess ihn, dem Manne mit dem Schirm hinterher zu schleichen und ihn zu belauschen. Anschliessend möge er von seinen Erkundungen berichten.
Am nächsten Morgen sandte er den Diener abermals aus. Er sollte die beiden Beschwerdeführer beibringen. Sobald der Mann mit dem Schirm eingetroffen war, befahl er ihm, den Schirm dem anderen auszuhändigen. Ausserdem habe er eine Strafe in Höhe von zehn Baht verwirkt, dem Werte des Schirmes entsprechend. Der Mann weigerte sich und blieb dabei, der Schirm gehöre niemand anderem als ihm selbst, aber der Richter schenkte ihm kein Gehör. Vielmehr schickte er den Gerichtsdiener aus, die Frau des Mannes vorzuführen. Er fragte sie:
"Gestern Abend, als dein Mann heimkam, hast du ihn da mit den Worten empfangen, älterer Bruder, woher hast du denn diesen neuen Schirm? Ja oder nein?
Die Frau antwortete:
"Das stimmt.
Daraufhin wendete sich der Richter an den Mann und rief:
"Wenn deine eigene Frau diesen Schirm als euer Eigentum nicht erkennt, wie kannst du dann noch an deiner Aussage festhalten?
Da musste der Mann sich geschlagen geben, zahlte die Strafe und machte sich aus dem Staube.
Wie man Tiere fesselt
Hier ist eine Geschichte, die seit langem schon von Mund zu Mund weitergegeben worden ist.
Schwiegervater und Schwiegersohn gingen einst gemeinsam im Walde auf die Jagd. Sie fingen einen Affen. Der Vater band ihm Schwanz, Arme und Beine zusammen, so dass er kein bisschen mehr zappeln und zucken konnte. Der Sohn schaute zu und dachte das ist nun wirklich nicht schwer.
Jetzt trennten sich ihre Wege. Der Vater ging auf dem Waldpfad weiter, der Sohn folgte dem Lauf eines Baches. Da traf er auf eine Schildkröte. Er schnitt ein paar Lianen ab, um sie zu binden. Ihre Füße wollte er fesseln, wie er es bei seinem Schwiegervater gesehen. Auf der einen Seite fing er an. Aber sobald er einen Fuß ergriffen, zog die Schildkröte ihn ein und streckte auf der andren Seite ein Bein aus dem Panzer heraus. So ging es hin und her. Er versuchte es immer wieder, aber gelingen konnte es ihm nicht. Er schwitzte Blut und Wasser, doch jedes Mal musste er loslassen! Da hörte er seinen Schwiegervater rufen:
"Tochtermann, oey, Tochtermann!
"Hoey ...war die einzige Antwort.
Der Vater hörte den Ruf, aber sehen konnte er nichts, denn das Bett des Baches lag im Dickicht verborgen. Schließlich vernahm er ein Keuchen:
"Vater... ich mühe mich hier unten ab mit einer widerspenstigen Schildkröte, sie lässt sich nicht binden!
"Wer wird denn eine Schildkröte auch fesseln wollen wie ein Affentier, Tochtermann, was soll das?
Hier endet die Geschichte. Wenn du nicht schlau bist, brauchst du kitzlige Aufgaben gar nicht erst anzupacken, du wirst scheitern!