So eine verdammte Scheisse!«, hauchte er erschöpft. »Sollen die Dich verdammtes Arschloch doch aufhängen! Seit Deiner verfluchten Geburt vor 25 Jahren versaust Du mir mein ganzes Leben!« Grünzel musste einen Kloss im Hals herunterkämpfen. Eine Träne im rechten Auge verriet, dass er einen absoluten Tiefpunkt in seinem Karriere-Leben erreicht hatte. Seine verzweifelte Wut galt seinem eigenen Sohn Florian. Der Junge hatte schon angefangen zu lügen als andere Kinder gerade einmal Papa sagen konnten. Er sah schon als Vorschüler nach dem aus, was aus ihm später einmal werden sollte: ein Totalversager. Er war der Schwänzer, Petzer, Erwischenlasser und Mickerling der jedem Menschen schon durch seine Anwesenheit auf die Nerven ging. Er bekam die gesamte Prügel seiner Schule ab und, weiss Gott, er hatte sie komplett verdient. Im Alter von 11 Jahren soff er schon heimlich Fusel mit den Pennern vom Hauptbahnhof und bereits mit 14 drückte er sich seine erste Spritze. Dr. Markus Grünzel stand als Vorstand eines international verflochtenen Konzerns im Rampenlicht. Er hatte unzählige Auftritte in den Medien und natürlich vor der Elite der Wirtschaft. Er war stolz darauf, als promovierter Wirtschaftswissenschaftler in die Spitze der Wirtschaftslenker vorgestossen zu sein, als Macher, der sich in allen relevanten Fragen bestens auskannte, anerkannt zu sein. Doch immer wieder hatte sein eigener Sohn seinem Ruf Schaden zugefügt. Immer wieder hatte er seine Beziehungen ausspielen müssen, um dem missratenen Sprössling aus der Patsche zu helfen. Zig tausende von D-Mark hatte er für die verschiedenen Erziehungseinrichtungen verschwendet und am Schluss doch resignierend feststellen müssen, dass das alles vergebens war.
Nun sass Florian Grünzel in Thailand im Gefängnis und wurde des Drogenhandels beschuldigt. Jeder Mensch wusste was das bedeutet: Auf den Handel mit Drogen jeder Art stand zwangsläufig die Todesstrafe! Und im Falle des Sohnes von Dr. Markus Grünzel würde darüber hinaus ein Presse-Skandal ersten Ranges drohen, was fast noch schwerwiegender war!
Es war Grünzel bisher immer gelungen, mit vielen Euro und mit der Hilfe einiger Konzern-Justiziare mit guten Auslandskontakten, Florians Eskapaden geheim zu halten. Doch nun war seine persönliche Intervention unumgänglich. Von der ersten Information über die Verhaftung seines Sohnes bis zu der Entscheidung, selbst nach Thailand zu fliegen, hatte er gerade einmal eine halbe Stunde Bedenkzeit gehabt. Dann ging alles sehr schnell. Sein Anwalt, der gleichzeitig seine einzige Vertrauensperson war, hatte fernmündlich und per Fax alles Nötige für Grünzels Aufenthalt in Bangkok vorbereitet. Er sollte dort empfangen und ins Hotel gebracht werden. Auch einen Termin in einer Anwaltskanzlei war schon organisiert worden. Bisher hatte Dr. Grünzel allerdings den Eindruck gewinnen müssen, dass es an der gewissenhaften Umsetzung hapern würde.
Grünzel raffte sich auf. Er entkleidete sich und ging ins Bad. Die Dusche, die er nun bitter nötig hatte, befand sich in der Badewanne und war mit einem stockigen Duschvorhang versehen. So etwas hatte er seit seinem Studium nicht mehr gesehen. Trotz seines Ekelgefühles stieg er unter die Brause und schäumte sich ein.
In frische Wäsche gehüllt tat er etwas, was er schon seit seiner Studentenzeit nicht mehr gemacht hatte: er bestellte sich eine Flasche Scotch Whisky und einen Kübel voll Eis auf das Zimmer und betrank sich bis er einschlief.
Gegen ein Uhr mittags wurde Grünzel von allen Geräten, die in der Lage waren Töne von sich zu geben, gleichzeitig aus dem Koma gerissen. Sein Palm weckte ihn pünktlich um 7 Uhr deutscher Zeit, sein Handy klingelte, weil man ihn im Dusit Thani Hotel, in der Rechtsanwalts Kanzlei im Stadtteil Silom, und seit einer Stunde nun endlich auch in Frankfurt als verschollen betrachtete. Die Rezeption des Maenam Hotels wollte schliesslich wissen, ob er sich noch in seinem Zimmer befand und ob er dieses für eine weitere Nacht zu buchen wünschte. Grünzel verschob unter dem Vorwand unter Jetleg zu leiden alle Termine um einen Tag. Dann begab er sich ins Bad, machte sich in aller Ruhe fertig und überlegte in dieser Zeit sein weiteres Vorgehen. An der Rezeption mietete er einen englisch sprechenden Chauffeur und die einzige Hotel-Limousine für den Rest des Tages. Für den ganzen Rest! Die Limousine war eine älterer Lexus und das Englisch des Chauffeurs war eine Katastrophe, aber mehr hatte Grünzel nach seinen ersten Erfahrungen in Bangkok auch nicht erwartet. Überrascht war er hingegen von der Versiertheit und den Kenntnissen des Fahrers. Als er sich erstmal an dessen unmögliche Aussprach und Grammatik gewöhnt hatte musste er feststellen, dass der Kerl unglaublich gut über die Bedürfnisse und Gewohnheiten von europäischen Geschäftsleuten bescheid wusste. Zielsicher fuhr er ihn zu den feinsten Geschäften der Stadt, in denen sich Grünzel mit Garderobe und einem neuen Koffer ausstattet. Einen zweiten Akku für sein Notebook fand er in kürzester Zeit in einem Shop im Siam-Center und sogar ein italienisches Restaurant erster europäischer Klasse steuerte er gezielt an. Daneben betätigte er sich als diskreter Buttler, Taschenträger und Dolmetscher.
Am späten Abend chauffierte ihn Khun Duan, wie sich der Fahrer nannte, in einen gepflegten Massagesalon, in dem perfekt aussehende Damen, in Naturstein-Teakholz-Ambiente, kultiviert für alle möglichen Schweinereien zur Verfügung standen. Grünzel hatte seine alte Form wieder gefunden!
Tag zwei in Bangkok begann schon viel besser als der vorherige Tag. Grünzel hatte beschlossen sein Zimmer im Maenam zusätzlich zu seinem bereits bezahlten im Dusit Thani zu behalten, um für alle Fälle eine Rückzugsadresse zu haben. Khun Duan stand ihm weiterhin 24 Stunden am Tag zur Verfügung und erhielt dafür die lächerliche Summe von 400 Baht pro Tag plus Spesen. Ausserdem wurde er von Grünzel grosszügig eingekleidet und mit neuer Seiko-Uhr und Handy ausgestattet. Für Kost und Logis sorgt Grünzel ebenfalls, da sich Khun Duan vom Maenam beurlauben lassen musste und in einer schmutzigen Soi für Grünzel unerreichbar wohnte.
Für Khun Duan eröffnete sich ein Weg in eine nie zuvor betretene Gesellschaftsklasse, für Grünzel ebenfalls, aber in gegenläufiger Richtung.
Beide fanden schnell Gefallen dran. In Grünzel wurden Instinkte reaktiviert, die ihn früher auf seiner Kariereleiter viele Stufen überspringen geholfen hatten, die aber auch zahlreiche Opfer auf dieser Strecke hinterlassen hatten und ihn zwar respektiert, aber auch im Besonderen gefürchtet machten.
Der Antrittsbesuch bei der Anwaltskanzlei verlief in etwa so wie Grünzel erwartet hatte. Der vormals in Deutschland zugelassener Anwalt Günter Schlüter, der wegen verschiedener, nicht näher definierter Unregelmässigkeiten Zuhause, seinen Wirkungskreis ins Ausland verlegen musste, erledigte die inoffiziellen Dinge und stand als Fach-Dolmetscher zur Verfügung. Er hatte selbstverständlich weder Zulassung noch Arbeitserlaubnis in Thailand, stand aber dennoch auf einer üppigen Gehaltsliste dieser thailändischen Kanzlei, die sich ausschliesslich mit ausländischen Klienten befasste. Der eigentlich mit dem Fall Florian Grünzel beauftragte Anwalt Khun Phranomsak hingegen, beschränkte sich in Grünzels Gegenwart aufs Grinsen und auf gelegentliches Telefonieren mit seinem bunt blinkenden Handy.
Grünzel erkundigte sich zunächst nach dem aktuellen Stand der Dinge. Hier gab es erst einmal gar nichts zu berichten. Entweder hatte man bisher noch überhaupt nichts in der Angelegenheit unternommen, oder man war unfähig den nötigen Druck zu erzeugen. Als Strategie in der Sache Florian wurde ihm unterbreitet, dass man die weitere Entwicklung gespannt und sehr aufmerksam beobachten wollte, um dann im richtigen Moment die entscheidenden Schritte in die Wege leiten zu können.
Grünzel fing an zu toben! Dafür hatte er nicht in Frankfurt alle Hebel in Bewegung gesetzt und war ein nicht unerhebliches Risiko eingegangen, um unter fadenscheinigen Gründen diskret nach Bangkok verschwinden zu können. Grünzel verliess schimpfend die Kanzlei und beschloss auf eigene Faust seinen Sohn aus dem Gefängnis freizukaufen.
Eine 3/4 Stunde später, als er gerade im Dusit Thani zu Mittag essen wollte, rief ihn Schlüter auf seinem Handy an. Er war trotz des Eklats in der Kanzlei völlig gelöst und offensichtlich auch bestens gelaunt. So, als wenn Grünzel einem netten Scherz aufgesessen wäre, erklärt ihm der Anwalt, dass das nur der offizielle Teil des Gespräches gewesen sei und bat um ein weiteres Gespräch ausserhalb der Kanzlei.
Die beiden trafen sich am Abend in einem vornehmen Restaurant im Stadtteil Dusit.