Salz für Salz

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übersetzt von Dr. Christian Velder

Es waren einmal zwei Männer. Sie wohnten jeder in seinem Dorf. Beide waren sie hinterlistige Betrüger. Was sie auch sagten, es war gelogen. Jeder von ihnen hatte es auf den anderen abgesehen, er wollte ihn hereinlegen! Sie hielten sich beide für unvergleichlich schlau und gewitzt.

Eines Tages gingen sie aus dem Haus und zogen jeder einen Ochsen hinter sich her. In der Mitte des Weges zwischen ihren Dörfern trafen sie sich. Der eine fragte den andren:

"Freund, oey, wo willst du mit deinem Ochsen hin?”

Der andre antwortete:

"Ach, ich hab’ es satt! Sobald ich mit meinem Tier losgehe, fängt es an zu rennen und trampelt mir dabei auf die Fersen. So einen Ochsen kann ich nicht brauchen. Ich werde ihn im nächsten Dorf losschlagen und gegen einen besseren tauschen. Aber auch du, Freund, hast einen Ochsen bei dir. Wohin führst du ihn? Gut sieht er aus, steht gut im Futter.”

So sprach der zweite und fragte den ersten. Dieser fing an zu lachen. Er erwiderte:

"Auch ich habe genug von meinem Ochsen. Wenn ich ihn vor dem Karren einspanne, rüttelt und schüttelt er vor Ungeduld am Geschirr und zu guter Letzt wirft er es ab. Solch ein Tier nützt mir nichts. Darum habe auch ich mich auf den Weg gemacht, um meinen Ochsen im nächsten Dorf einzutauschen.

Einen Augenblick war es still. Dann fragte der eine den andren:

"Wenn das so ist, wohlan, so lass uns unsere Ochsen tauschen! Du nimmst meinen, gibst mir deinen, und wir haben Ruhe.”

Die beiden waren schnell einig. Sobald der neue Besitzer die Leine übernommen hatte und sich anschickte, das Tier zu seinem Dorfe zu treiben, trabten die Ochsen los. Aber nicht lange, da wurde ihr Schritt langsamer, sie wurden träge, und jeder der beiden Männer musste seinen Ochsen hinter sich herziehen, bis ihm die Arme steif geworden. Er musste sich hinsetzen und den Schweiss von der Stirn wischen. Der erste fing an zu schimpfen:

"Wa! Einen Scheissdreck habe ich gegeben und einen Furz dafür bekommen. Ich denke, ich kriege für meinen ungezogenen Ochsen ein artiges Tier, aber nun bin ich angeschmiert, der neue ist noch viel unartiger als der alte! Ich bin hereingefallen.”

Der zweite maulte nicht viel anders:

"Wa! Dieser Tauschhandel stinkt mir. Das soll ein Ochse sein, der sich zu benehmen weiss? Nein wirklich! Einen Furz habe ich bekommen für einen Haufen Scheissdreck. Der hier ist um kein bisschen besser als der vorige. Angeschmiert bin ich!”

Betrogen, wie sie es waren, sannen die beiden auf Rache. Jeder wollte dem andren seine Niederlage heimzahlen. Nach einer Weile war es soweit. Die Männer gingen aus dem Haus, und es konnte nicht fehlen, dass sie einander begegneten. Der eine hatte ein mächtiges Schwert geschultert. Es war ein Schwert mit vergoldeter Scheide. Die funkelte in der Sonne. Der andere reckte seinen Hals, als er das Blitzen bemerkte, blickte hierhin und dorthin, und der Schwertträger merkte, dass jener Ausschau hielt nach seinem Wasserbüffel in der Suhle. In des Weges Mitte trafen sie zusammen, und der zweite fragte den ersten:

"Mae, dieses Schwert, es ist wahrlich lang, in einer Scheide steckt es, mit Blattgold belegt.”

Der Angesprochene erwiderte:

"Jawohl! Dieses Schwert hat einst meinem Oheim gehört. Er hat damit manches Mal gekämpft, hat Schlachten geschlagen damit nicht zu knapp. Aber es ist unförmig und zu tragen beschwerlich. Freund, und du, was machst denn du hier?”

Die Antwort lautete so:

"Ich passe auf meinen Wasserbüffel auf. Er liegt dort drüben in seiner Suhle und lässt es sich wohl sein. Seinen Kopf hat er in meinen Futterkorb gesteckt, sieh nur die Hörner, sie ragen daraus hervor!”

Während er sprach, deutete er mit der Hand hinüber, und der andere folgte mit den Augen. Er sah die Lehmkuhle, in die sich der Büffel gelegt, so dass das braune Wasser ihn ganz bedeckte, ihn bedeckte bis auf den Kopf, dessen Hörner aus dem Futterkorb herausragten. Da sagte der mit dem Schwert:

"Die Zeit der Feldbestellung ist gekommen. Gib mir deinen Büffel, und ich schenke dir dafür mein Schwert. Es ist ein Zauberschwert. So scharf wie dieses Schwert ist keine andre Waffe.”

Der Büffelherr entgegnete:

"Mein Wasserbüffel ist dick und rund. Er ist stark und kräftig. Beim Pflügen hat er seinesgleichen nicht. Wenn du ihn haben willst, meinetwegen, ich bin einverstanden. Doch müssen wir einen Vertrag schliessen. Drei bis vier Stunden muss mein Büffel noch ruhen. Solange musst du dich gedulden.”

Der Eigentümer des Schwertes gab zur Antwort:

"Mein Schwert ist ein Zauberschwert. Fünf Stunden lang dauert seine Beschwörung, bevor es beim Besitzwechsel zu seiner Bestimmung wieder erwacht. Du musst also fünf Stunden warten, ehe du es aus der Scheide ziehst, erst dann hat es seine ganze Wirkungskraft wieder entfaltet. Bevor ich vorhin aus dem Haus ging, habe ich den Geist meines Oheims beschworen, er möge kommen und sein Schwert segnen.”

Die beiden waren über den Tausch hocherfreut und froh über ihren neuen Reichtum. Schwert und Wasserbüffel wechselten den Besitzer. Der eine schwang sich das Gehänge des Schwertes mit der goldenen Scheide über die Schulter und ging mit stolzgeschwellter Brust davon. Der andre liess sich nieder und wartete fröhlichen Herzens auf seinen Büffel. Sobald die Zeit gekommen war, erhob er sich und ging hinüber, wo die Suhle lag, um den Büffel abzuholen und nach Hause zu führen. Jedoch als er näher trat, wurde offenbar, dass in jenem Futterkorbe nur der vertrocknete Schädel eines Wasserbüffels steckte: die Hörner nach oben gestreckt.

Der stolze Besitzer des Schwertes war inzwischen in seinem Hause eingetroffen. Behutsam und vorsichtig zog er das Schwert aus der Scheide. Er stiess einen Fluch aus. Das Schwert, das er hervorgezogen, war gleich unterhalb des Heftes abgebrochen, es ragte nur ein rostiges Stück Schrott aus dem Griff heraus, vielleicht zwei Finger lang.

Als die beiden Männer die Besinnung wiedererlangt hatten, seufzten sie, der eine wie der andere:

"Denk nicht, der andre ist dümmer als du, sein Witz sei dem deinen nicht gewachsen! Tatsache ist, es gibt überall schlaue und listenreiche Menschen, die dich ebenso übers Ohr hauen wollen wie du sie.”

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