Lung Sen macht sich Gedanken

Ein junges russisches Paar auf Shopping-Tour
Ein junges russisches Paar auf Shopping-Tour

Hurra, hurra, die Russen sind da! Die Hoteliers freuen sich, die Bar- und Restaurantbesitzer stellen Schilder in russischer Sprache auf, sie haben auf Russisch geschriebene Menükarten parat. Denn kaum ein anderer Menschenschlag bringt mehr in die Kassen als die „Russen“.

Absichtlich hat Lung Sen das in Anführungszeichen geschrieben, denn es sind ja gar nicht alles Russen! Da sind die Gäste aus der Ukraine oder Weissrussland, aus Georgien oder Usbekistan. Alles inzwischen selbständige Nationen, die keinesfalls mit den Gästen aus Russland in einen Topf geworfen werden sollten. Sie haben ihre eigene Sprache und sind Russland mal freundlich und andermalnicht gerade gut gesinnt. Erstaunlich, dass die meisten Restaurantbesitzer diesen feinen, aber wichtigen Unterschied noch nicht bemerkt haben.

Es scheint aber, dass alle einen gemeinsamen Nenner haben: Viel, viel Geld! Lung Sen sass mit Familie am Swimming Pool eines Vier-Sterne-Hotels. Viele deutschsprachige Gäste und eine Runde „russischer“ Urlauber. Diese bestellten plötzlich eine Platte mit 50 Garnelen, dazu zwei Flaschen Wodka, Eis und Fanta. Alles wurde geliefert, und die Touristen machten sich über die Köstlichkeiten her. Nein, sie waren weder laut noch ausfallend. Und doch hörte Lung Sen von deutschsprachiger Seite: „Schau dir das an! Wie die sich benehmen!“ Warum diese Worte Ist es Neid, weil man sich solches nicht leisten kann Ist es die fremde Sprache, die man nicht versteht

Als Lung Sen bei Metzger Karl an der Naklua Soi 16 sass (er hat jeden Donnerstag ein tolles Schlachtfest-Büfett), kamen auch „russische“ Gäste. Auch sie bestellten Wodka flaschenweise und bedienten sich herzhaft am nur 120 Baht kostenden Büfett. Wieder konnte gegen das Benehmen nichts eingewendet werden. Aber: Das war der sparsame slawische Tourist.

Khun Pairat vom Elephant Village weiss ganz anderes zu berichten. „Haben wir Gäste aus der ehemaligen Sowjetunion, so muss ich doppelte Wachen aufstellen. Die klauen einfach alles und tun dann so, als hätten sie es gekauft. Sie nehmen Bananenbündel mit und wundern sich, dass sie dafür 20 Baht bezahlen müssen. Es kam schon vor, dass einige über den Zaun kletterten, um das Eintrittsgeld zu sparen.“

Aha, es gibt also drei unterschiedliche Gruppierungen. Tatsächlich kassieren die Hoteliers ja auch die Gelder für Unterkunft und Verpflegung bei den ehemaligen Sowjetbürgern im Voraus. Nicht von allen, nur eben von einer gewissen Schicht. Wie Lung Sen erfuhr, verfährt man so, weil diese Gäste alles Geld mit vollen Händen ausgeben und zum Schluss nichts mehr übrig haben, um die Hotelrechnung zu begleichen. Auch die Minibars werden geleert, und in einigen Hotels werden Bestellungen nur gegen Bargeld aufgenommen. Aber eben nicht bei allen – es gibt nun einmal Reiche und weniger Verdienende.

Deshalb sollte man die slawischen Gäste nicht verdammen. Im Grunde ist es ja wie bei uns, sind die Besitzverhältnisse verschieden verteilt. Was dem Deutschsprachigen nicht passt, ist das Benehmen dieser Leute. Es wirkt auf uns fremd. Hat sich schon mal jemand gefragt, ob denen unser Benehmen passt Kommt denen nicht unser Verhalten auch seltsam vor Leicht lässt sich über Leute schimpfen, die laut sprechen. Sei es am Pool, im Restaurant, an der Bar oder am Strand. Das liegt daran, dass man die Sprache nicht versteht. Wir Deutschsprachigen sind genau so laut (man denke nur an unsere Stammtische), aber keiner stört sich daran, da wir verstehen, um was es geht. Und so erklärt sich auch die Abneigung asiatischen Urlaubern gegenüber.

Stimmt, am Büfett sind sie nicht so „perfekt“ wie Westler. Bedacht werden muss aber, wie diese Leute aufwuchsen. Nämlich in einer uns fast unbekannten Kultur, bei der es ein Gräuel ist, Messer und Gabel auf dem Tisch zu sehen. Diese gehören in die Küche, gegessen wird entweder mit Stäbchen oder mit der Hand. Auch im Norden und Nordosten Thailands oder in Indien und Afrika wird mit der Hand zugelangt und gegessen. Das war bis in das 19. Jahrhundert auch so in Europa. Nur der Adel ass mit Messer und Gabel.

Lung Sen denkt an das alte Sprichwort: Kehre zuerst vor deiner Haustür! So perfekt und gar überlegen wie wir uns fremden, exotischen Menschen gegenüber fühlen, so wenig wissen wir über Sitten und Gebräuche in diesen Ländern, deren Kultur weit vor der unseren existierte. Wenn dann diese grundverschiedenen Kulturen aufeinander prallen, wie es in Pattaya Tag für Tag geschieht, so muss man versuchen, die anderen zu verstehen, zu tolerieren.

Lung Sen hat nach einem viertel Jahrhundert in Thailand Toleranz gelernt. Toleranz heisst noch lange nicht Akzeptanz. Alles einfach nur hinnehmen sollte auch vermieden werden.

Viele Wirte wundern sich über Landsleute, die nach einer Preiserhöhung von nur zwei oder drei Baht das Lokal nicht mehr besuchen. Leute, die von Laden zu Laden laufen, um die niedrigsten Preise zu suchen. Die, sobald irgendwo Ballons hängen, sich zu dieser Party selbst einladen. Ballons = freies Essen und womöglich auch noch trinken. Dabei haben es manche dieser „Ballonfahrer“ ganz und gar nicht nötig. Hier wird Sparsamkeit zu Geiz. Aber auch für diese Personen muss man versuchen, Verständnis aufzubringen, mag es auch schwer fallen. Jeder muss mit seinem Haushaltsgeld zu recht kommen. Und sei es eben auf Kosten anderer . . .

Lung Sen denkt zum Abschluss, es fasse sich jeder erst einmal selbst an die Nase, bevor er über andere schimpft. Das eigene Verhalten ist manches Mal schlimmer als das der viel zu oft und zu unrecht geschmähten Slawen oder Asiaten.

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