Lung Sen macht sich Gedanken

Wieder einmal kam und ging das Fest, welches man das besinnliche nennt: Weihnachten. Was aber ist von der Besinnlichkeit übrig geblieben? Was von „du fröhliche, du selige, Gnaden bringende Weihnachtszeit“? Dass in Europa das christliche Fest, welches an die Geburt Jesus erinnert, längst zum reinen Kommerz geworden ist, weiss ein jeder. Deshalb flüchten viele zu Weihnachten in die Tropen, nach Thailand, in ein Land des Buddhismus. Da kennt kaum einer Jesus, da die buddhistische Lehre gute 500 Jahre älter ist. So jedenfalls denken viele unbedarfte Touristen.

Doch schon am Flughafen Bangkok kommt die Überraschung: Er ist weihnachtlich geschmückt.

Der Gast fährt durch Bangkok, kommt nach Pattaya – und meint, wieder in Deutschland zu sein. Überall der gleiche Schmuck wie zu Hause. Aber es kommt noch schlimmer. In den Hotels, in den Einkaufsarkaden und Kaufhäusern wird er berieselt mit Weihnachtsmusik. Selbst in manchen Bars und Restaurants muss der dem Fest Entflohene „Stille Nacht“ und „Jingle Bells“ hören. „Ja, wo sind wir denn?“, fragt er sich.

Nun, mein Lieber, wir sind in Thailand. Hier ist es Brauch, Feste von Ausländern einfach mit zu feiern. Nichts liebt der Thai mehr als „sanuk“ = Freude, Spass. Ob Jesus, Maria und Josef bekannt sind oder nicht, spielt keine Rolle. Längst haben die Geschäftsleute auch in Thailand den Wert solcher Feste erkannt, sie wissen, dass nun Geschenke gekauft werden, viel Geld gemacht werden kann.

Über die Jahre wurde den Thais suggeriert, dass man an Weihnachten eben Geschenke kaufen muss. Dieses Jahr begannen die Kaufhäuser bereits Anfang November mit der Dudelei der Weihnachtslieder und der entsprechenden Dekoration. Auch die Barmädchen haben erkannt, dass der Farang um diese Zeit besonders spendabel ist. „You my Santa Claus, you give me present“, tönt es aus dem Mund eines Mädchens mit roter Nikolausmütze. So wird in Thailand auch der 14. Februar als Valentinstag gefeiert. Den Thais wird eingeredet, dass am Tag der Verliebten Geschenke gegeben werden müssen – und der Umsatz schnellt empor.

Lung Sen findet das albern. Weihnachten ist ein Fest der Christen und sollte auch nur von diesen gefeiert werden. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts herrschte in Deutschland eine herrliche Vorfreude auf den Heiligen Abend. Es begann mit dem Adventskranz. Dann hing an der Wand der Adventskalender, und ab dem 1. Dezember wurde Tag für Tag ein Türlein geöffnet. Erst im Dezember wurden die Strassen und Geschäfte festlich geschmückt. Auf dem Markt wurde der Tannenbaum gekauft und in der Wohnung geschmückt. Nicht mit den furchtbaren Lichterketten und sonstigen Klimbims, sondern mit Engelshaar (Lametta), bunten Kugeln und echten Kerzen.

Unter dem Baum sammelten sich die schön verpackten Geschenke, nichts teures sondern eher praktisches, und Lung Sen mag sich sehr gut erinnern, dass das Einpacken der Geschenke Eltern und Geschwistern genau so viel Freude bereitete wie das Zusehen beim Auspacken. Erst am Heiligabend wurden auf dem Plattenspieler die Weihnachtslieder gespielt (von Freddy Quinn, wie sich Lung Sen erinnert). Die Familie sass beisammen wie jedes Jahr, und alle warteten, bis Mutter den Weihnachtsbraten auftischte. Danach ging es an das Auspacken der Geschenke, und Lung Sen wird sein Leben lang nie die Freude vergessen, die sich in den Gesichtern der Geschwister und Eltern spiegelte.

Weihnachten - was ist nur daraus geworden! Selbst viele Hotels profitieren von diesem Fest und auch von Silvester. Da werden die Weihnachts- und Silvester-Partys dem Gast einfach auf die Rechnung geschrieben, ob er will oder nicht, ob privat angereist oder mit einem Reiseveranstalter. Ein Blick in deren Kataloge zeigt zum Beispiel: Die Teilnahme an der Silvesterfeier ist obligatorisch. Kostenpunkt: bis zu 278 Euro. Ja, richtig gelesen, EURO! Lung Sen hat festgestellt, dass viele Gäste vor Weihnachten abreisten. Und blickt man sich in Pattaya um, so sind tatsächlich gerade jetzt zu Neujahr weniger Urlauber in der Stadt als vergangenen Winter. Wer kam wohl auf die Idee, den Gästen eine Feier aufzuzwingen? Das gab es vor etwas mehr als zehn Jahren noch nicht. Jeder konnte selbst entscheiden, ob er die Party besuchen wollte. Zumindest ein Hotelier eines renommierten Hotels erwägt bereits, diesen „obligatorischen Zuschlag“ nächstes Jahr nicht mehr zu fordern.

Wir stehen an der Schwelle eines neuen Jahres. 2006 im Westen, 2549 in Thailand. Wieder einmal werden Vorsätze gefasst, die dann doch nicht eingehalten werden. Oder doch? Ich gebe nun das Rauchen auf. Ich esse nur noch vegetarisch. Ich werde mich im nächsten Jahr mehr bewegen. Der Bauch muss weg. Und so weiter… Leider bleibt nicht viel übrig von den guten Vorsätzen, und jeder ist bald wieder im gewohnten Trott. Nein, Lung Sen nimmt sich nichts vor. Dann muss er auch nicht beschämt sein, weil er es nicht eingehalten hat.

Aber Lung Sen wünscht allen die Kraft, bei ihren Vorsätzen zu bleiben. Und er wünscht sich, dass sich im kommenden Jahr in Pattaya einiges zum Besseren ändert. Aber da träumt er wohl. Es wird bei den Bier-Bars bleiben, der lauten Musik, den kreischenden Weibern und dem chaotischen Verkehr. Die Strassen und Bürgersteige werden wieder aufgerissen, Ampeln aufgestellt und abgebaut. Abfälle werden weiterhin ins Meer und auf wilde Müllkippen geschüttet und renoviert wird gar nichts.

In diesem Sinne ein gesundes glückliches neues Jahr wünscht Lung Sen allen Lesern. Und er denkt: Eile mit Weile – irgendwann wird sich alles zum Guten wenden.

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