Lung Sen macht sich Gedanken

Pünktlich zum Beginn der Hochsaison wird sie verschönert: die Strandpromenade. Das wurde auch höchste Zeit, denn dort konnte seit Monaten kaum ein Urlauber spazieren gehen. Angst musste er haben, in ein Loch zu fallen oder über herausragende Kabel zu stolpern. Diese wurden nun abgesichert und die Löcher eingeebnet. Dazu stellte die Stadtverwaltung unzählige Töpfe mit Pflanzen und Blumen auf (Bild 1), so dass es eine Augenweide ist, daran vorbei zu laufen. Der grosse Parkplatz vor dem „Deutschen Haus“ ist verschwunden und den Spaziergängern kom­men keine Mopedfahrer mehr entgegen - so die Hoffnung. Denn alle Auffahrten für Rollstuhlfahrer wurden mit einer Leitplanke versperrt (Bild 2). Auch Autos wurden schon mal in diesen Auffahrten abgestellt. Wie aber kommt ein Rollstuhlfahrer auf die Promenade Indem ihn jemand hoch hebt Das ist eine der schwierigen Entscheidungen, die unsere Stadtväter treffen müssen. Des einen Freud, des anderen Leid. Es muss abgewogen werden, was wichtiger ist und im Rathaus kam man zu dem Schluss, dass es doch weniger Rollstuhlfahrer gibt als Fussgänger. Und diese müssen vor Mopeds und Autos geschützt werden Andererseits liegt das Problem doch ganz wo anders und ist kaum zu lösen: Erziehung. Sei es die der Jugend oder auch die der Erwachsenen. In diesem Land meint doch jeder, er könne machen was er will. Jeder nimmt sich seine Rechte, ohne auf seinen Mitbürger Rücksicht zu nehmen. Kaum kommt ein neues Gesetz, eine neue Regel, wird sofort getüftelt, wie man diese umgehen kann. Es ist erschreckend, wie wenig man sich um nicht verwandte Leute kümmert. Am deutlichsten wird das im Strassenverkehr. Da heisst es: Zuerst ich, dann noch mal ich und dann Du. In der Stadt aufgewachsene Menschen sind ganz anders als die Thais, die in einer Dorfgemeinschaft gross geworden sind. Obschon auch da der Zusammenhalt der Dörfler mehr und mehr schwindet. Grossstadtbürger haben so etwas wie Gemeinschaft kaum kennen gelernt. Eine richtige Erziehung der Kinder gibt es kaum, da die Eltern ganztags arbeiten und am Abend alles andere tun, als sich um die Söhne und Töchter zu bekümmern. Die Jugend ist das Spiegelbild der Erwachsenen. Wie Vater und Mutter sich verhalten, so tun es später ihre Kinder. Deshalb geriet innerhalb von zwei Jahrzehnten die Jugend ausser Rand und Band, und mit keinem noch so scharfen Gesetz kann sie unter Kontrolle gebracht werden.

Es fängt in den Schulen an, wo es nach westlicher Ansicht logisch wäre, dass die Lehrer den Kindern die Gefahren des Motorradfahrens erklären, und auch warum ein Helm getragen werden muss. Lehrer müssten die Eltern anhalten, den Kindern das Fahren eines Mopeds zu verbieten, wenn sie noch nicht alt genug sind. Jugendliche dürften nur mit Helm auf dem Rad in die Schule gelassen werden, ansonsten müsste es eine Strafe geben. Dann kommen alle die anderen sozialen Aspekte, die in den Schulen diskutiert werden müssten: Sexualverkehr, Drogen, Alkohol, Tabak und viele andere Gefahrenquellen für junge Menschen. Lung Sen träumt. Alles nur Wunschdenken. Er wird es kaum erleben, dass obiges einmal wahr wird. Wenn er seine Kinder von der Schule abholt, sieht er unzählige Minderjährige auf dem Moped ohne Helm davonbrausen. Er sieht die Mutter, die ihre Kinder mit dem Motorrad abholt. Sie, dazu drei Kinder auf dem Fahrzeug und alle ohne Helm. Und die Lehrer schauen tatenlos zu. Lung Sen läuft es jedes Mal kalt den Rücken runter. Wie anders die liebe Gaysorn. Ihre Kinder, beides Mädchen, wurden autoritär erzogen und dürfen nicht einmal als Beifahrer auf ein fremdes Moped. Fahren sie mit der Mutter, so tragen alle Helme. Im Garten liegt nicht ein Stückchen Papier, Plastik oder sonstiges herum. Das wird von den Kindern sofort in die Abfalleimer geworfen. Nicht einmal in der Öffentlichkeit würden die Kinder etwas wegwerfen, und sie sehen Lung Sen böse an, wenn er seine Kippe auf die Strasse wirft. Aufgeklärt wurden die Mädchen von der Mutter auch über die Gefahren des täglichen Lebens und, da 10 und 14 Jahre alt, auch über die bösen Onkel. Lung Sen ist stolz auf diese Entwicklung.

Alles ist also Sache der Erziehung. Wenn diese fehlt oder unzureichend war, kommt es zu einer Fehlentwicklung. Dann lernen die Kinder auf der Strasse von anderen Kindern, und die wiederum haben von den Eltern auch nichts gelernt. Denn so entstand das Problem mit der Jugend Thailands. Und natürlich nicht nur Thailands! Wie sieht es denn in Europa aus Genau so wie hier. Aus dem gleichen Grund: Die Eltern nehmen sich keine oder weniger Zeit für die Kinder. Wichtig ist der Mammon. Es wird gearbeitet bis zum Umfallen, und dann ist jeder zu müde, um sich noch mit den Kindern abzugeben. Als Lung Sen jung war, da sass die ganze Familie abends beim Spiel „Monopoly“ und wir Kinder lernten so auch den Umgang mit Geld. Wir wurden verantwortungsbewusst aufgezogen. Fielen wir vom Baum und brachen uns den Arm: Selber schuld, hiess es aus dem Mund der Mutter. Wurde Lung Sen vom Dorfpolizisten heimgebracht, weil er verbotenerweise Fische gefangen hatte, so gab es einen Klaps auf den Po und Stubenarrest. Das war die Erziehung in den 1960er Jahren.

Lung Sen denkt: Wie die Eltern, so die Kinder. Die Erwachsenen können nicht umerzogen werden und der Jugend wird ein falsches Beispiel gegeben. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr…

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