Lung Sen macht sich Gedanken

Lung Sen macht sich Gedanken
Lung Sen macht sich Gedanken

Vorurteile zu haben ist schlecht. Jeder weiss es, und jeder hat dennoch diese Urteile im voraus. Ohne die Materie zu kennen wird entschieden, was gut und schlecht ist. Das Schlimme an dieser Voreingenommenheit ist, dass man daran sogar glaubt.

Nehmen wir Pattaya oder ganz Thailand als Beispiel. Wird zu Hause gesagt, wohin die Reise geht, kommt prompt die Antwort: "Oh je, in das Sexland fährst Du." Jene, die solches sagen, waren noch nicht in Thailand und reden nur das, was sie darüber gelesen oder im Fernsehen gesehen haben. Oder es sind Männer, die hier nur das eine suchten und fanden und damit am Stammtisch protzten. Redet man aber mit Leuten, die in Thailand Rundreisen machten oder das Land auf eigene Faust erkundeten, so erfährt man, wie schön das Land ist, wie nett und höflich seine Einwohner sind. Man wird aber auch hören, dass Pattaya tatsächlich ein Ort des horizontalen Gewerbes zu sein scheint. Vorurteile…

Merke: zu sein scheint! Denn dieser in den Medien negativ dargestellte Ort bietet viel mehr als nur Sex. "Würden die Medien nur die Reeperbahn in die Schlagzeilen bringen, und das über Jahrzehnte, so hätte Deutschland den gleichen Ruf", sagte letzthin ein Ehepaar zu Lung Sen. "Hätte Deutschland das Wetter wie in Thailand", fuhr es fort, "wären alle Bars offen, dann sähe es aus wie in Thailand." Welch ein Gedanke! Der hätte von Lung Sen sein können.

Tatsächlich hat Pattaya eine touristische Infrastruktur wie kein anderer Ort in Thailand, schon gar nicht die Inseln Samui oder Phuket. Rings um die Stadt liegen unzählige Attraktionen wie die Krokodilfarm, das Elephant Village, der Nong-Nooch-Garten, die Unterwasserwelt, Wat Yan, die Schlangen- und Orchideenfarm, der Pattaya Park, der Holztempel "Sanctuary of the Truth", wo auch mit Delphinen geschwommen werden kann, und vieles mehr. Allein um dies alles zu besichtigen, müsste man zehn aufeinanderfolgende Ferientage opfern. Ja, das ist der richtige Ausdruck: opfern! Denn die meisten Urlauber wollen gar nichts unternehmen! Sie möchten an den Strand, ins Meer. Es ist ja viel zu heiss…

Selbst für die in der Stadt gelegenen, Abwechslung bietenden Stätten hat man keine Zeit. Da wäre Mini Siam & Welt, der Hausberg mit grossem Buddha und Bergkloster mit fantastischer Aussicht oder auch die Royal Garden Plaza mit "Believe it or not", einer beeindruckenden Ausstellung von Ereignissen, die unglaublich erscheinen. Dort sind auch das Gruselhaus, eine Art Geisterbahn zu Fuss, ein Spiegelkabinett und ein 3D-Kino. Mit anderen Worten: An Angeboten mangelt es nicht. Der Mensch ist aber einfach zu faul.

Folglich bleibt er in den Strassen der Stadt und bekommt den oben beschriebenen Eindruck. Genau wie in Hamburg. Ist man dort nur auf der Reeperbahn, bekommt man ein tolles Bild von Deutschland. Oder man sammelt seine Eindrücke im Frankfurter Bahnhofsviertel, am Steintor von Bremen oder in Hannover. Vorurteile…

"Wenn Du erkrankst oder bei einem Unfall verletzt wirst, wirst Du im Krankenhaus erst dann behandelt, wenn Du beweisen kannst, dass Du Geld hast." Eines der dümmsten und weit verbreiteten Vorurteile von Langzeiturlaubern und Residenten. Es erfolgt immer und in allen Hospitälern die Notversorgung. Wenn zwingend, kommt der Patient sogar auf die Intensivstation. Erst nach dieser Versorgung (oder während derselben bei vorhandenen Begleitern) wird nach Reisepass, Geld/Kreditkarte oder Versicherung gefragt. Das ist normal und in Deutschland nicht anders. Die anfallenden Kosten zur Genesung muss schliesslich jemand übernehmen.

Wurde eine Person in ein Privatkrankenhaus eingeliefert und kann keinen Zahlungsnachweis erbringen, so wird sie nach der Notversorgung in ein vom Staat betriebenes Krankenhaus verlegt. Dort übernimmt im Notfall zunächst der Staat die Kosten, die er sich später zurückerstatten lässt. Es ist ratsam, bei einem Besuch im Krankenhaus, sei es privat oder staatlich, eine Kreditkarte oder die Unterlagen der Versicherung mitzunehmen.

"Ein Ausländer ist bei einem Unfall immer der Schuldige", hört Lung Sen oft an den Stammtischen. Er selbst hat mehrere Unfälle, zum Glück nur Blechschäden, hinter sich. Wenn er schuldig war, hat er das sofort in einem Gespräch mit dem Geschädigten über eine Geldzahlung geregelt. Das ging in allen Fällen gut - zu beidseitiger Zufriedenheit. Warum die Polizei kommen lassen, wenn man wirklich Schuld hat?

Anders war es bei einem Unfall im Kreisverkehr, wo Lung Sens Auto eine deftige Beule von einem Pkw bekam, dessen Fahrer sich in den Kreis drängen wollte. Die Polizei kam, nahm den Unfall auf mit weissen Strichen um die Reifen etc. Der Mann von der Versicherung kam ebenfalls und sprach mit der Polizei. Erst auf der Wache in der Soi 9 wurde der Führerschein verlangt. Nachdem alles aufgeschrieben war, konnte Lung Sen mit dem Führerschein wieder gehen. Nicht schuldig, stellte die Polizei fest. Der Schaden an seinem Wagen wurde in bar vom Unfallgegner noch auf der Polizeistation bezahlt, da dessen Auto nicht versichert war und die Polizei ihm androhte, er käme sonst ins Gefängnis. Vorurteile…

Die thailändische Jugend sei ausser Rand und Band. Immer mehr werden in Pattaya Leute überfallen, Motorradfahrer entreissen Passanten ihre Taschen. Diebstahl von Motorrädern und Weiterverkauf wird von Teenagern organisiert. Selbst Messer und Pistolen werden eingesetzt. Und das alles überwiegend zur frühen Morgenstunde, gegen 2 oder 3 Uhr. Das, liebe Leser, ist der Preis, wenn aus einem Dorf eine Stadt wird. Wie sieht es denn in deutschen Städten aus? Kaum einer, der sich nach 21 Uhr dort auf die Strasse wagt! Unsere Jugend ist nicht anders, auch wenn das manche nicht wahrnehmen wollen. Und diese Minigangster sind doch nicht der Grossteil der thailändischen Jugend! Übeltäter gibt es hier wie dort und speziell an Orten, die von Touristen besucht werden. Vorurteile…

Lung Sen denkt: Fälle nie zu schnell ein Urteil. Erst recht nicht, wenn die Sachlage nur vom Hörensagen bekannt ist. Beurteilt werden kann nur, was selbst erlebt, mitgemacht oder gesehen wurde. Und vor allem nicht das wiederholen oder unbedingt glauben, was man in den Medien gelesen oder gesehen hat.

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