Der Zufall und das Leben damit

Der Zufall und das Leben damit

Ein Leser präsentiert seine Gedanken zum Leben:

Wie Millionen andere Menschen, bin ich auch ein geborener Bürger Deutschlands. Damals, als ich geboren wurde war ich, konkret ausgedrückt, ein westdeutscher Bürger in der englischen Besatzungszone. Das war natürlich ein purer Zufall, da ich keinen Einfluss auf meine Entstehung und die Geburt hatte und somit keinen freien Willen entfalten konnte, ob ich dort mit diesen Eltern geboren werden wollte, oder nicht. Ich konnte mich damit trösten, dass ich mein Schicksal mit Millionen anderen Babys teilen musste, habe aber, wie ich im Laufe des Lebens feststellen durfte, sehr gute, fürsorgliche und liebevolle Eltern gehabt. Dieser nicht selbstbestimmte Teil ging also in Ordnung.

Dann kam die Staatszugehörigkeit. Wollte ich gerne ein Deutscher sein, ungeachtet der damaligen politischen Situation von West-Deutschland und SBZ (Sowjetische Besatzungszone), wie es damals hieß? Als ich verstandesmäßig aufnehmen konnte, wo ich lebe und was für ein Bürger ich bin, da war mir klar, dass es unumstößlich war, genauso wie meine Eltern ohne mein Zutun meine Eltern waren.

Während der Kindheit ein Leben in Trümmern und Mangel an vielen Dingen, ging es nach der Währungsreform aufwärts. Als Teenager in den 50ger Jahren erlebte ich einen Entwicklungsboom, wie man es sich heute kaum mehr vorstellen kann. Auf einmal war der Verlierer des Krieges auf der wirtschaftlichen Siegerstraße. Es gab nur noch ein aufwärts und vorwärts. Deutschland zählte wieder was und genoss neuerworbenes Ansehen. Die von der englischen Regierung erdachte diffamierende Kennzeichnung der Waren mit „Made in Germany“, bewirkte genau das Gegenteil und stand für gute Qualität.

So bekamen einige Menschen der Nachkriegsgeneration so langsam ein Gefühl von Stolz. Im Krieg waren die Väter und Großväter, die jungen Leute waren Nachkriegskinder und wollten mit Kriegsgräuel nicht belastet werden. Es gibt keine Allgemeinschuld und Sippenhaft, weshalb man zwar die von den eignen Vorfahren evtl. begangenen Gräuel verurteilte, dafür aber weder beschuldigt noch geradestehen musste.

So wie Deutschland, so hat sich auch die Welt weiterentwickelt. Bedingt durch die jeweilige politische Richtung, ist Deutschland einen relativ freiheitsliebenden Weg gegangen. Es hat sich Frankreich freundschaftlich wieder angenähert, ein gutes Verhältnis zu Großbritannien bekommen und die DDR ist politisch aufgelöst worden. Insbesondere die Freundschaft zu den USA ist hervorzuheben, die durch viele Verbindungen und Verträge bis heute andauert.

Durch wirtschaftliche Erfolge und äußerst soziale Einstellungen, ist Deutschland zu einem Einwanderungsland geworden. Nicht unbedingt jeder mag willkommen sein, aber es war politischer Wille, dass Asyl gewährt wird und wenn nicht, wird man abgeschoben, sofern möglich.

Auf vielen Reisen, die mich auf alle Kontinente geführt haben, wird man auch beiläufig gefragt nach dem Woher und Wohin. Fragt man z. B. einen Amerikaner, sagt der mit stolzgeschwellter Brust: ich bin ein US Citizen. Damit tue ich mich etwas schwerer. Ungeachtet der Tatsache, dass es in Deutschland einige Kreise gibt, die stolz darauf sind, Deutscher zu sein, trifft dies für mich nicht zu. Wie anfänglich bereits festgestellt, bin ich Deutscher per Zufallsgeburt. Stolz sein, so meine Ansicht, kann man nur auf Dinge, die man selbst erstellt, bewältigt, geschafft und erarbeitet hat. So könnte ich sagen, ja ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe in meinem Leben, unabhängig von meiner Staatsangehörigkeit.

Ein anderer Punkt, mit dem ich hadere, ist ein oftmals leicht ausgesprochener Satz, den ich auch vielfach hier in Thailand von Expats gehört habe. Er lautet: „Ja, ich lebe gerne hier und liebe Thailand“. Nein, ich liebe Thailand nicht. Ich lebe sehr gerne hier aber ich liebe meine Frau und kein Land auf dieser Welt. Vielleicht nehme ich es zu genau mit den Worten, aber sie sind der Ausdruck unserer Gefühle und unseres Denkens, weshalb sie wichtig sind und richtig gesetzt werden müssen.

Inzwischen bin ich in einem Alter, in dem ich viele Dinge gelassener sehe und alles etwas ruhiger angehe. In Thailand habe ich, auch durch viele Menschen Ruhe und Ausgeglichenheit gelernt sowie europäische Hast und Eile längst abgelegt. Durch meine Frau, durch ihre Familie und thailändische Freunde habe ich auf dem Land, wo ich lebe, sehr vieles an thailändischer Tradition gelernt. Die Thais sind ein stolzes Volk, das niemals kolonialisiert wurde und mit einem eigenen Rhythmus des Lebens versehen ist, der sich schwerlich mit dem europäischen vergleichen lässt.

So bin ich glücklich und froh (stolz?), dass ich es geschafft habe, meinen Lebensabend sorglos in Thailand verbringen zu können. Gekrönt wird der durch meine Frau, die ich sehr liebe und mir jeden Tag unvergesslich macht.

Wenn es jeder so nachvollziehen kann und so erleben kann wie ich, dann gibt es unzählige Menschen, ungeachtet welcher Staatsangehörigkeit, die ein ebenfalls stolzes und glückliches Leben in Liebe führen können. Zu wünschen ist es jedem.

Ingo Kerp, Korat


Die im Magazin veröffentlichten Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. DER FARANG behält sich darüber hinaus Sinn wahrende Kürzungen vor. Es werden nur Leserbriefe mit Namensnennung veröffentlicht!

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Leserkommentare

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Klaus-Peter Kostag 25.08.23 03:45
Ich war DDR-Bürger und weiß deswegen mehr
über Gott und die Welt. Weil mir beigebracht wurde "Der Sozialismus siegt." Dieser Satz begleiete mich über 6 lange Jahre an meiner weltbesten Sporthochschule in Leipzig. Er war mit eisenen Lettern Teil der Eingangs Dachkonstruktion. Im ersten Studienjahr lachte ich noch über diese kommunistische Parole. Hätte doch auch "Der Buddhismus siegt." heißen können.
Dann wurde mich in den DHfK Gesellschaftswissenschafts-Lektionen anhand der menschlichen Gesellschaftsentwicklungen gelehrt, dass das keine Kommunistenparole sei, sondern Objektiv Realisten Zukunftsbeschreibng sei. Weil: Eines fernen Tages würde ein weltweites Kollektiv kluger Maschinen jedwedem Menschen die Arbeit abnehmen können. Die würden sich dan selbst herstellen, reparieren, austauschen gegen bessere und Mensch würde unbeschreiblich frei sein, frei jeden Zwangs. Nachdem ich damals den Originaltext aus dem Jahre 1858, Verfasser war ein gewisser Karl Marx, nachgelesen hatte ("Maschinenfragment"), war mein Parolenverdacht dahin. Heute (Dezember 2019) beschrieb ein Volkswirtschaftler namens Egon W. Kreutzer jenes Kapitalismusende noch poetischer als Marx ("Der Tag der allgemeinen WERTLOSIGKEIT") und führte dort aus, dass selbst Künstler, Polizisten, Präsidenten oder Prostituierte(innen) ziemlich intelligent schlagfertige Roboter sein könnten, wenn wir die DIGITALISIERUNG nur energisch bis an ihr HAPPYEND betreiben würden. Und so bin ich stolz darauf Deutscher zu sein wie Karl Marx, wie Egon W. Kreutzer und Ingo Kerp.
Bernhard Straessle 05.06.23 19:30
Ich bin Schweizer und auch nicht stolz.
Obwohl man uns die beste aller Demokratien nachsagt. Und Roger Federer das Vorzeigebeispiel eines untadeligen Sportlers ist. Und die kürzlich verstorbene Tina Turner ihren amerikanischen gegen den Schweizer Pass eingetauscht hat. Obwohl ein Schweizer den Klettverschluss erfunden hat. Und ein anderer Schweizer den Kartoffelsparschäler. Obwohl mir der Staat eine gute Ausbildung ermöglichte und die Infrastruktur bot, um eine eigene kleine Unternehmung aufzubauen, sehe ich keinen Anlass, stolz auf meine Schweizer Staatszugehörigkeit zu sein. Ich habe zwar in meinem kleinen Schweizer Dorf politisch und kulturell etwas bewegt, und mein Tod wird dereinst vermutlich auch in der lokalen Zeitung kurz vermerkt werden.

Ich halte ich die Schweiz als das beste aller Länder ist. Das ist nichts Aussergewöhnliches. Welche Eltern halten ihre Zöglinge nicht auch für die klügsten und liebsten?!? Oder jubeln ihre Nationalmannschaft in den Himmel? Ein bisschen Chauvinismus tut gut, solange er nicht gegen die andern ausgespielt wird.
Wir Schweizer und deutschen Emigranten im Isaan treffen uns alle zwei Wochen in einer deutschen Beiz am Stammtisch. Wir brüsten uns mit unsern deutschen, bzw. Schweizer Errungenschaften, um handkehrum über die Politik dieser Länder zu lästern. Wer aber seine Wortmeldung mit «Wir Deutschen», bzw. «Wir Schweizer» beginnt, dem schlägt die frostige Bise betretenen Schweigens entgegen. Das Kriterium eines Länderrankings ist das Ausmass der Dankbarkeit seiner Einwohnenden.
Michel Maillet 29.05.23 03:20
NKL
Neid empfinden die Leute die einen Grund dazu haben, auch wenn sie denn Grund bei sich selbst suchen sollten
Norbert Kurt Leupi 29.05.23 00:20
NEID ??? Norbert Schettler
Netter Namensvetter . Da schon etliche Kritik von mir der Zensur zum Opfer gefallen ist enthalte ich mich meiner Stimme und hake deinen " Kurz-Zeiler " als Lachnummer ab !
Thomas Sylten 28.05.23 19:30
@M.M.
Wenn ich Herrn Kerp richtig verstanden habe, ist er durchaus froh und dankbar dafür, Deutscher zu sein. Dankbarkeit ist auch die richtige Gefühlskategorie - Stolz hingegen wäre schiere Anmaßung, da keine diesbezügliche Leistung erbracht wurde.
Und genau DEN Unterschied hat Herr Kerp herausgearbeitet - irgendwelcher Hohn fällt da auf den planlos Höhnenden zurück.
Thomas Sylten 28.05.23 17:50
@Ingo: Glückwunsch
Schöner Text, der recht gut die aus historischen Gründen etwas reflektiertere Art der Deutschen zum Thema "Nationalstolz" beschreibt. Bürgern anderer Länder wird der Stolz auf die eigene Nation zumeist von deren Regierungen eingetrichtert, damit sie im Ernstfall bereit sind, als Kanonenfutter diese Regierung zu schützen. Damit hielten sich deutsche Regierungen nach dem WW2 in (bislang) wohltuender Weise zurück - zum Leidwesen mancher Unbelehrbaren, die mangels eigener Leistungen aus dem "Stolz" auf das Wirtschaftswunderland Deutschland ihr Selbstwertgefühl beziehen.

Da die meisten zwischenstaatlichen Probleme im Ernstfall auf Kosten ihrer Bürger durch militärische Einsätze "gelöst" werden, täte eine gesunde Selbsterkenntnis des Zufalls der eigenen Geburt den meisten Menschen gut -
verbunden gern mit aufrichtiger Dankbarkeit (!) für diesen schlicht glücklichen, nicht selbst erarbeiteten Zufall, die einen automatisch auch etwas demütig stimmt, was kriegerischer Rhetorik schnell die Spitze nimmt und im besten Fall auch Verständnis für die Situation weniger glücklicher Menschen weckt.
Norbert Schettler 28.05.23 17:50
NKL
Obwohl Du kein Deutscher bist, höre ich da etwa Neid aus Deinen zwei Zeilen?
Michel Maillet 28.05.23 17:40
Geburt NKL
Ja das ist aber auch eine bodenlose Ungerechtigkeit! Wurde Herrn Kerp ja nicht einmal bereits vor der Zeugung geschweige denn vor der Geburt das Recht zugestanden seinen Geburtsort und seine Nationalität selbst zu bestimmen. Purer Zufall, das muss man sich mal vorstellen! Und nicht mal die Eltern aussuchen können...also wirklich! Eine Frage Herr Kerp, welche Nationalität hätten Sie sich eigentlich ausgesucht? Und, Sie müssen sich nicht schämen ein Deutscher zu sein!
Norbert Kurt Leupi 28.05.23 16:30
So rührend , das Wort zum Sonntag ,...
da kommen uns doch die Tränen ! Herr Kerp spielt uns die heile Welt im Isaan vor !
Robert Bachofner 28.05.23 14:47
Bravo!
Ich ziehe den Hut vor Ihrer bescheidenen Sicht auf das Leben! Auch mir bedeutet es nicht sonderlich viel, Schweizer zu sein. Ich kann nichts dafür. Viel mehr bedeutet auch mir, es geschaft zu haben, meinen Lebensabend hier in Thailand verbringen zu dürfen und für meine Frau da zu sein und sie glücklich zu sehen!
Alles Gute weiterhin!
Robert Bachofner, Nongprue