Thais kennen die Rangordnung

Eine Zuwendung beschleunigt die ansonsten schwerfällige Bürokratie

Thais haben ein ausgeprägtes Gefühl für die gesellschaftliche Hierarchie. Ganz oben steht natürlich die Königsfamilie und der Adel; mit beiden wird der gewöhnliche Thai aber kaum zu tun haben.

Einen besonderen Rang nehmen die Mönche ein, denn jeder Mönch wird durch seine Ordination in einen heiligen Stand erhoben. Mit der Ordination zum Mönch wird jeder Thai zu einer geehrten undrespektierten Persönlichkeit, und es entspricht selbst der Würde des Königs, einem Bauernsohn als Mönch Respekt zu bezeugen. Das beruht auf der Tatsache, dass der Mönch nicht als Individuum,sondern als Vertreter des buddhistischen Ideals angesehen wird.

Im täglichen Leben aber richtet sich die Rangordnung nach Macht und Geld. Wer Macht hat, vom Ministerpräsidenten bis zum kleinen Dorfbürgermeister, hat auch eine entsprechend hohe Stellung inder Rangordnung. Wichtig ist aber auch das Geld. Wer reich ist, hat damit auch eine gewisse Macht, da er den Reichtum zum Nutzen oder Schaden der ärmeren Leute anwenden kann.

Zur Obrigkeit zählen in weitestem Sinne alle Staatsdiener. Egal, ob man in eine Behörde, Schule oder ein Postamt geht, überall trifft man auf Uniformierte mit Rangabzeichen und Orden, die denStaatsdiener kennzeichnen. Jeder staatliche Angestellte, vom Ministerpräsidenten (bei wichtigen Anlässen) bis zum Dorfschullehrer und Mädchen am Postschalter, trägt eine militärähnlicheKhakiuniform mit Rangabzeichen und Orden, damit auch jedem sofort klar ist, wie Angehörige der Obrigkeit einzuordnen sind. Sogar der Dorfbürgermeister legt, wenn er zu dienstlichenAngelegenheiten in die Kreisstadt fährt, seine Uniform an.

Beim Kontakt mit Dienststellen, z. B. bei der Polizei oder bei der Ausländerbehörde, hat man oft mit Leuten zu tun, die man zumindest dem Aussehen und der Ordensspange nach in Deutschland als General einschätzen würde. Für den kundigen Thai wird durch den ganzen Aufputz die Stellung in der Hierarchie auf den ersten Blick klar.

Obwohl die Einkünfte der Staatsbediensteten geringer sind als die vergleichbarer Angestellter in der Wirtschaft, ist Staatsdiener zu sein ein sehr begehrter Beruf. Der Staat bietet ihnen vieleVergünstigungen, wie die Erstattung von Arzt- und Krankenhauskosten für die ganze Familie, Kindergeld und schliesslich eine Rente. Ein Grund für den Drang in den Staatsdienst ist auch das hohesoziale Prestige des Staatsbeamten, egal ob Ministerpräsident oder kleiner Schreiber in einer Bezirksbehörde. Nicht zuletzt bietet sich den Behördenangestellten die Möglichkeit, über illegaleZuwendungen die schmalen Bezüge aufzubessern. Mit mehreren hunderttausend Menschen bildet die Gruppe der Staatsangestellten nach den Bauern die zahlenmässig zweitstärkste Gruppe der arbeitendenBevölkerung. Das ist aber auch ein Grund für die nach unseren Begriffen äusserst schwerfällige Bürokratie im Land.

Wer je mit Behörden im Isaan zu tun hat oder auch nur auf einer Bank Geld abheben will, dem wird hier die nach unseren Begriffen langsame und umständliche Arbeitsweise auffallen. Jedes Papiermuss von mehreren Leuten geprüft und unterschrieben werden. Selbst einfache Angelegenheiten sind unglaublich bürokratisch geregelt.

So braucht z. B. jeder Thai für die Erstellung eines Passes, eines Führerscheins oder um ein Bankkonto einzurichten eine beglaubigte Kopie aus seinem Wohnungsregister. Dieses liegt aber nur anseinem Heimatort vor. Das bedeutet in der Praxis, dass ein Mädchen aus dem Isaan, das einen Farang kennengelernt hat, der sie zu einem Besuch mit nach Deutschland nehmen will, zunächst nach Hause fahren muss (zwei Tage hin – zwei Tage zurück), um sich die zur Erstellung eines Passes notwendigen Personalunterlagen zu besorgen.

Man kann die Erledigung aller Behördenangelegenheiten allerdings in der Regel durch ein entsprechendes Tee-Geld beschleunigen. Man sollte aber das, was wir als Korruption bezeichnen, inThailand nicht einfach mit unseren Massstäben messen. Es ist sozusagen ein Teil der Landessitten. Wenn jemand dem anderen einen Dienst erweist, kann er füglich erwarten, dafür belohnt zuwerden. Der Umstand, dass er als Staatsbediensteter ja schon ein Gehalt bezieht, zählt bei der Geringfügigkeit dieser Summe lediglich als Anwesenheitsprämie.

Bei einer repräsentativen Befragung in Bangkok gaben 80 Prozent der Befragten an, dass sie Bestechungsgelder zahlen für einen besseren Service. Bei der Umfrage zu diesem Thema kamen Polizei unddie Parlamentarier am schlechtesten weg.

Allgemein wird aber die Tatsache akzeptiert, dass Bestechungsgelder zu zahlen sind, wenn man Dienstleistungen von Polizei, Zoll, Steuerbehörden, Landesämtern und Gerichtsoffiziellen benötigt.

Eine interessante Entschuldigung für die überall übliche Art und Weise, sich ausserhalb der Legalität Nebeneinnahmen zu verschaffen, habe ich mal in der Bangkok Post in einem Leserbriefgelesen: Wenn die Regierung das Heer von öffentlichen Bediensteten so bezahlen würde, dass jeder vernünftig davon leben könnte, dann müssten Steuern und Abgaben beträchtlich erhöht werden. Daswürde dann alle Bürger treffen, während das übliche Tee-Geld nur den belastet, der die Dienste der Verwaltung tatsächlich in Anspruch nimmt.

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