Olympiade auf dem Dorf

Beim Sportfest der Schulen sind fast alle Einwohner auf den Beinen

Von Günther Ruffert

Es ist zwar schon eine ganze Weile her, aber ich kann mich noch gut an unsere Schulsportfeste zu Hause in Deutschland erinnern. Das Beste daran war, dass wir einen Tag keinen Unterricht hatten. Und obwohl die Familien der Schüler eingeladen waren, haben sich kaum mal Eltern auf den Sportplatz verirrt.

Als mir nun die Kinder in unserem kleinen und verschlafenen Dorf im Isaan erzählten, dass in der nächsten Woche das jährliche Sportfest der Schulen des Amphoe (Kreis) in unserem Dorf stattfinden sollte und dass ich auf jeden Fall dabei sein müsste, hatte ich nicht viel erwartet. Aber ich wurde gewaltig überrascht.

Am Morgen des grossen Tages wurde ich schon um 7 Uhr früh durch Trommeldröhnen geweckt. Alle teilnehmenden Mannschaften von insgesamt elf Schulen zogen in einem Festzug durchs Dorf. Jede Gruppevon etwa 50 bis 80 Teilnehmern bot ein farbenfreudiges Bild.

Vorneweg ein paar Mädchen in traditionellen Thai-Kostümen, die ein Schild mit dem Namen des Dorfes trugen und ein Fahnenträger mit der Fahne der Schule. Danach ein Tambourmajor und eine mit Trommeln und Pauken den Marschtakt angebende Kapelle. Dahinter kam die Mannschaft der Schule, alle in gleichen farbigen T-Shirts, jedes Dorf eine andere Farbe. Das ganze elf Mal hintereinander, und jede Schule versuchte, die anderen an Aufwand zu übertreffen.

Auf dem Sportplatz der Dorfschule war ein grosses Zelt für die Ehrengäste und rings um den Platz je ein Zelt für jedes Dorf aufgebaut. Der ganze Platz war umlagert von Menschen, Imbissbuden und auch ein paar Marktständen.

Und nun lief alles ab, als wollte man die Eröffnungsfeier von Olympischen Spielen übertreffen. Zuerst der Einmarsch der elf Mannschaften, jede Mannschaft in einer anderen Farbe, vorneweg natürlich Fahnenträger, Trommeln und hübsche junge Mädchen in den Thai-Kostümen. Alle marschierten in Blocks auf dem Feld vor der Ehrentribühne auf.

Dann folgte das komplette, über zwei Stunden andauernde Eröffnungsprogramm mit Ansprachen der Honoratioren, Einlaufen einer Stafette mit dem Olympischen Feuer, das auf einem hohen Pylon angezündet wurde, Flaggenparade, Nationalhymne, Olympischem Eid und erstaunlich gut synchronisierten Gruppenvorführungen zu ohrenbetäubender Diskomusik.

Nach zwei Stunden Eröffnungszeremonie begann das Wettkampfprogramm der über 600 Teilnehmer mit Vorläufen, Zwischenläufen und Finale. Das Ganze war so gut organisiert und lief mit einer derartigen Präzision ab, wie ich es bisher in Thailand noch nicht erlebt hatte.

Rings um das Feld stand jeweils das halbe Dorf und feuerte die Läufer mit einer Begeisterung und einem Lärm an, den ich bisher nur bei Pokalendspielen im Fernsehen gesehen habe. Selbst unsere Oma hat dabei so geschrien und sich so aufgeregt, dass ich ernstlich einen Herzinfarkt befürchtete.

Ich wollte eigentlich nur die Eröffnungsfeier miterleben, und das auch nur mehr aus Höflichkeit. Dann aber war ich von dem Wettkampfprogramm so angetan und wurde von der Begeisterung der Leute so angesteckt, dass ich bis zum Ende ausgehalten und kräftig mit geschrien habe.

Am zweiten Tag ging das Programm weiter. Wieder wurde an dem Tag nicht gearbeitet, denn alle waren auf dem Festplatz. Als ich am ersten Tag morgens meine Frau fragte, warum die Handwerker, die dabei waren, unser Haus durch einen Balkon zu verschönern, nicht zur Arbeit erschienen, antwortete sie ganz erstaunt: „Heute ist doch Schulsportfest, da sind alle auf dem Sportplatz.“

Der erste Tag war den Wettläufen gewidmet gewesen, am zweiten Tag waren die Spiele dran. Die Mädchen kämpften um die Ehre als beste Faustballmannschaft und die Jungen um den Preis für die besteTakraw-Mannschaft.

Takraw ist ein traditionelles thailändisches Ballspiel. Es wird mit einem etwa 15 cm grossen Ball aus Rattangeflecht gespielt. Auf beiden Seiten eines hochgespannten Netzes stehen jeweils drei Mann einer Mannschaft und versuchen, den Ball ausschliesslich mit Füssen, Kopf, Knie oder Ellenbogen ins gegnerische Feld zu befördern. Sobald der Ball in einem Feld den Boden berührt, ist ein Minuspunkt für die Mannschaft fällig. Es ist für den zuschauenden Farang unglaublich, mit welchem Geschick die Spieler den leichten Ball in der Luft halten und ihn dem Gegner so zuspielen, dass er möglichst keine Chance hat, ihn abzufangen, bevor er den Boden berührt.

Alle Spiele wurden im K.o.-Modus ausgetragen, die Mannschaft, die verlor, schied aus. Das Anfeuerungs-geschrei und der Jubel, wenn eine Mannschaft gewonnen hatte, war noch grösser als am ersten Tag. Jeder Punkt der eigenen Mannschaft wurde mit lautem Jubel und Freudentänzen des ganzen Dorfes begrüsst.

Als Abschluss der Veranstaltung fand dann noch ein Kampf um den Fussballpokal der 10- bis 12-jährigen statt.

Am Abend des zweiten Tages gingen die Spiele mit der Überreichung der Pokale an die Siegermann-schaften und einer, allerdings kurzen Schlussfeier zu Ende.

Wenn man erlebt, wie hier ein paar arme Dörfer ein Sportfest gestalten, an dem nicht nur die Wettkämpfer teilnehmen, sondern die ganze Bevölkerung; wie kleine sechsjährige Knirpse barfuss, mit verbissenem Gesicht wie um ihr Leben rennen und hinterher jubeln, wenn sie auf das Siegertreppchen steigen und ihre Blechmedaille in Empfang nehmen, oder auch heulen, wenn sie verloren haben - und das mit den ganz auf Kommerz abgestellten Wettkämpfen von hochbezahlten Berufssportlern bei der Olympiade vergleicht, dann möchte ich meinen, dass von dem Motto, das Coubertin einst den Olympischen Spielen voranstellte, dass die Jugend der Welt im fairen Wettkampf ihre Kräfte messen soll, hier vielleicht mehr zu spüren ist als auf einer Olympiade. Dazu kommt dann noch das natürliche Bestreben der Menschen im Isaan, aus jedem möglichen Anlass zum Feiern den grösstmöglichen „Sanuk” herauszuholen.

Da die Mannschaft der Dorfschule – alles barfuss spielende Knirpse zwischen 10 und 12 Jahren – den Fussballpokal gewonnen hatte, wurde im ganzen Dorf bis spät in die Nacht gefeiert. Am nächsten Morgen konnte ich meine Handwerker noch für einen Tag abschreiben.

Spannendes Buch über den Isaan

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau und Tochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau und Ernte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf in seinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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