Zeitungen zum Geschehen am Mittwoch

Foto: Pixabay/Gerd Altmann
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«Frankfurter Rundschau» zum bayrischen Verbot gendergerechter Sprache

Seit Jahren wird aus der rechten Ecke die Mär verbreitet, durchgeknallte Feminist:innen wollten den Deutschen vorschreiben, wie sie zu sprechen und zu schreiben hätten.

Dass Sprache sich verändert, wird dabei zur Gefahr für die Freiheit stilisiert. Als Folge dieses rechten Kulturkampfes treten nun erste unionsgeführte Bundesländer den Beweis an, dass es eben gerade nicht die Befürworter:innen gendergerechter Sprache, sondern ihre Gegner:innen sind, die anderen Vorschriften machen wollen. Bayern verbietet in Schulen und Behörden das Gendern mit Sonderzeichen; Hessen will das auch. Argumentiert wird mit der Verständlichkeit und damit, dass genderneutrales Sprechen alle ausgrenze, die davon nichts hielten. Dabei ist es umgekehrt: Nichtbinäre oder trans Menschen werden vergessen und ausgegrenzt, wenn sie nicht angesprochen werden. Einer demokratischen Gesellschaft wäre nur eins angemessen: dass der Staat sich heraushält und alle so schreiben und sprechen können, wie sie wollen.


«Stuttgarter Zeitung» zur Leipziger Buchmesse

Im vielfachen Zangengriff von links und rechts, globalem Süden und reichem Norden, Kolonialismus und Schoah, Ost und West scheint mancher Kompass seine Orientierung verloren zu haben.

Eine Buchmesse könnte eine Gelegenheit sein, ihn neu zu justieren. Wo, wenn nicht hier, ließe sich besser daran erinnern, dass man Sprache nicht nur für grobschlächtige Parolen nutzen kann, sondern auch als Mittel, die Welt in ihrer Vielfalt und Komplexität zu beschreiben? In einem Wahljahr wie diesem, in dem nicht nur in Sachsen die Koordinaten der politischen Kultur des Landes radikal verschoben zu werden drohen, sind Diskurs und intellektueller Austausch wichtiger denn je. Literatur erweist ihre Stärke gerade in dem Zwischenraum, der sie von der Wirklichkeit trennt, als Experimentierfeld für Perspektiven und Abwägungen.


«La Repubblica»: Putin ist und bleibt ein KGB-Beamter

ROM: Zum Machtsystem Putin schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» am Mittwoch:

«Die russische Frau, die sich über die Absperrung beugt, um eine Blume auf den Sarg von Alexej Nawalny zu werfen, und die Wähler, die den Stimmzettel zeigen, auf den sie den Namen des Dissidenten geschrieben haben, der vor einem Monat in einem Gefängnis jenseits des Polarkreises gestorben ist: Gibt es ein aussagekräftigeres und symbolträchtigeres Bild menschlichen Mutes als diese beispiellosen Gesten? (...)

Nawalnys politische Geschichte, seine früheren hypernationalistischen Positionen, seine Entgleisungen und Fehler sind vernachlässigbar angesichts der Tatsache, dass er später Opfer einer Vergiftung, dann einer ungerechtfertigten Inhaftierung, abnormaler Anklagen, der Deportation nach Sibirien und schließlich des Todes in einer speziellen Gefängniszelle war.

Doch das ist das, was am meisten zählt, und es ist immer das, was den wahren und tiefgreifenden Charakter der Tyrannei Wladimir Putins unmissverständlich offenbart. Dieser kommt aus der Vergangenheit und beherrscht die Vergangenheit, indem er aus ihr Traditionen schöpft und Mythen erfindet, um seinen Despotismus zu stärken. Doch in Wirklichkeit ist er ein KGB-Beamter, wie er es vor 35 Jahren war und wie er am Ende dieser letzten Amtszeit im Jahr 2030 sein wird.»


«The Guardian»: Militärhilfe an Schutz von Zivilisten in Gaza binden

LONDON: Zur Haltung der USA im Gaza-Krieg meint der Londoner «Guardian» am Mittwoch:

«Die USA versuchen, Benjamin Netanjahu zu umgehen, oder hoffen auf seinen Abgang. Politiker der Demokraten kritisieren den israelischen Premierminister zunehmend und lautstark. Aber die öffentliche Bekundung von Frustration allein wird keine Palästinenser retten (...).

Die USA sollten deutlich machen, dass sie zwar Israels Recht und Pflicht anerkennen, seine Bürger zu schützen, dass aber die Militärhilfe für Israel an den Schutz der Zivilisten in Gaza geknüpft ist. Vor allem muss es um eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln gehen sowie darum, dass große Mengen an Hilfsgütern geliefert werden können und der Handel mit Waren erleichtert wird - auch durch die Öffnung weiterer Grenzübergänge. Was auch geschieht, es werden wohl weiter viele Menschen ihr Leben verlieren. Aber immer noch können und müssen weit mehr als bisher gerettet werden.»


«La Vanguardia»: Europas Hilfe für Ukraine immer entscheidender

MADRID: Zum Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Mittwoch:

«Klar ist, dass die europäische Militärhilfe für die Ukraine immer entscheidender wird. Nicht nur, weil die EU sich des kritischen Augenblicks bewusst geworden ist, sondern auch, weil in den europäischen Hauptstädten die Sorge wächst, dass (US-Präsident Joe) Biden im Kongress die Hände gebunden sind. Und man weiß, dass ein Sieg von Donald Trump im kommenden November katastrophale Folgen haben könnte. Aber alle sind sich darüber im Klaren, dass die europäische Hilfe für Kiew ohne die Unterstützung der USA nicht ausreichen wird, um die russischen Truppen aufzuhalten. (...)

Ein paralleler Weg zur Bewaffnung der Ukraine könnte der Vorschlag sein, den Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, morgen dem Europäischen Rat vorlegen wird. 90 Prozent der Erträge aus den in Europa eingefrorenen russischen Finanzanlagen - etwa drei Milliarden Euro - sollen demnach für den Kauf von Waffen und Munition für die Ukraine verwendet werden. Die eingefrorenen Gelder dürfen nicht beschlagnahmt werden, aber die Zinserträge daraus können rechtlich abgesondert werden. Für den Vorschlag wäre eine einstimmige Unterstützung erforderlich, aber es gibt noch keinen vollständigen Konsens zwischen den 27 EU-Staaten.»


«Nesawissimaja»: Brüssel will Ukraine mit russischem Geld aufrüsten

MOSKAU: Zu der im Westen geplanten weiteren Militärhilfe für die Ukraine schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Mittwoch in Moskau:

«Der größte Teil der eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank befindet sich im belgischen Zentralverwahrer für Wertpapiere Euroclear. (.) Was die militärische Unterstützung betrifft, so haben die EU-Außenminister am vergangenen Montag endgültig beschlossen, weitere 5 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine bereitzustellen und einen Hilfsfonds für die Ukraine im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität einzurichten. (.) Brüssel will die Ukraine auf Kosten Russlands aufrüsten. Noch aber gibt es keinen Konsens über die Beschlagnahmung von Erträgen aus russischen Vermögenswerten in der EU. (.) Die Ukraine wird nicht nur mit Waffen, sondern auch mit der Schaffung neuer militärischer Infrastrukturen der NATO in der Nähe des Konfliktgebiets unterstützt werden.»


«The Irish Times»: Schärferer Ton gegenüber Netanjahu

DUBLIN: Die in Dublin erscheinende «Irish Times» kommentiert am Mittwoch die zunehmende Kritik in den USA am Vorgehen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Gazastreifen:

«Die USA scheinen nun anzuerkennen, dass er und seine extremistische Regierung Teil des Problems und nicht die Lösung sind. Es bleibt abzuwarten, ob US-Präsident Joe Biden seinen Einfluss geltend macht, um darauf hinzuarbeiten, dass weitere israelische Angriffe unterbleiben. (...) Biden hat inzwischen einen schärferen Ton gegenüber Netanjahu angeschlagen und betont, dass humanitäre Hilfe angesichts der drohenden Hungersnot ein Gebot der Stunde ist. Er hat die Bombardierung von Zivilisten kritisiert und versucht, Israels Drang, den Libanon anzugreifen, zu zügeln.

Bidens Botschaft scheint inzwischen zu sein, dass die Unterstützung Israels und die Unterstützung Netanjahus nicht dasselbe sind. US-Außenminister Antony Blinken kehrt in die Region zurück, um erneut auf einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu drängen. Zudem trifft er sich mit hochrangigen saudischen und ägyptischen Politikern, um die untrennbar damit verbundene «richtige Architektur für einen dauerhaften regionalen Frieden» zu erörtern. Netanjahu scheint kein Pfeiler dieser Architektur zu sein.»


«Tages-Anzeiger»: Zukunftsfrage für die Schweiz

ZÜRICH: Vor drei Jahren hat die Schweiz ein Rahmenabkommen mit der EU platzen lassen. Nun haben Bern und Brüssel erneut Verhandlungen aufgenommen. Dazu schreibt der Zürcher «Tages-Anzeiger» am Mittwoch:

«Es geht um die Zukunftsfrage für die Schweiz. Sehen wir uns als immerwährende Insel oder endlich als Teil unserer europäischen Nachbarschaft, von der unsere Prosperität zu einem guten Teil abhängt? Die Gegner links und rechts der Mitte haben derzeit klar die Deutungshoheit. Geschenkt, dass sie das Narrativ mit Kampfbegriffen wie dem Kolonialvertrag oder dem neoliberalen Ausverkauf bestimmen. Es ist das Bild einer ängstlichen, verzagten Inselschweiz, das da gezeichnet wird.

Die Befürworter machen es ihnen dabei sehr einfach. Sie müssten mit Herzblut für eine Annäherung werben, ähnlich wie es die Gegner tun. Es wäre eine Gegenerzählung, die sich um Chancen für Forschende bis hin zu mehr Rechtssicherheit für Firmen dreht und weniger um Ängste. (.)

Klar, einen Deal ohne Nachteile wird es nicht geben. Verhandlungen sind immer ein Geben und Nehmen, Risiken können nicht ausgeschlossen werden. Für eine Einigung mit Brüssel sind Mut und Zuversicht gefragt. Die Befürworter müssten das große Ganze im Auge behalten und dürften sich nicht im Klein-Klein verlieren. Es geht unter dem Strich darum, den Wohlstand der Schweiz zu sichern. Und auch dies dürfte klar sein: Scheitert dieser Anlauf, wird die EU nicht so rasch für einen dritten Versuch bereit sein.»

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