Zeitungen zum Geschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Stuttgarter Zeitung» zu Reform des Rettungsdienstes

Es gibt in Deutschland gleich drei Anlaufstellen für Notfälle.

Und das führt dazu, dass es sowohl Unter- wie Überversorgung gibt: Mancher Patient landet im Krankenhaus, obwohl ihm auch ambulant geholfen werden könnte, während andere auf die Bereitschaft warten und währenddessen eigentlich schon im Notarztwagen versorgt werden müssten. Wieder andere gehen in die Klinik, weil sie bei der 116.117 nicht durchkamen oder lange in der Warteschleife hingen. Diese Situation ist belastend - und zwar für die Ärzte und Pflegekräfte genauso wie für die Patienten. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat also recht, wenn er sagt, dass die Rettungsdienste eine Rettung bräuchten. Zur der von ihm geplanten Reform zählt, die Nummern 112 und die 116.117 zu erhalten, sie aber in einer Leitstelle zusammenzuführen. Die berät jeden einzelnen Anrufer und sagt ihm, wo er mit seinem akuten medizinischen Problem die geeignete Hilfe bekommt. Das allerdings setzt voraus, dass in den Leitstellen genug geschulte Menschen tätig sind, was in Zeiten des Fachkräftemangels keine einfache Aufgabe ist.


«Berliner Morgenpost» zu Berliner Sicherheitsgipfel

Es ist gut, dass sich der Regierende Bürgermeister eines Themas annimmt, das viele Bürger umtreibt: der schon lange nicht mehr hinnehmbaren Lage an Berlins Drogen-Hotspots Görlitzer Park und Leopoldplatz.

Zu viel Repression allein im Park drängt Kriminelle und Süchtige in Hauseingänge und Innenhöfe. Dass Absperren keine Lösung ist, zeigt schon der Leopoldplatz. Die Lösung liegt im Mix aus Polizei vor Ort und Verfolgung der Hintermänner, aber auch in mehr Angeboten für Suchtkranke für den Ausstieg oder die Substitution. Dazu braucht es neben Gesetzesänderungen Geld, um Sozialarbeit und Drogenhilfe dauerhaft aufzustocken, bis die Lage unter Kontrolle ist. Der Berliner Sicherheitsgipfel muss belastbare Zusagen bringen. Der Kampf um unseren öffentlichen Raum ist ein Langstreckenlauf, der gerne am Gipfel beginnen darf.


«Handelsblatt» zu steigenden Sozialabgaben

Wie viel ist uns unser Sozialsystem wert? Nicht genug, findet die Bundesregierung.

Seit sie im Amt ist, hat sie die Sozialabgabensätze mehrmals angehoben. Sie liegen jetzt über der Grenze von 40 Prozent. Die hat die Große Koalition noch als kritisch erklärt - für Arbeitgeber, für Unternehmen, für die Akzeptanz des Systems. Schließlich hat Deutschland bereits eine der höchsten Abgaben unter den Industrieländern. Für die Ampelkoalition gilt diese Grenze nicht mehr. Ohne Rücksicht auf Kollateralschäden lässt sie die Sozialabgaben wachsen, erst die Beiträge für die Krankenversicherung, im Sommer nun für die Pflegeversicherung - und 2024 ist wohl wieder die Krankenversicherung dran. Durch den zwar turnusmäßigen, aber starken Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze im kommenden Jahr zahlen nicht nur Gutverdiener, sondern auch die Mittelschicht deutlich mehr. Insgesamt wird Arbeit damit unattraktiver - ein toxischer Mix.


Scholz

Die Bundesregierung (...) hat (...) das Angebot an vergleichsweise billigem Strom verknappt, indem sie inmitten einer Energiekrise drei Kernkraftwerke abschalten ließ.

Nötig wäre das Gegenteil gewesen (...) Mehr Strom als sonst wurde importiert, aber nicht weil es Engpässe gäbe, sondern weil hiesiger Strom zu teuer ist. Solche Widersprüche werden regelmäßig mit einer Zauberformel weggewischt: mehr erneuerbare Energie! Es zeigt sich allerdings, dass mehr Windkraft und mehr Sonnenkraft nicht in der Lage sind, den teuren Übergang zu verkürzen. Windkraft hat zuletzt Kohlekraft überholt, und trotzdem ächzt Deutschland auf absehbare Zeit unter zu hohen Kosten. Die Bundesländer gehen jetzt voran. Ihr Deutschlandpakt findet ohne Olaf Scholz statt - nur einen Tag nach dessen Aufruf. Mancher Krisenkanzler endet in der Kanzlerkrise.


«Frankfurter Rundschau» zu Kampf gegen Antisemitismus

Der Kampf gegen Antisemitismus gehört zum Gründungskonsens der Bundesrepublik Deutschland.

Immer, wenn dieser Konsens ins Wanken gerät, steht damit ein Fundament dieser Republik auf dem Spiel. (...) Nicht nur Verantwortliche von Jüdischen Gemeinden hegen Zweifel, was den Umgang des bayrischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger mit dem Skandal um ein antisemitisches Flugblatt aus seinen Schulzeiten angeht. Dessen Gerede von einer angeblichen «Schmutzkampagne» gegen ihn verfängt bei manchen. Statt Fragen zum Skandal zu beantworten, kann der Freie-Wähler-Chef schweigen, ohne Stimmen einzubüßen. Im Gegenteil: Aiwanger scheint zuzulegen. Offenbar gibt es Wählerinnen und Wähler, die von diesem Fundament der Republik nichts mehr wissen wollen. Das ist das wirklich Beunruhigende in diesem Skandal.


«De Standaard»: China stellt Europa vor Herausforderungen

BRÜSSEL: Auf der IAA in München zeigen chinesische Autobauer neue E-Modelle zu vergleichsweise günstigen Preisen. Dazu meint die belgische Zeitung «De Standaard» am Donnerstag:

«Seinen Vorsprung konnte China durch jahrelange, strategische und stark subventionierte Unterstützung seiner E-Auto-Industrie erarbeiten. Leapfrogging nennt man das: von einem Rückstand aus über die Technologie der Vergangenheit hinweg in die der Zukunft springen. Man könnte es auch visionär nennen.

Das stellt Europa vor eine gewaltige Herausforderung. Das Ziel wird nach den Klimaextremen dieses Sommers nicht mehr bestritten: Die Welt muss so schnell wie möglich aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Wer dabei die Führung übernimmt, wird die Technologie der Zukunft beherrschen.

Ein gesetzlicher Rahmen bietet den europäischen Unternehmen die nötige Rechtssicherheit, um die Elektrifizierung mit voller Kraft voranzutreiben. Doch Engpässe bereiten Sorgen: Rohstoffe, Batterien, Infrastruktur und vor allem die Bezahlbarkeit für den einzelnen Bürger. (...) Den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen zu verzögern oder einzuschränken, wird nicht dazu beitragen, den Rückstand gegenüber China aufzuholen. Was China kann, müssen Europa und seine Autobauer auch können.»


«Sydsvenskan»: Das Ziel von Russlands Hybridkrieg ist der Westen

MALMÖ: Die liberale schwedische Tageszeitung «Sydsvenskan» (Malmö) kommentiert am Donnerstag die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze:

«An der Ostgrenze der Nato brodelt es. Mitte August schickte die polnische Regierung 10.000 Soldaten an die Grenze zu Belarus, kurz nachdem zwei belarussische Hubschrauber den polnischen Luftraum verletzt hatten. Die polnische Regierung bezeichnete dies als einen weiteren Schritt zur «Eskalation der Spannungen». Etwas, das der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko zurückwies. Aber es gibt sicherlich Grund zur polnischen Besorgnis.

Seit dem gescheiterten Putschversuch in Russland ist die Wagner-Truppe in Belarus stationiert. Die polnischen Behörden warnen davor, dass sich Wagner-Soldaten als Flüchtlinge ausgeben könnten, um die Grenze nach Polen, in die EU, zu überqueren. Oder, als belarussische Grenzpolizisten verkleidet, Migranten dabei helfen könnten, den neu errichteten Grenzzaun Polens zu durchbrechen.

Während Russlands illegaler Invasion der Ukraine sind russische Truppen durch Belarus marschiert, russische Raketen wurden von belarussischem Boden aus abgefeuert. Lukaschenko gehorcht Putin. Und der polnische Grenzkonflikt liegt in Russlands Interesse.

Nur wenige glauben, dass Russland ein Nato-Land wie Polen angreifen würde. Vielmehr geht es um psychologische Kriegsführung, die sich gegen den Westen richtet. Für den Kreml besteht das Ziel darin, zu destabilisieren und zu spalten - um die Aufmerksamkeit von Russlands Gewalt und Übergriffen in der Ukraine abzulenken. Eine zynische Hybridkriegsführung. Wenige Dinge sind empfindlicher und sorgen für mehr Zwietracht zwischen den Mitgliedsstaaten der EU als die Flüchtlingsfrage.»


«Corriere della Sera»: EU braucht ökosozialen Stabilitätspakt

ROM: Die italienische Tageszeitung «Corriere della Sera» schreibt am Donnerstag zu den Gesprächen über einen neuen Stabilitätspakt für die EU:

«Man muss sich keine Illusionen machen: Die Schulden- und Defizitbeschränkungen, die in Europa während der Covid-Pandemie ausgesetzt wurden, werden bald wieder zu spüren sein. Die EU-Kommission hat im April einen Vorschlag zur Reform des Stabilitätspakts formuliert, der mehr Flexibilität als in der Vergangenheit vorsieht. Angesichts der Positionen der verschiedenen Länder ist kaum zu erwarten, dass sich der Ausgang der laufenden Verhandlungen wesentlich von diesem Vorschlag unterscheidet.

Der neue Stabilitätspakt sollte nicht nur die wirtschaftliche Dimension berücksichtigen, sondern auch die «ökosoziale» Dimension: zum Beispiel einen gerechten grünen Wandel vorbereiten, Inklusion und Schutz der am meisten gefährdeten Menschen stärken sowie Bildung und Ausbildung ausbauen.»


«Tages-Anzeiger»: Auch für Trump naht der Tag der Abrechnung

ZÜRICH: Wegen des Angriffs auf das US-Kapitol im Januar 2021 soll der frühere Anführer der rechtsradikalen Gruppe «Proud Boys» 22 Jahre lang in Haft. Dazu meint der Schweizer «Tages-Anzeiger» am Donnerstag:

«Nun sind mit einer Ausnahme alle Köpfe des Sturms verurteilt. Zwischen 10 und 22 Jahre Gefängnis haben sie erhalten, die Anführer der Milizen Proud Boys und Oath Keepers. Mehr als die Hälfte der über 1100 angeklagten Demonstranten wurden schuldig gesprochen, mehr als die Hälfte von ihnen muss ins Gefängnis.

Die Botschaft dieser Urteile ist mehr als deutlich. Was am 6. Januar 2021 passierte, war kein Spaziergang von Touristen und Patrioten, wie es Donald Trump behauptet. Sondern ein gezielter Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat, auf den Letzterer nun fair, aber hart antwortet.

Die Ausnahme ist natürlich Donald Trump. Nur der oberste Verantwortliche musste sich bislang nicht der Justiz stellen. Er, der damals als US-Präsident seine Gefolgschaft aufwiegelte, um an der Macht zu bleiben. Inzwischen ist Trump auch deswegen angeklagt, der Prozess ist für März angesetzt. Die Gewalt am 6. Januar 2021 dürfte dort nur eine Nebenrolle spielen. Im Zentrum stehen andere Versuche, das Wahlresultat zu kippen. Doch auch für den Boss naht der Tag der Abrechnung.»


«The Guardian»: Westen ignoriert Modis Hindu-Nationalismus

LONDON: Zum G20-Gipfel in Indien meint der Londoner «Guardian» am Donnerstag:

«Indiens autoritär agierender Premierminister Narendra Modi hat sein Land seit 2014 zunehmend zu einer «de facto ethnischen Demokratie» gemacht, in der Hindus die nationale Identität definieren und Nicht-Hindus als Bürger zweiter Klasse betrachtet werden. Als Gastgeber des bevorstehenden Treffens der 20 größten Volkswirtschaften der Welt wird Modi jedoch von wichtigen Staats- und Regierungschefs gefeiert werden - mit Ausnahme seiner abwesenden Kollegen Xi Jinping und Wladimir Putin.

Über Modis gefährlicher Majoritarismus sieht der Westen zu leicht hinweg, wie das freundliche Händeschütteln beim G20-Gipfel zeigen wird. Indien galt einmal als vorbildliche liberale parlamentarische Demokratie unter den Entwicklungsländern. Doch sie wird durch Modis Hindu-Nationalismus nach und nach demontiert.»


«Pravo»: Rundfunkgebühren sind Beitrag zu einer gesunden Gesellschaft

PRAG: Die tschechische Regierungskoalition hat sich darauf geeinigt, von 2025 an die Radio- und Fernsehgebühren zu erhöhen - erstmals seit mehr als 15 Jahren. Dazu schreibt die Zeitung «Pravo» aus Tschechien am Donnerstag:

«Nicht jedem macht es Spaß, sich morgens die Zähne zu putzen. Und doch nimmt man sich dafür im Interesse der eigenen Gesundheit die Zeit. Die Gebühren für das Tschechische Fernsehen (CT) und den Tschechischen Rundfunk (CRo) bezahlen viele nicht gern. Doch wir müssen diese Abgabe als einen Beitrag zu einer gesunden Gesellschaft begreifen. (...) Wenn eine Pandemie ausbricht, ein Krieg wütet oder ein Hochwasser droht, wenn wir uns der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender zu, weil wir davon ausgehen, dass sie schnell und zuverlässig informieren. (...) Es spricht nichts gegen eine Debatte über die Zukunft der Medien, doch es kann keine Lösung sein, die öffentlich-rechtlichen Sender zu gängeln und wirtschaftlich zu erpressen.»


«NZZ»: EU sollte Kandidatenstatus für Türkei beibehalten

ZÜRICH: Zum Verhältnis der Türkei zur EU meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Donnerstag:

«Eine Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen steht nicht zur Debatte. Auch für Ankara ist das zweitrangig. Die Türkei versteht sich als strategisch autonome Mittelmacht, die ihre Interessen von Fall zu Fall definiert und selber entscheidet, mit wem sie sich bindet. Daran ändert auch die Nato-Mitgliedschaft nichts.

Es wäre dennoch falsch, würde die EU dem Land den Kandidatenstatus entziehen, wie das im EU-Parlament manche fordern. Zum einen wäre dies eine unnötige Kränkung, weil aus der Mitgliedschaft so bald ohnehin nichts wird. Zum andern kann nicht ausgeschlossen werden, dass die neoosmanische Strömung eines Tages abreißt. Die Türkei hat auch eine laizistische Tradition und eine Bürgergesellschaft, der eine Renaissance zuzutrauen ist.

Und schließlich sollte der Kandidatenstatus auch deshalb nicht gekündigt werden, weil die nächste Erweiterungsrunde sowieso ganz anders verlaufen wird als alle bisherigen. Für die Ukraine, die Moldau und die Westbalkanstaaten wird Brüssel ein neues, differenzierendes Integrationsmodell finden müssen. Vielleicht passt da die Türkei dann doch irgendwie hinein.»


«Standard»: Deutschland-Pakt-Aufruf von Olaf Scholz ist zu begrüßen

WIEN: Zur Deutschland-Pakt-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz schreibt die österreichische Zeitung «Der Standard»:

«Scholz (...) hat dem Land nun so etwas wie eine «Ruck-Rede» vorgesetzt, so wie der damalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog, der 1997 forderte, es müsse «ein Ruck durch Deutschland gehen», und mehr Innovation einmahnte. 26 Jahre später probiert Scholz das auch. Und es ist ja nicht so, dass die Politik nichts kann. Wenn sie nur will, dann geht recht viel. Da werden innerhalb von Stunden Corona-Sondertöpfe oder ein Bundeswehr-Fonds mit Milliarden gefüllt. Ein LNG-Terminal an der deutschen Nordseeküste ist binnen Monaten geplant, gebaut und betriebsbereit. Aber derlei funktioniert unter Druck, wenn ein äußeres Ereignis dazu zwingt. Die Reformen von innen hingegen werden verschlafen.

Man kann also Scholz' Aufruf durchaus begrüßen, darf aber gleichzeitig skeptisch bleiben. 25 Jahre sind seit der Abwahl von Helmut Kohl als Kanzler vergangen. Seither war die SPD 21 Jahre lang in Regierungsverantwortung. Muss man mehr sagen? Dass jetzt alle zusammenhalten sollten, ist richtig. Ob sie es tun, mehr als fraglich. Am besten erklärt Scholz seinen schönen Plan als Allererstes einmal seiner eigenen Ampelkoalition.»

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