Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Tages-Anzeiger»: Neuer Anlauf hat wenig Chancen

ZÜRICH: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» kommentiert am Donnerstag den Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik:

«Vieles von dem, was die Kommission jetzt in ihrer Reform präsentiert, ist nicht ganz neu, sondern neu verpackt. Es ist kein großer Wurf, sondern eher ein Balanceakt zwischen den unterschiedlichen Interessen.

Da wären die Erstankunftsländer im Süden, die sich überlastet sehen, die Zielländer in Nordeuropa, wo die meisten Asylsuchenden hinwollen, und die Solidaritätsverweigerer im Osten. Mittendrin die Schweiz, grundsätzlich an einer Reform sehr interessiert. Mit ihrem letzten Plan ist die EU-Kommission im Streit um die Solidarität schon einmal abgestürzt. Nun die deutliche Kurskorrektur hin zu mehr Abschreckung, mit dem Versprechen, Asylverfahren zu beschleunigen und abgewiesene Asylbewerber konsequenter in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Absichtserklärungen sind allerdings einfacher als dann die Umsetzung, für die in der Praxis dann oft der politische Wille fehlt. Ob diese Reform der Asylregeln eine Chance hat, ist angesichts der Gräben innerhalb der EU aber ohnehin fraglich.»


«Süddeutsche Zeitung» zu Verbot/Verbrennungsmotoren/Kalifornien

Der Autoindustrie wird von einem Bundesverkehrsminister sekundiert, dem es nicht peinlich ist, neue Diesel- und Benzinmotoren als "saubere Verbrenner" anzupreisen.

Wer je einem Verbrennungsprozess beigewohnt hat, und dafür muss man nicht nach Kalifornien reisen, weiß um die Absurdität dieser Wortkombination. Fraglos ist der Verbrenner ein Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst, schon deshalb wird er so erbittert verteidigt. Nur: Die Urform dieses Meisterwerks stammt aus dem vorvergangenen Jahrhundert. Kalifornien, Heimat des E-Auto-Bauers Tesla, betreibt nicht nur Klima-, sondern auch Wirtschaftspolitik. Natürlich wird die jüngste Ankündigung auch Tesla beflügeln. Aber andere Staaten werden dem Beispiel Kaliforniens folgen, und andere Hersteller dem Beispiel Teslas. In Deutschland dagegen halten Politik und Industrie am Verbrennungsmotor fest, als gäbe es kein Morgen. Sie fügen dem Standort Deutschland so einen Schaden zu, den künftige Generationen zu tragen haben. Neben den Folgen des Klimawandels.


«Pravda»: Globaler Finanzsektor ist für Geldwäsche maßgeschneidert

BRATISLAVA: Die linksliberale slowakische Tageszeitung «Pravda» schreibt am Donnerstag zu den Geldwäsche-Enthüllungen der sogenannten FinCEN-Files:

«Die von einem internationalen Journalisten-Netzwerk veröffentlichten Daten aus dem US-Finanzministerium bestätigen nur, dass die Bekämpfung von Geldwäsche an einen Kampf gegen Windmühlen erinnert. Auf der einen Seite mag das Bemühen von Politikern und Finanzinstitutionen ehrlich sein. Aber auf der anderen Seite ändern ab und zu auftauchende Skandale nur die Methoden. Es sind neue Netze aus Briefkastenfirmen und anonymen Geldgebern, Offshore-Unternehmen und kollaborationsbereiten Finanzinstituten zu knüpfen. (...)

Banken sind nicht von vornherein amoralisch. Sie wollen nicht illegale Einkünfte legalisieren, aber Geld ist ihre Nahrung, egal, woher es kommt. (...) Und wer Steuerbetrug oder Bestechungsgeld reinwaschen will, kann das nicht ohne Banken. (...) So werden jetzt wieder ein paar Banken Strafgeld zahlen müssen und ihr Image wird sich verschlechtern. Es wird Aufrufe zu strengeren Regulierungen des weltweiten Finanzsystems geben, aber nach einiger Zeit wird der Lärm verstummen, und alles wird weitergehen wie gehabt. Denn der globalisierte Finanzsektor ist für Geldwäsche wie maßgeschneidert.»


«Lidove noviny»: Tschechen sind keine Schweden

PRAG: Zu den steigenden Corona-Zahlen in Tschechien schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Prag am Donnerstag:

«Schweden steht, was die Ausbreitung des Coronavirus angeht, im Augenblick wirklich gut da, wenngleich man die fast 6000 Toten in dem skandinavischen Land nicht bagatellisieren sollte. Wer nun denkt, dass man bei uns in Tschechien dem schwedischen Modell folgen sollte, begeht indes einen kardinalen Fehler. Wenn etwas den Bürgern unseres Staates fremd ist, dann die protestantische Moral mit ihrer Betonung der Selbstbeherrschung. Tschechien wird in weiten Teilen von professionellen Querulanten, Kämpfern gegen jedwede Regierung und anderen Menschen bewohnt, die ihre eigenen Interessen vor diejenigen der Gesamtheit stellen. (...) Ein Beispiel sind die Kneipenwirte, die sich gegen die Sperrstunde wehren und gerne noch eine Stunde länger einschenken würden. Es ist schwer, hierzulande mit rationalen Argumenten gegen die Mentalität des «Ich will aber» anzukommen. Schweden ist furchtbar weit weg.»


«The Irish Times»: Hoher Preis für einen kleinen Schritt

DUBLIN: Zum Plan der EU-Kommission für eine neue Flüchtlings- und Asylpolitik meint die in Dublin erscheinende «Irish Times» am Donnerstag:

«Die EU-Kommission legt damit wieder einen verpflichtenden «Solidaritätsmechanismus» auf den Tisch, der in seiner früheren Form mit verbindlichen Quoten für die Verteilung anerkannter Asylbewerber auf die Mitgliedstaaten zu einer bitteren Blockade geführt hatte, wobei sich Staaten unter Führung von Ungarn, Tschechien und Österreich einfach weigerten, neu ankommende Flüchtlinge von den Frontstaaten zu übernehmen und die Lasten mit ihnen zu teilen.

Das neue Paket ist ein System flexibler Beiträge und umgeht Einwände, indem Staaten erlaubt wird, die geforderte Solidarität entweder durch die Umsiedlung von Asylsuchenden aus Erstaufnahmeländern, die Übernahme von Verantwortung für die Rückführung von Personen ohne Bleiberecht oder «verschiedene Formen der operativen Unterstützung» - wohl in Form von Geld - zu erbringen. (...) Ob dieser Pakt, wenn er vereinbart werden sollte, menschenunwürdige Engpässe wie das Lager Moria - gewissermaßen ein Gefangenenlager für Flüchtlinge - abschaffen würde, ist völlig unklar. Ein kleiner Schritt, vielleicht. Aber zu einem Preis, der bedeutet, dass bei der flüchtlingsfeindlichen Haltung einiger Mitgliedstaaten ein Auge zugedrückt wird.»


«Hospodarske noviny»: Chancen des EU-Asylvorschlags ungewiss

PRAG: Die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien schreibt am Donnerstag zum neuen Vorstoß der EU-Kommission für eine Asylreform:

«Der vorgelegte Entwurf der EU-Kommission kann kaum alle zufriedenstellen - diejenigen, die Flüchtlinge willkommen heißen, diejenigen, die sie ablehnen, und diejenigen, die sie nur dulden wollen. Wie es bei solchen Kompromissvorschlägen üblich ist, geht er den einen zu weit und den anderen nicht weit genug, was die gegenseitige Solidarität angeht. (...) Es ist nicht einmal klar, ob sich die Regierungen in Prag oder Warschau vorstellen können, sich um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber aus Griechenland in ihre Heimatstaaten zu kümmern - auch wenn sie dafür weiterhin keine Flüchtlinge aus anderen EU-Staaten übernehmen müssten. Denn die Erfahrung zeigt, dass das gar keine einfache Aufgabe wäre. Jedenfalls ist es besser, sich in ruhigeren Zeiten auf Krisen vorzubereiten, als sie zu lösen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt.»


«De Standaard»: Chinas grüne Charmoffensive

BRÜSSEL: Zur Videobotschaft von Chinas Präsident Xi Jinping an die UN-Vollversammlung heißt es am Donnerstag in der belgischen Zeitung «De Standaard»:

«Wenn Xi Jinping die Chance bekommt, international eine gute Figur zu machen, dann verpasst er sie nie. So kündigte der chinesische Präsident auf der UN-Generalversammlung unerwartet an, sein Land werde bis 2060 klimaneutral. Für ein Wachstumsland mit viel Armut ist dies sehr ambitioniert. (...)

Mit dieser grünen Charmeoffensive gewinnt Xi gleich an zwei Fronten. Der amerikanische Präsident Donald Trump hatte China auf derselben UN-Sitzung als «großen Umweltverschmutzer» bezeichnet. Jetzt zeigte Xi der Welt einmal mehr, dass die USA kein wirklicher Partner beim Pariser Klimaabkommens sind, während China «Loyalität» und Solidarität demonstriere.

Zweitens ist dies die perfekte Zugabe für Europa, mit dem Peking in schwierigen Verhandlungen steht. Die EU will, dass Xi die Subventionen für staatliche Unternehmen aufgibt und sich beim Klimaschutz engagiert. Letzteres bekommt die EU nun. Das ermöglicht Xi, seinen Staatskapitalismus am Verhandlungstisch jetzt noch energischer zu verteidigen.»


«Rzeczpospolita»: Lukaschenkos Krone gehört ihm nicht

WARSCHAU: Die als Geheimaktion inszenierte erneute Amtseinführung von Präsident Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) kommentiert die konservative polnische Tageszeitung «Rzeczpospolita» am Donnerstag:

«Es schien, als hätten wir uns in mehr als einem Vierteljahrhundert der Präsidentschaft von Alexander Lukaschenko an seine unkonventionellen Aktionen und Sprüche gewöhnt. Die geheime Amtseinführung war dennoch eine Überraschung. Und wie alles, womit Lukaschenko zuvor überrascht hat, hatte auch sie nur ein Ziel: sich an der Macht halten, ohne auf irgendetwas zu achten, schon gar nicht auf den Willen der Belarussen. Dass er sich nun im Geheimen eine Krone aufsetzt, die ihm nicht gehört, ist eine logische Folge aus der Fälschung der Wahlen und der Repression aller, die Freiheit verlangt haben - Folter und Mord inklusive.

Jetzt stehen wir vor dem Dilemma: Was folgt daraus, dass wir Lukaschenko nicht als Präsident von Belarus anerkennen? Vor acht Jahren hat ein Teil der westlichen Staaten Baschar al-Assad nicht mehr als Präsidenten von Syrien anerkannt, und als wirkliche Repräsentanten mehrere Organisationen der syrischen Opposition benannt, deren Namen sich nur Arabisten merken können. Assad ist immer noch da, und er hat den Krieg gewonnen. »


«La Repubblica»: Eine Hilfe von der EU für Rom

ROM: Die römische Tageszeitung «La Repubblica» kommentiert am Donnerstag den Vorschlag der EU-Kommission für eine Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik:

«Der Vorschlag der Europäischen Kommission, der das Dublin-Abkommen für die Verteilung der Flüchtlinge ersetzen soll, ist von einem doppelten Pragmatismus inspiriert. Auf der einen Seite beendet er heuchlerische Fiktion der verpflichtenden Umverteilung der Asylbewerber. Das macht die Anwendung einer neuen einstimmigen Vereinbarung möglich, auch wenn das nicht leicht wird. Die verpflichtende Aufteilung, die 2015 nach dem Zustrom einer Million syrischer Flüchtlinge einzurichten versucht wurde, hat nie wirklich funktioniert. (...) Vor allem hat sie nie das Problem der illegalen Wirtschaftsmigranten berücksichtigt, die heute der Mittelpunkt des Problems sind, besonders in Italien. Jetzt konzentriert sich Brüssel dagegen vor allem auf diesen Punkt. (...) Der Vorschlag sieht vor, dass Europa eine schnelle Rückführung der illegalen Migranten durchsetzt. Mit einem Hilfsmittel, das nicht frei von einem gewissen teutonischen Moralismus ist, fordert sie dies vor allem von den Ländern, die sich einer Umverteilung der Asylbewerber verweigern.»


«Libération»: Sängerin Gréco hatte einzigartigen Wiedererkennungswert

PARIS: Den Tod von Chanson-Sängerin Juliette Gréco kommentiert die französische Tageszeitung «Libération» am Donnerstag:

««Dieser Rücken, diese Art sich zu bewegen, ich denke ich würde sie überall auf der Welt erkennen.» Das hatte Miles Davis Ende der 1980er Jahre gesagt, als er Juliette Gréco Jahre nach ihrer Liebesbeziehung wiedersah. Ohne die Sängerin jemals gekannt zu haben, kann aber jeder das Gleiche sagen. Dieser Rücken, diese Art sich zu bewegen, auch diese Anziehungskraft einer Diva, umwickelt von Schwarz und mit einem kohleschwarzen Blick. Auch diese Hände, die das Lied bewegten und ausdrückten - sie nannte sie die «Übersetzer» -, konnten wir im Handumdrehen erkennen, wenn sie mit nur wenigen Wörtern die bestimmte Phrasierung, die Art, Texte zu rezitieren, irgendwo zwischen dem «spoken word» und Melodie vortrugen. Die Sängerin, eine einzigartige Größe des französischen Chanson, starb am Mittwoch im Alter von 93 Jahren.»


«Nepszava»: In der EU ist Solidarität ein Auslaufmodell

BUDAPEST: Über den Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik schreibt die sozialdemokratische Budapester Tageszeitung «Nepszava» am Donnerstag:

«Ohne Solidarität gibt es keine einheitliche Europäische Union (EU) und kann es auch keine verbindende europäische Geistigkeit geben. Die Solidarität ist aber ein Auslaufmodell, wie auch der neue, von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentierte Vorschlag für die Flüchtlingspolitik beweist. (...) Eine gute Nachricht stellt er allein für die Länder dar, die sich der Solidarität verschließen. Für die Flüchtlinge bedeutet er eine schlechte Nachricht, und er ist auch keine Lösung für jene Länder, in denen die Flüchtlinge auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten. (...) Nicht nur für die EU, sondern auch für die deutsche Regierung, die derzeit den Ratsvorsitz führt, ist die Annahme einer gemeinsamen, EU-weiten Flüchtlingspolitik zur Schicksalsfrage geworden. Wenn aber die EU - und darin eingeschlossen die Kommission - ihren Grundwerten immer weniger treu bleibt, dann wird es auch immer schwieriger, das gemeinsame Europa zusammenzuhalten.»


«Politiken»: Die EU hat die moralische Verantwortung, eine Lösung zu finden

KOPENHAGEN: Die liberale dänische Tageszeitung «Politiken» (Kopenhagen) kommentiert am Donnerstag den Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik:

«Die Flüchtlings- und Migrantenkrise ist äußerst schwer zu lösen, ohne einen Kompromiss einzugehen zwischen der moralischen Verantwortung und der realpolitischen Realität. Und auf lange Sicht ist das Angebot der EU-Kommission, die Quadratur dieses Kreises zu lösen, sinnvoll. Es ist zuallererst offensichtlich richtig, dass die Lösung auf lange Sicht von Europa gemeinsam gefunden werden muss. (...) Ist der Migrationsplan die endgültige Antwort? Nein. Aber wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, ist er ein Anfang.»


«Kommersant»: Geheime Amtseinführung von Lukaschenko in Belarus

MOSKAU: Zur umstrittenen Amtseinführung des Staatschefs Alexander Lukaschenko in Belarus (Weißrussland) schreibt die russische Tageszeitung «Kommersant» am Donnerstag:

«Alexander Lukaschenko hat am Mittwoch zum sechsten Mal den Eid auf das Amt des Präsidenten von Belarus geschworen. Gleichwohl ist der eigentlich für ihn schon gewohnte Termin ziemlich ungewöhnlich ausgefallen. Die Amtseinführung wurde wie eine Geheimoperation organisiert. Vorab wussten nur einige hundert eingeladene Staatsbedienstete und regierungstreue Funktionäre von der Zeremonie. Die einfachen Bürger erfuhren erst davon, als die Wagenkolonne des Präsidenten durch das geschlossene Minsk fuhr. Weil die Zeremonie nicht angekündigt wurde, wurde sie als «geheime Amtseinführung» bezeichnet. Mehrere westliche Staaten teilten mit, dass sie Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten anerkennen. Am Abend füllte sich das Zentrum von Minsk mit dem Protest Tausender - die Miliz setzte Wasserwerfer gegen sie ein.»


«Nesawissimaja»: Nawalny hat es nicht eilig mit Rückkehr nach Moskau

MOSKAU: Zum Fall des vergifteten Kremlgegners Alexej Nawalny und seiner Entlassung aus dem Krankenhaus in Berlin schreibt die Moskauer Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Donnerstag:

«Alexej Nawalny ist aus dem Krankenhaus entlassen worden, wo er sich 32 Tage lang aufgehalten hatte, 24 davon auf der Intensivstation. Über etwaige Spätfolgen der schweren Vergiftung wird später geurteilt werden müssen, wie Experten der deutschen Klinik Charité mitteilten. Nawalny hat es aber nicht eilig, in die Heimat zurückzukehren, wo der Kreml schon auf ihn wartet. Vorerst bleibt er der Anführer der Opposition aus einer Entfernung. Seine Anhänger versuchen derweil, sich anhand seiner regelmäßig veröffentlichten Fotos ein Bild von seinem Gesundheitszustand zu machen. Er selbst wird sich nun in eine Reha-Behandlung begeben, um seine Mitteilungen in den sozialen Netzwerken wieder in vollem Umfang aufzunehmen.»


«Washington Post»: Nichts kann Breonna Taylor zurückbringen

WASHINGTON: Rund sechs Monate nach dem Tod der schwarzen Amerikanerin Breonna Taylor bei einem Polizeieinsatz in ihrer Wohnung wird lediglich einer der drei Beamten angeklagt. Dazu schreibt die «Washington Post» am Mittwoch:

«Sechs Monate nach dem Tod von Breonna Taylor wird einer der beteiligten Polizisten angeklagt. Die Stadt Louisville wird außerdem 12 Millionen Dollar an Frau Taylors Familie zahlen und Polizeireformen umsetzen, um eine Klage wegen widerrechtlicher Tötung beizulegen, nachdem die 26-jährige Notaufnahmesanitäterin in ihrem eigenen Haus von der Polizei getötet wurde. Die angekündigten institutionellen Veränderungen in der Polizei sind ermutigend, und es ist bemerkenswert, dass ein solcher Vergleich institutionelle Reformen beinhaltet. (...)

Dies sind begrüßenswerte Schritte, die viel Gutes bewirken können, vor allem wenn sie mit soliden Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht einhergehen, die sicherstellen, dass die Reformen nicht wieder zurückgenommen werden, wenn sich der Blick im Land wieder anderen Dingen zuwendet.

Dennoch gibt es so vieles, was ein Vergleich wie dieser nicht erreichen kann: Er kann nichts an der Tatsache ändern, dass Begegnungen mit Strafverfolgungsbehörden für schwarze Frauen allzu oft tödlich enden, einfach wegen der Menschen, mit denen sie sich umgeben haben. Er kann nichts an der Tatsache ändern, dass zu viele Fälle ignoriert werden, wie es im Fall von Frau Taylor ohne die unermüdlichen Bemühungen der Anwälte leicht möglich gewesen wäre, und der Vergleich kann sie nicht zurückbringen.»


«de Volkskrant»: Migrationspakt fehlt die Gesamtvision

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «de Volkskrant» kommentiert am Donnerstag die in Brüssel vorgestellte europäische Asylreform:

«Die Kommission hofft, «sichere» Länder wie Algerien oder Nigeria mit «Zuckerbrot und Peitsche» davon zu überzeugen, (dass abgelehnte Asylbewerber aus diesen Ländern schneller zurückgeschickt werden können). Das eigentliche Zuckerbrot, d.h. mehr Möglichkeiten zur Arbeitsmigration, wird jedoch noch eine Weile zurückgehalten, um unwillige Mitgliedsstaaten nicht vorzeitig zu verprellen.

Infolgedessen fehlt dem Migrationspakt die Gesamtvision, die einen wirklichen Unterschied hätte machen können. Europa braucht ein neues Narativ, das die Notwendigkeit der Arbeitsmigration auf beiden Seiten anerkennt. Solange dies nicht der Fall ist, wird die Festung Europa ein angsterfülltes Verteidigungsbauwerk bleiben, in dem die Menschenrechte systematisch geopfert werden.


«El País»: Amerikanische Tragödie

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» sieht in einem Kommentar am Donnerstag die amerikanische und damit die westliche Demokratie insgesamt durch US-Präsident Donald Trump gefährdet:

«Nur nach einer eindeutigen (Wahl-) Niederlage Trumps könnte man alles, was wir in den vergangenen vier Jahren erlebt haben, einfach als einen Alptraum abtun. Jedes andere Ergebnis führt zu einer langen und gefährlichen Krise. Wenn die stärkste Demokratie der Welt, die zugleich das mächtigste Land mit dem größten politischen und sozialen Einfluss ist, in Gefahr gerät, haben alle anderen Demokratien auf dem Planeten ernsthafte Gründe zur Besorgnis, und alle Tyrannen und totalitären Regime Gründe zum Feiern.

Jede der Säulen, auf denen die nordamerikanische Demokratie ruht, wurde seit 2016 untergraben. Die letzte könnte der Oberste Gerichtshof sein, der Garant für die Verfassung und das ideologische Gleichgewicht des Systems, wenn dieser wegen der Skrupellosigkeit Donald Trumps zu einem neuen politischen Schlachtfeld wird. Er hat bereits das Ansehen des Präsidentenamtes in den Schmutz gezogen. (...)

Nebenbei ist auch der Kongress durch das blinde Sektierertum der Parteien auf der Strecke geblieben, vor allem wegen der Degradierung der Republikanischen Partei auf ein Instrument zur Befriedigung der politischen Bedürfnisse und Launen des Caudillos im Weißen Haus. Und der vierte Stand, die Medien, erheben kaum ihre Stimme angesichts der Kaskade von Unwahrheiten und journalistischem Aktivismus, unter der sie begraben sind.

Trump wird das Amt nicht einfach übergeben. Wenn er keine Skrupel hatte, seine Partei zu sprengen und jeden Menschen oder jede Institutionen zu zerstören, mit denen er konfrontiert war, warum sollte er dann Skrupel haben, auch den bei den Wahlen zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes für ungültig zu erklären?»


«NZZ»: EU-Einigung beim Asylrecht wäre ein Wunder

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Donnerstag die in Brüssel vorgestellte europäische Asylreform:

«Insgesamt erscheint der Vorschlag der Kommission gut austariert. Die Bemühung ist spürbar, den vielen Einwänden gerecht zu werden, die jede Reform der Migrationspolitik hervorruft. Da erstaunt es, dass der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz dem Pakt noch vor der Veröffentlichung am Mittwoch eine Absage zu geben schien. Er lehne Begriffe wie «Solidarität» in der Migrationsdebatte ab (...). Insbesondere die Länder an der betroffenen Außengrenze, Italien, Griechenland und Spanien, sind auf nachbarschaftliche Hilfe und europäische Koordination angewiesen. Also auf Solidarität.(...)

Wie stehen die Chancen, dass die zentralen Ideen des Pakts die Debatten im Rat der Regierungs- und Staatschefs und im Europäischen Parlament überleben werden? Wahrscheinlich nicht sehr gut. Obwohl die Migrationspolitik eigentlich keine Einstimmigkeit erfordert (anders als die Außenpolitik), hat der letzte Anlauf 2016 gezeigt, dass es ein faktisches Vetorecht gibt. Dass sich im Meinungsklima von 2020 alle 27 Mitgliedstaaten einigen, wäre ein europapolitisches Wunder. Nach Wundern sehen die Zeiten nicht aus.»


«Die Presse»: Fatal, dass Brüssel recht hat

WIEN: Zu der in Brüssel vorgestellten europäischen Asylreform schreibt die Wiener Zeitung «Die Presse» :

«Die Kommission ist bei ihrer Mission, eine Neuauflage der Flüchtlingskrise zu verhindern, nicht zu beneiden. Dass die Aufgabe derart vertrackt erscheint, hat sich die Brüsseler Behörde allerdings zu einem gewissen Grad selbst zuzuschreiben. Bei ihrem desaströsen Versuch im Sommer 2015, die Umverteilung der Neuankömmlinge mit der Brechstange durchzusetzen, hat sie Glaubwürdigkeit verspielt und ein erstaunliches Maß an Ignoranz offengelegt.

Die Quoten wurden inmitten des polnischen Wahlkampfs gegen den erklärten Willen der liberalen Regierung in Warschau durchgedrückt - in Folge errangen die Nationalpopulisten die absolute Mehrheit im Parlament. Eine derartige Vorgangsweise gegenüber den Niederlanden, Frankreich oder - Gott behüte! - Deutschland wäre undenkbar. Kein Wunder, dass die Kommission in Teilen der EU seither nicht mehr als unparteiische Instanz gesehen wird, sondern als politischer Handlanger der alten Garde.

Fatal an der Situation ist nur, dass Brüssel recht hat. Das Management der Migration und die Entschärfung der explosiven Lage an den EU-Außengrenzen können nur - nennen wir das Ding beim eurokratischen Namen - holistisch-inklusiv gelöst werden. Wer Griechenland und Italien im Stich lässt, riskiert ein Schisma.»

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