Zeitungen kommentieren das Weltgeschehen am Dienstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Süddeutsche Zeitung» zu Urteil über Bundesnotbremse

Alte wie neue Regierung scheuen die Verantwortung.

Deswegen noch einmal die Handreichungen des Gerichts: Entscheiden muss die gewählte Mehrheit, in diesem Fall der konstituierte Bundestag, selbst wenn er noch keine Regierung gewählt hat. Für die Entscheidung sind die Fakten aus dem Frühjahr nicht relevant, wichtig sind die momentan verfügbaren Informationen - also die deutlich höhere Impfquote, aber auch die drastisch gestiegene Infektionsrate und die Situation auf den Intensivstationen. All dies ergibt in Summe die Basis für die anstehenden Entscheidungen, und die kann nur heißen: Gesundheit und Leben stehen über anderen Grundrechten, wenn deren Beschränkung zeitlich begrenzt und wohl begründet wird. Da mag die FDP noch so sehr den Freiheitsbegriff durch die Talkshows tragen und ausgerechnet ihr designierter Justizminister den Spruch aus Karlsruhe bedauern, da mag der nächste Kanzler noch so sehr die Entscheidungen in neue Gremien delegieren wollen - die Zeit des Zauderns ist abgelaufen.


«Gazeta Wyborcza»: Polens Regierung hat Angst vor Impfgegnern

WARSCHAU: Zum Umgang von Polens Regierung mit der Corona-Pandemie schreibt die polnische Zeitung «Gazeta Wyborcza» am Dienstag:

«Polen ist das Land innerhalb der EU, das am schlechtesten mit der Pandemie fertig wird. Wir testen die Bürger nicht so, wie man sollte, die Arztpraxen und Krankenhäuser funktionieren auch nicht so, wie sie sollten. Und niemand hält sich an die einfachsten Empfehlungen, wie etwa die zum Tragen einer Maske. Die polnische Regierung wird mit der lawinenhaft gewachsenen Zahl von Neuinfektionen nicht fertig, sie kontrolliert nichts ordentlich, sie schafft es auch nicht wie andere Länder, Algorithmen zu nutzen, die den Kampf gegen Covid-19 leichter machen.

Polens Regierung hat auch keinerlei Ideen für das Einführen neuer sinnvoller Restriktionen und Verbote. Die Einschränkungen, die am meisten helfen würden, wie eine Impfpflicht oder wenigstens das Vorzeigen von Impfnachweisen beim Betreten öffentlicher Räume, sind nicht umsetzbar, weil die Regierenden Angst vor Impfgegnern haben. Das bedeutet: noch mehr Tote und menschliches Unglück, noch mehr Familien, die in Trauer und Armut gestürzt werden. Aber was heißt das schon? Nach der (nationalkonservativen) PiS-Regierung die Sintflut.»


«Pravda»: Corona-Varianten machen Impfpflicht unausweichlich

BRATISLAVA: Die linksliberale slowakische Tageszeitung «Pravda» schreibt am Dienstag zur neuen Corona-Variante Omikron:

«Vor nicht einmal einer Woche schreckte die Nachricht über außergewöhnliche Mutationen einer neuen südafrikanischen Variante die Welt. Innerhalb zweier Tage wurde daraus das weltweit gefürchtete Omikron, das sich jetzt im Blitztempo ausbreitet. Und schon meldet ein europäisches Land nach dem anderen die ersten Fälle. (...) Bei uns sind jetzt schon die Krankenhäuser überfüllt, Ärzte und Gesundheitspersonal überlastet, da lauert auch noch diese neue Gefahr gleich um die Ecke. (...) Gibt es irgendwelche Strategien, Omikron auszuweichen, oder lässt es sich gar nicht mehr aufhalten?

Vorerst versuchen es die meisten EU-Länder mit Beschränkungen oder völligem Einstellen des Flugverkehrs aus Afrika. Infizierte Reisende aus betroffenen Ländern werden isoliert und beobachtet, es gibt Quarantänepflichten. Die Weltgesundheitsorganisation sieht die Lösung in einer schnelleren Durchimpfung. Doch gerade dabei liegen wir hier in der Slowakei weit zurück. Vor allem haben wir viele Ungeimpfte gerade in den Risikogruppen und in einigen für die kritische Infrastruktur unverzichtbaren Berufen. (...) Wenn es uns nicht anders gelingt, die notwendige Durchimpfung zu erreichen, können wir nicht mehr der Überlegung ausweichen, ob nicht wenigstens für bestimmte Berufe die Impfung verpflichtend werden muss.»


«Dernières Nouvelles d'Alsace»: Josephine Baker gehört zu Frankreich

PARIS: Zu Josephine Baker, der amerikanischen Tänzerin und späteren Widerstandskämpferin der französischen Résistance, die als erste schwarze Frau einen Platz im Pariser Pantheon bekommt, schreibt die ostfranzösische Regionalzeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» am Dienstag:

(Die Amerikanerin) «Josephine Baker ist das Gesicht Frankreichs genauso wie (der sozialistische Politiker) Jean Jaurès, (der Ingenieur und Physiker) Sadi Carnot, genauso wie (der Schriftsteller) Victor Hugo; Josephine Baker ist das Gesicht Frankreichs so wie auch (die Physikerin und Chemikerin) Marie Curie und (die Politikerin) Simone Veil (...); Josephine Baker ist das Gesicht Frankreichs genauso wie die anderen 74 im Pariser Pantheon begrabenen Persönlichkeiten. Josephine Baker ist Frankreich. In all seiner Vielfalt (...).»


«Verdens Gang»: Grünes Licht für einen roten Bundeskanzler

OSLO: Die norwegische Boulevardzeitung «Verdens Gang» (Oslo) kommentiert am Dienstag die Regierungsbildung in Deutschland:

«Nächste Woche verlässt Angela Merkel voraussichtlich das Kanzleramt in Berlin. Nach 16 Jahren an der Macht überreicht sie den Schlüssel an Olaf Scholz. Das bedeutet viel mehr, als dass bloß ein Sozialdemokrat von einer Christdemokratin übernimmt. Der politische Führungswechsel markiert auch das Ende einer Epoche deutscher und europäischer Politik - und den Beginn von etwas völlig Neuem.

Merkel hat die CDU erneuert, das politische Zentrum erobert und Respekt und Anerkennung der Deutschen gewonnen. Sie übernahm die Führung in der EU, stand bei der Verteidigung der liberalen Demokratie in der ersten Reihe und wurde zur einflussreichsten Frau der Welt. Aber Merkel wurde auch dafür kritisiert, wenig Reform- und Veränderungswillen gezeigt zu haben. Olaf Scholz verspricht nun ein Jahrzehnt mit massiven Investitionen in grüne Technologie und die größte Modernisierung der deutschen Industrie seit über 100 Jahren.»


«De Telegraaf»: Keine Rechtsgrundlage für strenge Corona-Kontrollen

AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «De Telegraaf» kritisiert am Dienstag den Umgang mit Passagieren aus Südafrika nach der dortigen Entdeckung der neuen Corona-Variante Omikron:

«Das Fehlen spezifischer rechtlicher Grundlagen stiftete reichlich Verwirrung. Gesundheitsminister Huge de Jonge entschied sich am Freitag plötzlich für eine 100-prozentige Kontrolle von Fluggästen aus Südafrika. Dieser Ansatz musste am Samstag aber wegen derzeit mangelnder gesetzlicher Grundlagen wieder aufgegeben werden. In den Niederlanden können Tests nicht verpflichtend vorgeschrieben werden, sie bleiben also freiwillig.

Zudem ist der Ansatz halbherzig, denn Passagiere von Flügen aus Katar oder der Türkei, die möglicherweise auch Reisende aus dem südlichen Afrika an Bord hatten, konnten wie gewohnt über Schiphol einreisen. Es ist bislang rechtlich auch nicht möglich, positiv getestete Reisende im Hotel festzuhalten, wie die Flucht zweier Passagiere deutlich macht. Für die Außenwelt ist das alles schwer nachvollziehbar, und ohne neue Regeln und strenge Kontrollen ist es fraglich, ob sich daran etwas ändern wird.»


«Guardian»: Politik sollte stärker für Impfungen werben

LONDON: Der Londoner «Guardian» fordert am Dienstag, dass sich die Politik stärker für Corona-Schutzimpfungen einsetzt:

«Möglicherweise wird sich zeigen, dass die Omikron-Variante nicht gefährlicher als die Delta-Variante ist. Doch die Regierungspolitiker sollten diese Gelegenheit ergreifen, um stärker für Schutzimpfungen zu werben, und zwar angefangen beim Premierminister persönlich. (...)

Sie müssen zudem mehr gegen Falschinformationen über Impfungen im Internet tun und öffentlich fordern, dass Facebook und andere Plattformen gegen gefährliche Anti-Impf-Propaganda vorgehen, deren unkontrollierte Verbreitung sie zulassen. Und sie müssen derartigen Lügen mit eigenen Äußerungen und Aktionen entgegentreten.

Die Pandemie ist nicht beendet. Und die Bedrohung könnte größer werden. Neben der Bereitstellung von Auffrischungsimpfungen muss die Erhöhung der Impfquote jetzt die Priorität der Regierung im Inland sein, während sie zugleich international alles tun sollte, um die weltweiten Impfbemühungen zu unterstützen.»


«El País»: Wende in Honduras

MADRID: Die spanische Zeitung «El País» kommentiert am Dienstag den Wahlerfolg der linken Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro in Honduras:

«Der absehbare Sieg von Xiomara Castro bei der Wahl in dem zentralamerikanischen Land verheißt eine grundlegende Wende und die Rückkehr der Linken an die Macht nach dem Putsch, mit dem ihr Mann Manuel Zelaya vor zwölf Jahren gestürzt worden war. Castros großer Vorsprung gegenüber ihrem Rivalen, dem konservativen Nasry Asfura, zeigt, dass die honduranische Gesellschaft die bisher regierende Partido Nacional satt hat. Die Instabilität ist jedoch chronisch. Honduras ist zu einer Exportmaschine für Migranten geworden, die Richtung Norden ziehen. Wegen Gewalt, Hunger und Umweltkatastrophen beantragen täglich Hunderte Menschen Asyl in den USA. Die Partido Nacional muss das Wahlergebnis anerkennen, um neue Gewalt zu vermeiden. Castro muss das Land nun einen und auf Rache verzichten. Alles, was nicht zur Stabilisierung von Honduras beiträgt, wird in neue Konfrontation umschlagen.»


«Washington Post»: Welt braucht einen globalen Radar für Krankheiten

WASHINGTON: Zum Umgang mit der Corona-Variante Omikron schreibt die «Washington Post»:

«Bei aller Unsicherheit über die neue Virusvariante Omikron darf ein Lichtblick nicht übersehen werden. Die neue Variante wurde nachgewiesen und ihr Genom in Südafrika rasch sequenziert, das dann den Rest der Welt darauf aufmerksam machte, dass sie eine große Anzahl von Mutationen aufweist und möglicherweise leichter übertragbar und aggressiver ist als frühere Varianten sowie (bereits aufgebaute) Immunität eher umgehen kann. Im Gegenzug für diese herausragende und engagierte Leistung wurden Südafrika die Türen zugeschlagen. (...)

Die nach der Entdeckung von Omikron verkündeten Reiseverbote mögen die Übertragung etwas verlangsamen, aber sie benachteiligen letztlich Länder mit einer schwächelnden Wirtschaft wie Südafrika. Viel dringender ist es, die Impfungen in den Vereinigten Staaten und weltweit zu beschleunigen. In den kommenden Wochen werden die Wissenschaftler prüfen, ob die Omikron-Mutationen neue Bedrohungen darstellen, auch wenn die Delta-Variante noch immer in den USA und der Welt wütet. Es ist an der Zeit, die Genomik und den Informationsaustausch zu nutzen, um einen leistungsfähigen und robusten globalen Radar für Krankheiten aufzubauen. Andernfalls werden wir blind in einen weiteren gefährlichen Sturm hineinfliegen.»


«NZZ»: Südafrika verdient Unterstützung

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Dienstag die Abschottung Südafrikas nach der dortigen Entdeckung der neuen Corona-Variante Omikron:

«Sollte das Land am Kap auch längerfristig hohen wirtschaftlichen Schaden daraus ziehen, dass es die Welt früh vor einer Gefahr warnte, mit der sich möglicherweise bald alle herumschlagen werden, hat das eine Signalwirkung. Andere Länder dürften sich dann gut überlegen, mit wem sie künftig Informationen über allfällige neue Coronavirus-Varianten teilen werden. Für das weltweite Pandemiemanagement wäre dies verheerend.

Um dies zu verhindern, ist zweierlei wichtig. Erstens müssen die nun verhängten Flugsperren nur so lange aufrechterhalten werden, wie sie epidemiologisch Sinn ergeben. Als kurzfristige Maßnahme sind sie wirtschaftlich weit weniger folgenschwer, als wenn sie zum Dauerzustand werden. Monatelange Grenzschließungen sind - auch das eine Lektion der bisherigen Pandemie - eine epidemiologische Scheinlösung. Zweitens wird es wichtig sein, Südafrika vor dem Hintergrund seiner vorbildlichen Transparenz den Rücken zu stärken - bei der Bewältigung der Gesundheitskrise, wenn nötig aber auch finanziell.»


«Nesawissimaja»: Russland wird wichtiges Thema bei Nato-Treffen

MOSKAU: Zum Treffen der Außenminister der 30 Nato-Staaten schreibt die russische Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Dienstag:

«Russland und seine militärische Aktivität nahe der ukrainischen Grenze werden das Hauptthema des Treffens der Nato-Außenminister in Riga sein. Zum Leidwesen der baltischen Staaten, Polens und der Ukraine wird das Bündnis jedoch kaum drastische Maßnahmen wie eine starke Ausweitung seiner Präsenz in Osteuropa ergreifen.

Gleichzeitig wird das Treffen von finanzieller Bedeutung sein: Das das neue strategische Konzept der Nato sieht eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben vor. (...) Zudem soll es eine verstärkte Koordinierung zwischen der Nato und ihren Verbündeten umfassen - einschließlich einer Erhöhung der Zahl gemeinsamer Militärübungen.»

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