Ukraine-Krise: Aktuelles Geschehen am Freitag

Foto: epa/dpa
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Ukraine will Taurus-Marschflugkörper von Deutschland

BERLIN: Die Ukraine hat Deutschland um die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ Taurus gebeten. In den letzten Tagen sei eine entsprechende Anfrage der ukrainischen Seite eingegangen, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums am Freitag. Sie machte keine näheren Details zu dem Schreiben - etwa dazu, wie viele Einheiten Kiew forderte. Zuvor hatte die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» über die Taurus-Anfrage der Ukraine berichtet.

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hatte sich vor wenigen Tagen für die Lieferung deutscher Marschflugkörper vom Typ Taurus an die Ukraine ausgesprochen. Die Lenkwaffen mit bis zu 500 Kilometern Reichweite ermöglichten dem angegriffenen Land «Schläge gegen die militärische Infrastruktur der Russen weit hinter der Frontlinie», hatte er gesagt. Für die Bundeswehr seien vor zehn Jahren rund 600 Taurus beschafft worden. Davon seien heute noch «um die 150» einsatzbereit.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte am Dienstag zurückhaltend auf den Vorschlag von Kiesewetter reagiert. Er sagte aber auch, er sei «der Auffassung, dass wir die Ukraine mit allen völkerrechtlich zulässigen Systemen unterstützen sollten, die es braucht, um diesen Krieg zu gewinnen und die wir imstande sind, zu geben».


Brasiliens Präsident Lula schlägt Einladung nach Russland aus

BRASÍLIA/MOSKAU: Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat nach eigenen Angaben in einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin eine Einladung nach Russland abgelehnt. «Ich habe ihm für die Einladung zum Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg gedankt und ihm geantwortet, dass ich im Moment nicht nach Russland reisen kann», schrieb Lula am Freitag auf Twitter. Er habe aber bekräftigt, Brasilien sei wie auch Indien, Indonesien und China bereit, «mit beiden Seiten des Konflikts zu sprechen, um Frieden zu schaffen», schrieb der Linkspolitiker weiter mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Nach Angaben des Kreml in Moskau hatte Lula die Initiative für das Telefonat ergriffen. Putin habe darin seine «grundsätzliche Einschätzung der Entwicklung der Lage in der Ukraine» abgegeben, hieß es nach dem Gespräch in einer Mitteilung. Russland sei offen für einen Dialog auf politischer Ebene, wurde Putin zitiert.

Lula machte sich in den vergangenen Monaten mehrmals für eine internationale Vermittlung im Ukraine-Krieg mit Beteiligung Brasiliens und Chinas stark. Mit Kritik an der Militärhilfe der Nato und anderer Länder für die Ukraine bei einem China-Besuch im April sorgte der Staats- und Regierungschef des größten Landes Südamerikas für erhebliche Irritationen in den USA und Europa. Wenige Tage später kritisierte er Russlands Angriff auf die Ukraine, forderte aber nicht den Abzug der russischen Truppen. Am Donnerstag hatte Lula nach eigenen Angaben mit dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping telefoniert und unter anderem über die Ukraine gesprochen.


Selenskyj: Machen Fortschritte bei Modernisierung von Militärtechnik

KIEW: Das ständige Werben um neue Militärtechnik für den Abwehrkampf gegen Russland zahlt sich aus Sicht des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus. «Wir kommen bei der Modernisierung der Verteidigung schneller voran, als noch vor sechs Monaten absehbar war», sagte das Staatsoberhaupt am Freitagabend in einer Videoansprache. Nach seinen Angaben sollen moderne Kampfflugzeuge zu einem Schlüssel der ukrainischen Luftverteidigung werden. Das Verteidigungsministerium in Kiew hatte zuvor mitgeteilt, es erwarte 48 Kampfjets vom US-Typ F-16. US-Präsident Joe Biden hatte kürzlich grundsätzlich den Weg dafür freigemacht, im Rahmen einer Koalition von Verbündeten F-16-Jets an die Ukraine zu liefern. Ukrainische Kampfpiloten sollen an den Maschinen ausgebildet werden.

«Wir werden alles Mögliche und Unmögliche tun, um die Lieferung weiterer Luftverteidigungssysteme höherer Qualität an die Ukraine zu beschleunigen», sagte Selenskyj. Das sei «im wahrsten Sinne des Wortes eine tägliche Angelegenheit in der Zusammenarbeit mit Partnern». Zugleich kündigte das Staatsoberhaupt weitere Aufrufe an, um «die Unterstützung für unseren Staat und unseren Freiheitskampf zu erhöhen». Er erwähnte dabei auch Länder in Afrika und Südamerika.

Zugleich lobte der Präsident die ukrainischen Soldaten im Kampf gegen russische Truppen. «Unsere Soldaten leisten Unglaubliches.» Jede zurückeroberte Position seien neue Argumente für die Welt, dass die Ukraine gegen das Nachbarland gewinnen könne.


Bundeswehr verlegt Patriots wegen Nato-Gipfel nach Litauen

BERLIN: Die Bundeswehr sichert den Nato-Gipfel im Juli in Vilnius mit ab und verlegt dafür Patriot-Flugabwehrsysteme aus der Slowakei nach Litauen. Der Patriot-Einsatz in der Slowakei werde deshalb bald beendet, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag laut Mitteilung in Berlin. «Wir werden die Slowakei weiter mit zahlreichen Projekten und starker Truppenpräsenz direkt vor Ort bei der Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen unterstützen.» Der Nato-Gipfel findet am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt statt.

Die Slowakei grenzt an die von Russland angegriffene Ukraine. Die Bundeswehr ist dort seit März 2022 mit dem Flugabwehrraketensystem Patriot präsent. Das Bundesverteidigungsministerium unterstrich, dass die Sicherheit der Slowakei auch in Zukunft «von zentraler Bedeutung» für Deutschland bleibe. «Dafür werden wir auch weiterhin unseren Beitrag leisten und eng an der Seite unseres Verbündeten Slowakei stehen.» Dazu zähle der laufende Ringtausch mit 15 Leopard 2A4 Kampfpanzern. Ringtausch heißt, dass die Slowakei der Ukraine Militärhilfe leistet und dafür Kampfpanzer aus Deutschland erhält.

Das Verteidigungsministerium erklärte, Deutschland leiste seien Beitrag zum Schutz des Nato-Gipfels auf Anfrage des Bündnisses. Die Bundeswehr werde land-, luft- und seegestützte Fähigkeiten zur Absicherung einbringen. «Dafür werden auch Einheiten eingesetzt, die entweder aktuell an der Ostflanke des Bündnisses eingesetzt sind oder aus Deutschland heraus operieren können.» Neben den Patriot-Einheiten aus der Slowakei würden auch «unterstützende Anteile» aus Polen nach Litauen verlegt.


Scholz: Gelieferte Waffen werden nur in der Ukraine eingesetzt

TALLINN: Bundeskanzler Olaf Scholz hat versichert, dass die Ukraine gelieferte deutsche Waffen nicht auf russischem Boden einsetzt. «Russland hat die Ukraine angegriffen, und deshalb kann die Ukraine sich auch verteidigen», sagte der SPD-Politiker am Freitag bei einem Besuch in der estnischen Hauptstadt Tallinn. «Und gleichzeitig ist klar, dass die Waffen, die wir geliefert haben, nur auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden.» Er verwies auf eine ähnliche Aussage von US-Präsident Joe Biden hinsichtlich US-Waffen in der «New York Times». «Und die gilt auch unverändert», so Scholz.

Der Kanzler hatte Anfang des Jahres bereits über einen «Konsens» mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen, dass deutsche Waffen nicht für Angriffe auf russisches Gebiet genutzt werden.

Biden hatte bereits im Mai 2022 in einem Gastbeitrag für die «New York Times» festgehalten, dass man es der Ukraine nicht ermögliche, außerhalb ihrer Grenzen zuzuschlagen. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrat der USA, John Kirby, sagte am Donnerstag dem Sender CNN: «Wir haben den Ukrainern klargemacht, dass wir nicht wollen, dass in den USA hergestellte, von den USA zur Verfügung gestellte Ausrüstung auf russischem Boden genutzt wird, um Russland anzugreifen.»


Ukraine will 48 Kampfjets vom Typ F-16 zur Befreiung des Landes

KIEW: Zur Befreiung von der russischen Besatzung erwartet die Ukraine nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew 48 F-16-Kampfflugzeuge. «Vier Geschwader von F-16 (48 Flugzeuge) sind genau das, was wir brauchen, um unser Land von dem Aggressor zu befreien», teilte das Ministerium am Freitag auf Twitter mit. Dazu veröffentlichte die Behörde eine Karikatur von einem Menschen, der einen Turm des Moskauer Kremls an einer Gemüsereibe mit Klingen in der Form von Flugzeugen raspelt. Zuletzt hatten die Luftstreitkräfte von Dutzenden Fliegern gesprochen, ohne genaue Zahlen zu nennen.

Die Ukraine verbindet große Hoffnungen mit den in Aussicht gestellten Kampfjets des US-Typs F-16. Sie würden nicht nur die Verteidigung des Landes stärken, sondern wären ein starkes Signal dafür, dass Russland mit seiner Aggression scheitern werde, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch. Dagegen erklärte Russland, dass die Kampfjets zu Zielen für das russische Militär würden. In Moskau hieß es auch, dass die Flugzeuge für den Kriegsverlauf nicht entscheidend seien.

US-Präsident Joe Biden hatte am Rande des G7-Gipfels führender demokratischer Wirtschaftsmächte vergangene Woche grundsätzlich den Weg dafür freigemacht, im Rahmen einer Koalition von Verbündeten F-16-Jets an die Ukraine zu liefern. Ukrainische Kampfpiloten sollen an den Maschinen ausgebildet werden.


EU-Kommissar Lenarcic: 90.000 Tonnen EU-Hilfe gingen in die Ukraine

BRÜSSEL: Die Ukraine hat seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs rund 90.000 Tonnen Sachleistungen wie Ausrüstung und Medizin durch den EU-Katastrophenschutzmechanismus erhalten. Zudem seien mehr als 2000 Patienten und Verwundete aus der Ukraine in mehr als 20 Ländern der EU behandelt worden, sagte der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, der Deutschen Presse-Agentur und anderen Medien in einem Interview des European Newsroom in Brüssel. «Dies ist nun die bei weitem komplexeste, größte und am längsten andauernde Operation im Rahmen des Katastrophenschutzmechanismus der Union, die es je gab», sagte er. «Und wir sind entschlossen, so lange wie nötig weiterzumachen.»

Unter den Hilfen seien Lebensmittel, Medikamente, Fahrzeuge, Generatoren, Transformatoren sowie Ausrüstung für die Reparatur des Stromnetzes und anderer kritischer Infrastrukturen gewesen. «Sogar Dinge wie Sonnenblumenkerne oder Ausrüstungen zum Schutz von Kulturdenkmälern haben wir geliefert», sagte Lenarcic.

Die Ukraine ist dem EU-Katastrophenschutzmechanismus vor etwa einem Monat offiziell beigetreten. Dabei arbeiten die EU-Staaten und weitere Länder in Vorsorge und Reaktion auf Katastrophen zusammen. Hilfen hatte die Ukraine aber auch vorher schon erhalten, so wie das jedes Land weltweit nach einer Anfrage könne, sagte Lenarcic.

Mit dem Beitritt erhalte die Ukraine Hilfslieferungen und Zugang zu Fachwissen, Ausbildungsprogrammen und Übungen, sagte der EU-Kommissar. Außerdem könne das Land nun auch einfacher anderen Staaten helfen. Hilfsmissionen, die durch den Mechanismus koordiniert werden, werden zu großen Teilen von der EU mitfinanziert. Lenarcic betonte, dass große ukrainische Hilfsteams in die Erdbebengebiete in der Türkei im Februar dieses Jahres geschickt wurden. «Die Ukraine wird als eine der Supermächte im Katastrophenschutz hervorgehen, die sehr gut in der Lage ist, anderen zu helfen.»


Kreml: Putin zu Telefonat mit Scholz bereit

MOSKAU: Russlands Präsident Wladimir Putin ist nach Kreml-Angaben zu einem neuen Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über den Krieg in der Ukraine bereit. Bisher habe Scholz nicht angerufen oder Berlin eine solche Initiative für ein Gespräch angestoßen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag. Er reagierte auf Äußerungen des Kanzlers, mit Putin zu gegebener Zeit sprechen zu wollen. «Es ist notwendig zu reden», sagte Peskow.

«Präsident Putin bleibt offen für Dialog, verfolgt dabei aber natürlich das grundlegende Ziel des Schutzes der Interessen unserer Bürger.» Putin und Scholz telefonierten laut Kreml auf deutsche Initiative zuletzt am 2. Dezember etwa eine Stunde zur Lage in der Ukraine und zu den Folgen des Krieges.

Scholz hatte dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Freitag) zum Krieg gesagt, es werde «am Ende eine Vereinbarung zwischen den Regierungen in Moskau und Kiew geben müssen». Sein letztes Telefonat mit dem Kremlchef sei schon einige Zeit her. «Ich habe aber vor, zu gegebener Zeit auch wieder mit Putin zu sprechen», sagte der Kanzler. Die Frage, ob mit Putin noch Gespräche sinnvoll sind, ist umstritten.

Scholz warnte davor, auf ein Einfrieren des Krieges gegen die Ukraine entlang des bisher eroberten Territoriums zu setzen. «Russland muss verstehen, dass es nicht darum gehen kann, eine Art kalten Frieden zu schließen - indem etwa der nun bestehende Frontverlauf zur neuen «Grenze» zwischen Russland und der Ukraine wird. Das würde Putins Raubzug nur legitimieren», sagte er. «Es geht vielmehr um einen fairen Frieden, und Voraussetzung dafür ist der Rückzug von russischen Truppen.»


Scholz nach Estland zu Treffen mit baltischen Staaten aufgebrochen

BERLIN/TALLINN: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist nach Estland aufgebrochen, um dort die Regierungschefs aller drei baltischen Staaten zu treffen. Dazu gehören auch Lettland und Litauen. Alle drei Länder grenzen an Russland. Gemessen an ihrer Wirtschaftskraft gehören sie zu den stärksten Unterstützern der angegriffenen Ukraine. Neben der weiteren Unterstützung der Ukraine dürfte die militärische Stärkung der Nato-Ostflanke zum Schutz vor russischer Bedrohung wichtigstes Thema bei dem Treffen in der estnischen Hauptstadt Tallinn sein.

Scholz hatte Litauen vor einem Jahr bei einem Besuch eine Kampftruppen-Brigade der Bundeswehr mit 3000 bis 5000 Soldaten zum Schutz des Landes zugesagt. Es blieb aber unklar, ob wirklich alle Soldaten auf litauischem Boden stationiert werden sollen und wie schnell die Stationierung erfolgen soll.

Die Bundeswehr hält seit Herbst 2022 die Panzergrenadierbrigade 41 «Vorpommern» in Deutschland zur Verteidigung Litauens bereit. In Litauen gibt es bisher nur einen Gefechtsstand, der mit rund 20 Soldaten besetzt ist. Er soll Waffen und Material im Land vorhalten. Im Spannungsfall soll so eine umgehende Verlegung der restlichen Soldaten binnen zehn Tagen möglich sein. Zudem gehören 760 weitere deutsche Soldaten einem Nato-Gefechtsverband in Litauen an, der von der Bundeswehr geführt wird.

In Vilnius findet im Juli auch der Nato-Gipfel statt. Dabei wird es auch um die Verteidigungsausgaben der Nato-Mitgliedsstaaten und eine Perspektive für eine Aufnahme der Ukraine in das westliche Militärbündnis gehen.


Asselborn räumt Irrtümer bei Einschätzung Russlands ein

LUXEMBURG: Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat Irrtümer westlicher Politiker bei der Einschätzung der Politik Russlands eingeräumt. «Ich glaube, dass wir einfach nicht wahrhaben wollten in großen Teilen Europas, dass Russland jetzt auf der falschen Schiene ist», sagte er im Podcast «Wortwechsel» der Zeitung «Luxemburger Wort» (Samstag) mit Blick auf die Annexion der Krim durch Russland im Frühjahr 2014. «Und dass diese Schiene nicht gebremst wird, sondern immer weiterführt zu diesem barbarischen Krieg (gegen die Ukraine), der dann im Februar letzten Jahres ausgebrochen ist», fuhr er fort.

Asselborn, der als mittlerweile dienstältester EU-Außenminister seit Mitte 2004 amtiert, sagte, in den ersten 15 Jahren seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 habe man in ihm «einen Mann gesehen, der effektiv den Willen hat, wirklich Reformen durchzubekommen und ein echtes Zusammenleben auf diesem Kontinent hinzukriegen». Nach dem russischen Einmarsch in Georgien 2008 und der Krim-Annexion habe es in der EU und Nato den Reflex gegeben: «Das kann doch nicht sein, dass Russland sich auf diesen Weg begibt und internationales Recht mit Füßen tritt.»

«Wenn man in sich hineingeht und man blickt zurück, dann bin ich schon auch mit einem Schuldgefühl in mir selbst konfrontiert», sagte Asselborn. «Das konnte man sich einfach nicht vorstellen, dass Russland Zehntausende Menschen ohne Ursache ihres Lebens beraubt.» Zu seinem Schuldgefühl sagte er: «Und man fragt sich dann: War das vorauszusehen, hätte die Politik anders reagieren müssen, hätten wir härter reagieren müssen sogar schon nach (Georgien) 2008?» Dafür hätte es damals aber weder in der Nato noch in der EU eine Mehrheit gegeben, sagte Asselborn. Er glaube, dass die USA auch nach der Krim-Annexion «noch daran geglaubt haben, dass man irgendwie trotzdem wieder in eine gewisse Normalität hineinkommen könnte».

Wenn der Westen der Ukraine jetzt nicht die Mittel zur Selbstverteidigung gebe, «dann wird es keine Ukraine mehr geben in dieser Form», sagte Asselborn. Und: «Wenn die Ukraine unter Druck einen Zwangsfrieden aufgezwungen bekommt, dann hat Putin gewonnen und dann wird Putin nicht stehen bleiben in der Ukraine.» Er sei «nicht sicher, dass ein Frieden mit Putin überhaupt abzuschließen ist».


US-Institut sieht keine erhöhte Gefahr durch Atomwaffen in Belarus

WASHINGTON: Die Verlegung russischer Atomwaffen nach Belarus bedeutet aus Sicht von Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) keine wachsende Gefahr im Konflikt um die Ukraine. Es sei weiter extrem unwahrscheinlich, dass Kremlchef Wladimir Putin Nuklearwaffen in der Ukraine oder anderswo einsetze, hieß es in der ISW-Analyse. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am Donnerstag in Moskau nach einem Treffen mit Putin gesagt, dass die angekündigte Verlegung der Waffen in das Land bereits begonnen habe.

Die US-Experten sehen auch deshalb keine erhöhte Bedrohungslage, weil die Atommacht Russland schon jetzt mit ihren Nuklearwaffen Ziele überall erreichen könnte. Nach Angaben Moskaus sollen die taktischen Atomwaffen, die eine geringere Reichweite haben als strategische Nuklearraketen, an der Grenze zu Polen stationiert werden.

Die ISW-Experten sehen die Stationierung der Waffen vor allem als einen Weg Russlands, seinen Einfluss in dem Nachbarland weiter auszubauen. Durch die neuen Waffen sei ein Ausbau der militärischen Infrastruktur und der russischen Kommandostrukturen dort notwendig. Die Atomwaffen blieben unter russischer Kontrolle. Der Kreml beabsichtige auf diese Weise, sich die Sicherheitsstrukturen in Belarus weiter unterzuordnen. Belarus ist wirtschaftlich und finanziell von Russland abhängig.

Putin begründete die Ende März angekündigte Stationierung der Waffen auch damit, dass die USA seit Jahren Atomwaffen in Europa, darunter in Deutschland, vorhielten. Belarus erhält nach der freiwilligen Abgabe seiner Atomwaffen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erstmals seit den 1990ern Jahren damit wieder nukleare Raketen. Stationiert werden sollen Iskander-Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können. Auch mehrere belarussische Kampfflugzeuge wurden demnach auf die neuen Waffen umgerüstet.


London: Ukraine-Krieg beschleunigt «Paramilitarisierung» in Russland

LONDON: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat nach Ansicht britischer Geheimdienstexperten die Verbreitung paramilitärischer Gruppen in Russland beschleunigt. Das geht aus dem täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London zum Krieg in der Ukraine am Freitag hervor. Demnach ist in Russland schon seit 20 Jahren ein Anwachsen paramilitärischer Verbände außerhalb der eigentlichen Streitkräfte zu beobachten. Doch die russische Invasion in der Ukraine habe diese «Paramilitarisierung» noch einmal «dramatisch beschleunigt», hieß es.

Besonders ausgeprägt sei dies auf der von Russland besetzten ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim. Dort baue der russische Statthalter Sergei Aksjonow mehrere lokale Einheiten auf, die sich häufig auf die Tradition der Kosaken beriefen - wehrhafte Gemeinschaften, die früher unter anderem auf dem Gebiet der heutigen Ukraine siedelten. Den Briten zufolge dürfte Aksjonow an der Fähigkeit der russischen Armee zweifeln, die Krim gegen einen Rückeroberungsversuch durch die Ukraine verteidigen zu können.

Das Verteidigungsministerium in London veröffentlicht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London eine Desinformationskampagne vor.


Ukraine und Russland melden Angriffe und Explosionen

KIEW/MOSKAU: Die Ukraine und Russland haben neue Angriffe der jeweils gegnerischen Seite sowie mehrere Explosionen gemeldet. Russland habe 17 Raketen unterschiedlicher Typen und 31 sogenannte Kamikaze-Drohnen vom iranischen Typ Shahed-136/131 auf die Ukraine abgefeuert, teilten die Luftstreitkräfte am Freitag in Kiew mit. 10 Marschflugkörper und 23 Shahed-Drohnen sowie 2 Aufklärungsdrohnen seien abgeschossen worden, hieß es. Die Angriffe, von denen erneut auch die Hauptstadt Kiew betroffen war, hätten bis fünf Uhr morgens gedauert. Im ganzen Land gab es nachts Luftalarm. Auch in Russland gab es Berichte über Angriffe von ukrainischer Seite.

Einschläge habe es in der Ukraine in den Gebieten Charkiw und Dnipropetrowsk gegeben, teilten die ukrainischen Behörden mit. In Dnipro meldete die Militärverwaltung Explosionen. Es seien zwei Unternehmen, eine Tankstelle und ein Hausgrundstück beschädigt worden. Ein Mitarbeiter der Tankstelle sei verletzt worden. Russland habe massiv mit Raketen und Drohnen angegriffen, hieß es.

Auch in Kiew war die Flugabwehr erneut wegen Raketenbeschusses aktiv. Der Chef der Kiewer Militärverwaltung, Serhij Popko, sagte, dass Trümmerteile einer abgeschossenen Rakete das Dach eines Einkaufs- und Vergnügungszentrums beschädigt hätten. An anderer Stelle sei ein Haus getroffen worden. Auch Autos auf einem Parkplatz wurden demnach beschädigt. Es gebe keine Verletzten, sagte Popko.

Auf russischem Gebiet wurden in Grenznähe zur Ukraine neue Angriffe aus dem Nachbarland gemeldet. Demnach gab es in der Großstadt Krasnodar eine Explosion nach einem mutmaßlichen Drohnenangriff. Den Behörden zufolge wurden ein Bürogebäude und ein Wohnhaus getroffen. Auch im zuletzt von Kämpfen erschütterten Gebiet Belgorod wurde über neuen Beschuss der Grenzstadt Graiworon berichtet. Dort waren am Montag von ukrainischer Seite schwer bewaffnete Kämpfer mit Militärtechnik eingedrungen. Mehr als 70 Angreifer seien «vernichtet» worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.


Scholz: Kein kalter Frieden entlang jetziger Front

BERLIN: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Russland davor gewarnt, auf ein Einfrieren des Krieges gegen die Ukraine entlang des bisher eroberten Territoriums zu setzen. «Russland muss verstehen, dass es nicht darum gehen kann, eine Art kalten Frieden zu schließen - indem etwa der nun bestehende Frontverlauf zur neuen «Grenze» zwischen Russland und der Ukraine wird. Das würde Putins Raubzug nur legitimieren», sagte er dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Freitag). «Es geht vielmehr um einen fairen Frieden, und Voraussetzung dafür ist der Rückzug von russischen Truppen.»

Offen ließ der Kanzler die Frage, ob dies auch für die seit 2014 von Russland besetzte Halbinsel Krim gelte. Auf die Frage, ob seine Bedingung auch für die Krim gelte, bekräftigte er lediglich seine Aussage: «Der Rückzug von Truppen. Es ist nicht unsere Sache, anstelle der Ukraine zu formulieren, welche Vereinbarungen sie treffen will.» Scholz benutzte die unbestimmtere Formulierung «Rückzug von Truppen» und nicht etwa «Rückzug der Truppen», worunter verstanden werden könnte: aller Truppen.

Scholz wich auch der Frage aus, ob der russische Präsident Wladimir Putin stürzen müsse. «Ich halte nichts von solchen spekulativen Fragestellungen. Es wird am Ende eine Vereinbarung zwischen den Regierungen in Moskau und Kiew geben müssen», sagte der Kanzler. Sein letztes Telefonat mit dem Kremlchef sei schon einige Zeit her. «Ich habe aber vor, zu gegebener Zeit auch wieder mit Putin zu sprechen.»


Russland bringt Aufteilung der Ukraine mit der EU ins Gespräch

MOSKAU: Russland wäre zu einem dauerhaftem Frieden in der Ukraine nach eigenen Angaben erst dann bereit, wenn es sich den Großteil des angegriffenen Nachbarlands einverleibt hat. Der Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, skizzierte am Donnerstag drei nach seiner Darstellung wahrscheinliche Szenarien für den Ausgang des Krieges. In der von ihm bevorzugten Variante würden westliche Regionen der Ukraine mehreren EU-Staaten zugeschlagen und die östlichen Russland, während die Einwohner der zentralen Gebiete für den Beitritt zu Russland stimmen.

Bei diesem Ausgang «endet der Konflikt mit ausreichenden Garantien, dass er auf lange Sicht nicht wieder aufgenommen wird», schrieb Medwedew im Online-Dienst Telegram. Sollte hingegen ein unabhängig gebliebener Teil der Ukraine der EU oder der Nato beitreten, sei mit einem Wiederaufflammen der Kampfhandlungen zu rechnen, «mit der Gefahr, dass es schnell in einen vollwertigen dritten Weltkrieg übergehen kann», behauptete der Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin.

Bei einem für Moskau nach Medwedews Worten «temporär» annehmbaren Szenario würde die Ukraine im Zuge des Krieges vollständig zwischen EU-Ländern und Russland aufgeteilt, während in Europa eine ukrainische Exil-Regierung gebildet würde. Andere Varianten als diese drei seien nicht realistisch, «das ist allen klar», behauptete Medwedew - auch wenn es einigen im Westen «unangenehm» sei, dies zuzugeben. Die Ukraine bezeichnete er als «sterbenden Staat», der infolge eines verlorenen militärischen Konflikts zerfallen werde.

Russland führt seit mehr als 15 Monaten einen zerstörerischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dabei erleiden die russischen Truppen nach westlicher Einschätzung hohe Verluste und konnten nur Regionen im Osten und Süden des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Die vom Westen unterstützte Ukraine will kämpfen, bis russische Truppen aus den besetzen Gebieten vertrieben sind. Die lange erwartete Gegenoffensive hat nach ukrainischer Darstellung bereits begonnen.

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