Prozess gegen Ex-Kanzler Kurz

Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Sebastian Kurz in Interlaken. Foto: epa/Anthony Anex
Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Sebastian Kurz in Interlaken. Foto: epa/Anthony Anex

WIEN: Die einen waren Fans, die anderen haben ihn mit Misstrauen verfolgt. Als Kanzler hat Sebastian Kurz hat polarisiert. Ein Prozess um mögliche Falschaussage rückt den 37-Jährigen erneut ins Rampenlicht.

Rund zwei Jahre nach seinem Rücktritt als österreichischer Kanzler muss sich Sebastian Kurz seit Mittwoch vor dem Landgericht Wien wegen des Verdachts der Falschaussage verantworten. Der 37-Jährige hat nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft im Untersuchungsausschuss zur sogenannten Ibiza-Affäre zur «mutmaßlichen Käuflichkeit» der damaligen Regierung aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ gelogen. So soll der konservative Ex-Regierungschef deutlich mehr Einfluss auf die Berufung seines Vertrauten Thomas Schmid zum Chef der Staatsholding Öbag gehabt haben, als er vor dem Ausschuss zugegeben hat.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die neben Kurz zwei weitere Verdächtige umfasst, hat 108 Seiten. Zum Prozessauftakt zeichnete Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic das Bild einer von Partei- und Machtpolitik geleiteten Postenvergabe zwischen ÖVP und FPÖ rund um die einflussreiche Staatsholding Öbag, die laut Bilanz 2022 ein Vermögen von 30 Milliarden Euro mit mehreren Unternehmensbeteiligungen managte. Kurz habe die Strippen gezogen, sowohl bei der Frage des Chefpostens als auch bei der Besetzung der Aufsichtsräte, sagte Adamovic.

Der damalige Finanzminister Hartwig Löger habe nur Personalvorschläge liefern dürfen, aber das letzte Wort habe der Kanzler gehabt, so der Anklagevertreter. Zur Aussage von Kurz im U-Ausschuss, er sei informiert, aber nicht eingebunden gewesen, sagte Adamovic: «Diese Aussage ist falsch.» Kurz habe im Ausschuss unbedingt den Eindruck vermeiden wollen, dass er Akteur gewesen sei. «Das sind keine harmlosen Halbwahrheiten, das sind Unwahrheiten», sagte Adamovic.

Kurz bestreitet die Vorwürfe vehement. Sein Anwalt spricht von einer «bloßen Anhäufung von Scheinargumenten.» Die Verteidigung von Kurz plädierte für einen Freispruch.

Auf das Delikt stehen bis zu drei Jahre Haft. Der Prozess ist zunächst auf drei Tage anberaumt, dürfte aber deutlich länger dauern. Das Medien-Interesse ist enorm. Rund 100 Journalisten haben sich für den Prozess angemeldet. Mindestens 21 Zeugen, darunter Ex-Vizekanzler und ehemaliger FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der ehemalige Kurz-Vertraute Thomas Schmid sollen vor Gericht auftreten.

Der Prozess gegen Kurz gehört zur Aufarbeitung der Regierungsära aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ von 2017 bis 2019. Die Koalition zerbrach 2019 nach der Veröffentlichung eines auf Ibiza heimlich aufgenommenen Videos. Darin wirkte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anfällig für Korruption. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss sollte Hinweisen auf Korruption in der Regierung Kurz nachgehen.

Noch vor Prozessbeginn äußerte sich Kurz vor Journalisten. Dabei zeigte er sich zuversichtlich. «Ich hoffe doch auf ein faires Verfahren und darauf, dass sich am Ende des Tages die Vorwürfe als falsch herausstellen», so der Ex-Politiker. Er kritisierte zugleich, dass die Ermittlungen politisch beeinflusst sein könnten. «Ich halte es für sehr bedenklich, dass immer mehr versucht wird, mit Anzeigen Politik zu machen.»

Einen Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen ihn wies Richter Michael Radasztics zurück. Das von Kurz' Anwälten unterstellte Vertrauensverhältnis zu einem politischen Gegner des Ex-Kanzlers existiere nicht.

Die Staatsanwaltschaft meinte zum möglichen Motiv einer Falschaussage, dass Kurz als Kanzler - zum Zeitpunkt der Aussage im Juni 2020 sehr populär - einen Reputationsschaden für sich und seine ÖVP habe verhindern wollen. Der junge Regierungschef habe den Bürgern einen «neuen Stil» versprochen, in den das Bild von Begünstigungen bei Postenvergaben nicht gepasst hätte.

Kurz war im Herbst 2021 vom Amt des Kanzlers zurückgetreten und hatte sich wenig später ganz aus der Politik verabschiedet. Er betreibt inzwischen ein Cybersecurity-Unternehmen mit 50 Angestellten in Tel Aviv sowie eine Beratungs- und eine Investmentfirma. Über die Kosten des Verfahrens muss er sich keine Sorgen machen. Die ÖVP trägt alle Ausgaben für die Verteidigung ihres ehemaligen Parteichefs.

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