«Klima der Angst» - Journalistenmorde

Afghanischer Journalist in Kandahar getötet. Foto: epa/Muhammad Sadiq
Afghanischer Journalist in Kandahar getötet. Foto: epa/Muhammad Sadiq

KABUL: Mit dem Beginn der afghanischen Friedensgespräche waren viele Hoffnungen verbunden. Doch eine Serie gezielter Morde erschüttert das Land, auch Journalisten sind bedroht. Zwei prominente Reporter finden deutliche Worte.

Ein halbes Dutzend Handys liegt auf dem Schreibtisch von Bilal Sarwari. Ständig klingelt eins der vielen Telefone. Kaum ein Journalist ist so gut vernetzt in Afghanistan. Das macht auch ihn zum Ziel von Feinden der Pressefreiheit. «In Kabul ist man heutzutage nirgendwo mehr sicher», erzählt Sarwari in seinem neu eingerichteten Büro. «Ich kann mir keinen Ort vorstellen, wo man tagsüber oder nachts hingehen und seine Arbeit machen kann.»

Eine Serie gezielter Morde erschüttert das Land und die Hauptstadt Kabul. Betroffen sind Journalisten, Menschenrechtler, Frauen in öffentlichen Ämtern und Anhänger der Regierung. Die Täter bleiben im Verborgenen, kaum ein Verbrechen wird aufgeklärt. Verdächtigt werden die islamistischen Taliban und Kriminelle. Aber auch die Regierung selbst wurde schon beschuldigt, Kritiker beseitigen zu wollen. Es herrsche ein «Klima der Angst», erklärt der 37-Jährige.

«Diese Morde und Attentate bringen den Afghanen eine moralische und psychologische Niederlage bei», sagt Sarwari. «Wir waren mal eine sehr widerstandsfähige Nation. Wir waren zäh, wir waren hart. Aber heute habe ich das Gefühl, sind wir so gleichgültig geworden.» Dass die Attentäter oft erfolgreich seien, zeige ein massives Versagen der Sicherheitskräfte und Geheimdienste, meint Sarwary. Doch der erfahrene Journalist will bleiben.

Während Sarwari an einem unbekannten Ort der Hauptstadt ausharrt, haben bereits viele Reporter das Land verlassen. 17 afghanische Journalistinnen und Journalisten seien in den vergangenen Monaten gegangen, berichtet die lokale Medienorganisation Nai. Elf Medienschaffende wurden 2020 ermordet, viele eingeschüchtert. In emotionalen Videostatements melden sich Journalisten aus dem Exil und werfen der Regierung Versagen vor.

Wer bleibt, ist sich der Gefahren bewusst. Anisa Schahid ist eine von ihnen. Die bekannte TV-Journalistin wurde für ihre Berichte aus Afghanistan von der Organisation Reporter ohne Grenzen ausgezeichnet. «Die Regierung hat nichts für Journalisten getan», beklagt die 34-Jährige. «Vielleicht werde ich getötet», sagt die Journalistin. Aber weil ihr die Leute vertrauen, will sie weiter arbeiten, trotz der Hinweise auf mögliche Mordanschläge.

«Journalisten verstehen, dass es eine sehr ernste Bedrohung für sie gibt, aber sie kommen und arbeiten», sagt Schahid. Um sich zu schützen, ändert sie ihre Routinen. Ihr Bürokomplex beim TV-Sender Tolonews gleicht einer Festung. Viele Kollegen blieben inzwischen auch öfter zuhause, erzählt die Journalistin. Wie auch andere Frauen in Afghanistan fürchtet Schahid, dass viele Freiheiten bei den Friedensverhandlungen mit den Taliban verloren gehen.

Zwar dementierten die Taliban eine Beteiligung an den jüngsten Journalistenmorden, doch Experten machen die Gruppe oft dafür verantwortlich. Auch das US-Militär warf der militanten Gruppe vor, die gezielten Morde in Auftrag zu geben. Die Islamisten wollten mit den Anschlägen Angst und Schrecken verbreiten und Afghanistans Zivilgesellschaft schwächen, um ihre Position bei den Verhandlungen mit der Regierung in der katarischen Hauptstadt Doha zu stärken, so der Vorwurf.

«Afghanistan kann diesen Krieg mit Ehrlichkeit gewinnen», sagt Sarwari und meint damit auch eine Aufklärung der vielen Verbrechen. «Das Einzige, was wir wollen, ist ein Waffenstillstand.» Der Journalist warnt davor, dass der Friedensprozess mit den Islamisten scheitern kann, sollten die internationalen Streitkräfte überstürzt abziehen. «Dann wird es einen Völkermord geben und sie werden dafür verantwortlich sein.»

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