Kehrtwenden und Katzenjammer in Portugals Wahlkampf

Antonio Costa, portugiesischer Regierungschef und Generalsekretär der Sozialistischen Partei (PS), winkt während einer Wahlkampfveranstaltung in einem Außenbezirk von Lissabon. Foto: Armando Franca
Antonio Costa, portugiesischer Regierungschef und Generalsekretär der Sozialistischen Partei (PS), winkt während einer Wahlkampfveranstaltung in einem Außenbezirk von Lissabon. Foto: Armando Franca

LISSABON: Portugals Regierungschef Antonio Costa hatte die Latte hoch gelegt. Nichts weniger als die absolute Mehrheit sollte es sein. Doch Umfragen deuten nicht darauf hin. Und Katzen spielen auch eine Rolle.

Portugal wählt am Sonntag ein neues Parlament, aber wer danach eine Regierung bilden kann, ist Umfragen zufolge noch völlig offen. Die sozialistische Partei PS von Regierungschef António Costa kann demnach nur mit 37 Prozent der Stimmen rechnen. Nicht genug für das bisher von ihm angepeilte Ziel der absoluten Mehrheit der Parlamentssitze. Stattdessen machen sich die konservativ orientierte Sozialdemokratische Partei PSD und ihr Spitzenkandidat Rui Rio Hoffnungen. Sie verbesserte sich von 26 Prozent im vergangenen Herbst auf nun rund 33 Prozent.

Costa vollzog daraufhin eine 180-Grad-Wende und umwarb seit dieser Woche kleinere Parteien aus dem linken Spektrum, mit deren Unterstützung er schon vorher seine Minderheitsregierung über Wasser gehalten hatte. Portugiesen bezeichnen das lose Links-Bündnis von Costas PS mit dem marxistischen Linksblock BE und dem grün-kommunistischen Bündnis CDU spöttisch «Geringonça» (Klappergerüst). CDU und BE liegen in den Umfragen bei je fünf Prozent. Und auch die kleinere Tier- und Umweltschutzpartei PAN nannte Costa als möglichen Partner.

Der Oppositionelle Rio spannte daraufhin «Zé Albino» als Wahlkampfhelfer ein. Auf Twitter postete er ein Bild seiner Katze, die auf einer Stuhllehne liegend recht skeptisch in die Kamera schaut. «Zé Albino ist verzweifelt über die Annäherung zwischen PAN und PS», schrieb er dazu. Die Antwort von PAN-Chefin Inês Sousa Real ließ nicht lange auf sich warten. «Nicht eifersüchtig sein. Zé Albino stimmt sowieso für PAN.»

Die extreme Rechte - das ist in Portugal die Partei Chega (Es reicht), deren Vorsitzender André Ventura ist. Bei der Parlamentswahl 2019 kam die Partei auf 1,3 Prozent der Stimmen, was Ventura erstmals den Einzug ins Parlament ermöglichte. Nun könnte die Protestpartei, die vor allem von der sozialen Unzufriedenheit der mittleren Unterschicht profitiert, auf sieben Prozent kommen und somit sogar drittstärkste Kraft in der «Assembleia da República» - dem portugiesischen Parlament - werden.

Rio hat zwar eine Koalition mit Chega ausgeschlossen. Politikprofessor André Freire hält es aber für möglich, dass die PSD mit der neuen Partei Liberale Initiative eine Minderheitsregierung bilden könnte und sich dann von Fall zu Fall von Chega unterstützen lässt. Der Universitätsprofessor und Journalist Carlos Magno gibt jedoch zu bedenken, dass die Bildung einer konservativen Regierung gerade daran scheitern könnte, dass die Rechtspopulisten zu stark werden - weil Chega laut Umfragen vor allem der PSD Wähler abwirbt.

Costa führte seit 2015 zwei Minderheitsregierungen, die von linken Parteien unterstützt wurden. Bei der letzten Wahl im Herbst 2019 hatte seine eher sozialdemokratisch als sozialistisch eingestellte Partei 36,3 Prozent bekommen und somit 108 Sitze errungen. Bei der Abstimmung über den Haushaltsentwurf für 2022 votierten diese linken kleinen Parteien aber zusammen mit der konservativen Opposition Anfang November überraschend geschlossen dagegen. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa rief daraufhin Neuwahlen aus. Der Linksblock BE, die Kommunisten PCP und die Grünen PEV hatten auch mit Blick auf die milliardenschweren Corona-Hilfen der EU mehr Sozialausgaben im Etat 2022 gefordert. Costa aber wollte seine zurückhaltende Ausgabenpolitik nicht aufgeben.

Trotz Ausgabendisziplin und Minderheitsregierung gelangen Costa bemerkenswerte Erfolge. In seinen ersten vier Amtsjahren (2016-2019) lag Portugals Wirtschaftswachstum zum Teil deutlich über dem EU-Schnitt. Dann kam die Pandemie, die Lissabon aber auch größtenteils bravourös meisterte. Im gesundheitlichen Bereich, etwa mit einer der höchsten Impfquoten weltweit, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht: Die Arbeitslosenrate war zuletzt mit 6,3 Prozent im EU-Mittelfeld, und deutlich besser als in anderen Ex-Euro-Krisenländern wie Spanien (13,3) oder Griechenland (13,4).

In Europa war lange vom «portugiesischen Wunder» die Rede. Der gelernte Jurist Costa versuchte sich auch daran, soziale Verantwortung zu zeigen. Den monatlichen Mindestlohn erhöhte er von 505 auf zuletzt 705 Euro. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete ihn in einer am Dienstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Aveiro gezeigten Videobotschaft als «einen unermüdlichen Verfechter der sozialen Gerechtigkeit».

«Costa ist es eigentlich leid, mit der Linksblock-Führerin Catarina Martins zu verhandeln», meint Magno. Aber er stehe vor einem Dilemma. Wenn er die absolute Mehrheit - für die er nach Schätzungen am Sonntag etwa 41 Prozent und einen guten Vorsprung vor der PSD benötigt - verpassen sollte, muss er weiter mit linken Parteien regieren. «Ich denke, wir stehen vor einer Zeit mit einem instabilen Gleichgewicht», sagt der Professor.

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