LISSABON: Portugal galt lange als Bollwerk gegen Rechtsextreme. Doch Korruption, Wohnungsnot und andere sozialwirtschaftliche Probleme könnten diesem Status bei der Parlamentswahl ein endgültiges Ende setzen.
Bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Portugal droht den seit mehr als acht Jahren regierenden Sozialisten (PS) eine Niederlage. Rund 10,8 Millionen Stimmberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, die 230 Abgeordneten der «Assembleia da República» neu zu wählen. Fast alle Umfragen sagten im Vorfeld einen kräftigen Rechtsruck mit nennenswerten Stimmengewinnen für die Populisten von Chega (Es reicht) voraus - sowie eine sehr schwierige Regierungsbildung in den nächsten Wochen.
Am frühen Nachmittag lag die Wahlbeteiligung mit 25,2 Prozent knapp zwei Punkte höher als jene bei der Parlamentswahl Anfang 2022 zum gleichen Zeitpunkt, wie die Wahlbehörde CNE in Lissabon mitteilte. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa hatte die Neuwahl im November ausgerufen, nachdem der sozialistische Ministerpräsident António Costa wegen eines Korruptionsskandals zurückgetreten und nur geschäftsführend im Amt geblieben war.
Den Umfragen nach könnte sich das konservative Bündnis Demokratische Allianz (AD) von Spitzenkandidat Luís Montenegro mit 30 bis 35 Prozent der Stimmen knapp gegen die Sozialisten von Pedro Nuno Santos durchsetzen. Die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament, die die Sozialisten 2022 errungen hatten, werden die beiden Hauptkonkurrenten demnach allerdings um Längen verpassen. Eine «große Koalition» gilt als ausgeschlossen. Der Wahlsieger wird wohl auf kleinere Parteien angewiesen sein. Angesichts einer sich abzeichnenden schwierigen Regierungsbildung prophezeiten Beobachter bereits eine Neuwahl im Sommer.
Der Hauptgrund: Die rechtspopulistische Partei Chega des früheren TV-Sportkommentators André Ventura wird den Umfragen zufolge nennenswerte Stimmengewinne erzielen, sich von gut 7 auf 15 bis 20 Prozent verbessern können und zum «Königsmacher» avancieren - mit Chega wollen aber weder Montenegro noch Santos verhandeln. In Portugal gibt es - ähnlich wie in Deutschland gegenüber der AfD - weiterhin eine sogenannte Brandmauer nach rechts.
Im In- und Ausland wurde der frühere Erfolg der Sozialisten als das «portugiesische Wunder» gefeiert. Nach der Euro-Schuldenkrise hatte Costa das einstige EU-Sorgenkind jahrelang sehr solide geführt. Ausgabendisziplin, aber auch soziale Verantwortung zeichneten seine Arbeit aus. Die Wirtschaft wuchs all die Jahre fast immer über EU-Schnitt, die Arbeitslosigkeit wurde stetig zurückgeschraubt.
Gleich mehrere Korruptionsskandale unter anderem bei der staatlichen Airline TAP setzten der Erfolgsgeschichte ein Ende. Auf dem Höhepunkt sah sich Costa im November mit Korruptionsvorwürfen bei Lithium- und Wasserstoff-Projekten konfrontiert. Nach aktuellem Ermittlungsstand hat sich der 62-Jährige persönlich aber nichts zuschulden kommen lassen.
Die Wahl war zudem von sozialwirtschaftlichen Problemen wie Wohnungsnot und Inflation geprägt, die das Niedriglohnland besonders hart treffen - und die laut Beobachter auch den Nährboden für den Rechtsruck bieten. Seit Ende der Pandemie wird Portugal von einer zunehmenden Streikwelle überrollt: Ärzte, Lehrer, Polizisten und viele andere protestieren immer lauter.