Geprellt

übersetzt von Dr. Christian Velder

Geprellt

Eine Nudel-Verkäuferin in mittleren Jahren hatte ein Boot, mit dem sie die Bauernhäuser an den Wasserläufen besuchte, um dort ihre Speisen feilzubieten. In ihrem Boot gab es außer Nudeln auch Bananen und allerlei Süßzeug für ihre Kunden.

Einmal ruderte sie zu der Wasserstelle unterhalb eines Tempels, band an der Holzleiter, die zum Tempel hinaufführte, ihr Boot fest und bot ihre Speisen feil. Aber Geschäfte konnte sie diesmal dort nicht machen, und so paddelte sie mit ihrem Boot weiter und fuhr hinein in einen Bewässerungskanal, der etwas abseits lag und einsam, denn Dörfer gab es kaum an seinen Ufern, höchstens hie und da eine Hütte oder einen Unterstand.

Langsam und stetig fuhr sie dahin. Da hörte sie vom Uferdamm die Stimme eines Mannes:

“Grossmütterchen, wo fährst du hin, was hast du schönes zu verkaufen, halt’ doch mal an!”

Die Frau lenkte ihr Boot ans Ufer und legte längsseits an. Sie sagte:

“Nudeln hab’ ich, Chiliwürze dazu und Sosse, auch Sagospeise in Kokosmilch und frisch geröstete knusprige Bananen zum Nachtisch, die sind noch ganz warm – was möchtest du denn haben”

“Ich möchte einen Napf Nudeln mit Chilisosse und dazu einen Teller heißer Röstbananen, reich’ mir das mal herauf!”

Die Frau beeilte sich, das Bestellte aufzutun und gab es dann dem Mann hinauf. Der hockte sich nieder und sprach mit großem Appetit den leckeren Speisen zu.

Während er ass, kam er mit der Frau ins Gespräch. Ein Wort gab das andre, und als er alles aufgegessen hatte, fragte er:

“Grossmütterchen, du paddelst hier ganz allein diesen einsamen Kanal entlang, hast du denn keine Angst vor Überfällen, vor Räubern, die es auf dein Geld abgesehen haben”

Die Frau gab lachend zur Antwort:

“Ich fürchte mich nicht. In dieser Gegend verkaufe ich meine Speisen schon seit Jahren, seit Jahrzehnten gar. Nichts ist mir passiert in dieser langen Zeit, warum fragst du”

Der Mann erwiderte:

“Vor ein paar Tagen kam hier eine Verkäuferin vorbei, und dieser Frau hat ein Dieb vor ihren Augen und in ihrem Angesicht mir nichts dir nichts die Röstpfanne entwendet, in der sie gerade ihre Bananen gegart. Diese Verkäuferin, Grossmütterchen, warst doch nicht etwa du”

Die Frau wurde neugierig. Sie wollte wissen, wie jener Dieb es angestellt, der Frau die Röstpfanne zu stehlen. Sie fragte:

“Wie hat jener Räuber die Pfanne denn wegschnappen können, er auf dem Damm oben stehend und sie hier unten im Boot

Das kann ich nicht glauben. Es muss doch alles unter ihren Augen geschehen sein – und die Pfanne, die war doch glühend heiß mit all ihrem brutzelnden Öle.”

Der Mann lächelte und sprach:

“Du scheinst mir nicht zu glauben. Ich wollte dich ja nur zur Vorsicht mahnen. Wenn du mir dein Paddel zureichst, will ich dir gerne zeigen, wie es geschah, dann wirst du dich in Zukunft wohl mehr in acht nehmen!”

Die gute Frau wollte es wissen. Wie kann ein Dieb die heiße Pfanne voll siedendem Öl gegriffen haben Unmöglich! Sie reichte dem Manne ihr Paddel hinauf, er drehte es um und schob den Stiel blitzschnell durch die Haltegriffe der Pfanne links und rechts, hob sie geschickt aus dem Boot, schulterte seine Last und verschwand. Sie hörte seine Stimme:

“Grossmutter, Großmutter, so hat er es gemacht, das war sein Trick, gespürt von der Hitze der Pfanne hat er gar nichts.”

Er war fort, verschwunden im Walde. Die Frau musste sich zufrieden geben. Was half es, dass sie ihm nachrief:

“Heh, komm zurück, Söhnchen, komm zurück und halt’ mich nicht zum Besten, ich glaub’ es dir ja nun, wie jener es angestellt!”

Aber es zeigte sich, dass der Mann nicht mehr auftauchte. Die Frau hatte ihre Pfanne mit dem ganzen knusprigen Inhalt verloren und ihr Paddel auch, und obendrein hatte sie ihre Speisen umsonst hergeben müssen. Bezahlt hatte er nicht!


Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch „Der Reiche und das Waisenkind“ entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch „Der Richter Hase und seine Gefährten“ enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tier von Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

Sie können das Buch hier bestellen

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.