Einsiedler Ziegenauge

christian20velder
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In alter Zeit gab es einmal einen Einsiedler. Der hatte sich der Magie verschrieben. Er kannte die Eigenschaften der Erze und die Macht des Quecksilbers. Er vermochte es, Quecksilber zu verfertigen und damit Kupfer und Messing zu überkrusten oder gar Blei, bis sie wie Gold und wie Silber aussahen.

Der Ruhm des Einsiedlers verbreitete sich schnell, dass er ein Zauberkundiger, ein weiser Mann sei, wohlerfahren in den Wissenschaften und der Kunst der Verwandlung von Metallen. Die Kunde von des Einsiedlers Wundertaten erreichte auch drei Männer, deren Reichtum ihnen einst hohes Ansehen verschafft hatte. Die drei Reichen wendeten ihre Mittel dem Einsiedler zu, bis ihnen ihr Gold und ihr Silber zwischen den Fingern zerronnen und schliesslich ganz und gar verschwunden war, so dass sie wieder arm geworden, ehe noch das falsche Gold und das falsche Silber ihre Kassen wieder gefüllt.

Da das so war, ergriff die drei eine fürchterliche Wut auf den Einsiedler. Sie schickten ihre Leute aus, ihn zu ergreifen und ihm zur Strafe beide Augen auszureissen. Nicht nur das. sie liessen auch alle Zaubermittel und Wunderdinge einsammeln und alles zusammen in die Abfallgrube werfen.

Der Einsiedler musste grosse Schmerzen leiden. Er versuchte, seine Augenhöhlen zu heilen, und wirklich, der Schmerz liess allmählich nach. Er war erblindet. Seinen Mut liess er deshalb jedoch nicht sinken. Er wendete sich wieder der Metallkunde zu und forschte die Eigenschaften des Quecksilbers aus, nur noch eingehender und noch gründlicher als zuvor.

Eines Tages sah einer der Schüler des Einsiedlers einen hellen Schein, der sich in der Abfallgrube verbreitet hatte, und er berichtete seinem Lehrer davon. Der Einsiedler wusste nun, dass seine Metalle ausgereift waren. Der Schüler musste ihn führen, er sammelte alles auf und wusch und putzte es, bis es strahlte.

Der Einsiedler schickte seinen Schüler zu den drei Reichen und liess ihnen ausrichten, dass er nun sein Ziel erreicht. Sie sollten kommen mit Kupfer und Blei, er wolle es sieden, bis es sich in Gold und Silber verwandelt.

Gleichzeitig gab er seinem Schüler einen zweiten Auftrag. Er solle auf dem Markt die Augen eines gerade geschlachteten Tieres kaufen.

Der Schüler fragte überall nach, aber das Passende konnte er nicht finden. Schliesslich musste er sich bescheiden: er brachte seinem Lehrer ein einzelnes Rinderauge und ein Ziegenauge mit.

Der Einsiedler kochte nun Quecksilber mit Honig ein und salbte damit die beiden Tieraugen. Dann nahm er sie und liess sie in seine leeren Augenhöhlen gleiten. Oh Wunder! Sogleich kehrte seine Sehkraft zurück, er konnte seine Umwelt wieder wahrnehmen wie zuvor, nur eben auf der einen Seite mit einem Rinder- und auf der anderen einem Ziegenauge.

Danach schüttete er sein Quecksilber in eine Kupferpfanne, und sogleich glänzte sie auf, als wäre sie aus echtem Gold. Er goss Quecksilber in einen Bleitiegel, und da wirkte der Tiegel wie richtiges Silber. Die drei Reichen sahen das Ergebnis und staunten.

Als die Verwandlung der Metalle schliesslich vollendet war, wusste der Einsiedler, dass er nun hier nicht länger verweilen sollte. Er beschloss, seine Meditationsübungen anderswo fortzusetzen und flog auf und davon. Auf dem Berge Phra Sumen liess er sich nieder. Wenn er irgendeiner Sache bedurfte, so schuf er sie sich aus seiner übernatürlichen Kraft. Nie mehr musste er Mangel leiden.

Unter den Menschen wurde sein Andenken fürderhin bewahrt. Es ist das Andenken an den Einsiedler Ziegenauge.• • •

Der Jäger und der Mönch

In alter Zeit bescherte uns der Wald hier oben im Nordland alles, was wir zum Leben brauchten, Hausrat sowohl wie Nahrung.

Eines Tages ging ein Waldjäger in den Dschungel hinein, um Tiere zu fangen. Da traf er einen Einsiedlermönch. Dem kam der Jäger unheimlich vor, denn sein Handwerk war es, Tiere zu töten. An diesem Tage machte der Jäger keine Beute und war darob erzürnt. Er verfluchte den Mönch mit gemeinem Wort und spie seinen Schleim zu Boden.

Am nächsten Morgen zog der Jäger abermals aus, aber wiederum traf er auf den Einsiedler bei dessen Pilgerfahrt auf den Wegen des Waldes. Auch an diesem Tage hatte der Jäger keinen Erfolg.

Am dritten Tage nahm er seinen Fährtenhund mit. Aber kaum hatte er den Wald betreten, da stand wieder der Mönch vor ihm und verwehrte ihm den Weg. Der Jäger hetzte seinen Hund auf den frommen Mann. Aus Furcht vor dem Tier kletterte der auf einen Baum. Der Hund liess sich am Stamme des Baumes nieder und bewachte ihn. Er liess es nicht zu, dass der Mönch herunterkam. Da streifte dieser sein Obergewand ab und liess es zur Erde hinuntersegeln. Das Gewand verhüllte dem Jäger das Haupt, als er gerade zu seinem Hunde unter dem Baum herantreten wollte. Der Hund sah die vom Gewande des Einsiedlers ganz eingehüllte Gestalt auf sich zukommen, dachte, es sei der Mönch, auf den sein Herr ihn gehetzt, sprang auf und verbiss sich in den Jäger, bis er tot war.

Diese Geschichte hat einen Sinn: Wer Leiden sät, wird Schmerzen ernten.

Unsere Dorfgeschichten sind dem hübsch illustrierten Buch "Der Reiche und das Waisenkind" entnommen, herausgegeben von Christian Velder (Foto). Der deutsche Philologe mit Wohnsitz in Chiang Mai hat über viele Jahre thailändische Volkserzählungen übersetzt und gesammelt. Das Buch mit 120 Geschichten kostet 680 Baht. Velders Buch "Der Richter Hase und seine Gefährten" enthält reich illustrierte Volkserzählungen. Der kleine und zerbrechliche Hase gilt in Südostasien als ein Tier von Klugheit und List. Das Buch kostet 480 Baht. Beide Bücher sind in Pattaya erhältlich in den Buchläden DK an der Soi Post Office und der Central Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond, im Restaurant Braustube an der Naklua Road sowie in der FARANG-Geschäftsstelle an der Thepprasit Road.

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