Die dramatische Geburt eines Elefantenbabys

Ein Kapitel aus Bodo Försters Buch „Ein Leben für die Elefanten“

Sinan, „die Speerspitze“ von Elephant Special Tours.
Sinan, „die Speerspitze“ von Elephant Special Tours.

THAAILAND: Im Jahr 2000 startete Bodo Förster den zweiten Versuch, sein Unternehmen „Elephant Special Tours“ in Mae Sapok in Nordthailand zu etablieren. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis seine Arbeit mit Elefanten, finanziert durch Touristen, auf wirtschaftlich sicheren Füßen stand. Denn Thailand war in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends ein unruhiger Ort. Katastrophen wie Tsunami oder Vogelgrippe hielten die Touristen phasenweise ebenso fern wie die immer wieder aufflackernden politischen Unruhen.

Heute kann sich der Elefantenmann neben der Gegenwart auch der Zukunft widmen: Bodo will zwei Mutterherden aufbauen, um für seine Elefanten Bedingungen zu schaffen, wie sie die Wild­elefanten in der Natur vorfinden. Der Startschuss für dieses Projekt fiel am 30. Dezember 2017, wie er in seinem Buch „Ein Leben für die Elefanten“ schildert:

Die Geburt des Sinan

Am vorletzten Tag des Jahres 2017 erwartet Yaya, 15 Jahre jung, nach 22 Monaten Schwangerschaft ihr erstes Kalb. Es wird auch mein erstes «eigenes» Elefantenbaby sein. Vier Jahre ist es nun her, dass meine Frau Jana und ich in einer spontanen Aktion die Mutterkuh gekauft haben. Für die Geburt des Kalbs bin ich zum Jahresende vorzeitig vom Besuch meiner Familie aus Deutschland zurückgekehrt. Ich will dabei sein. Zwar ist eine Elefantengeburt etwas völlig Normales, auch für mich und meine Mitarbeiter – trotz allem kann eine Erstgeburt schon mal ein Kampf ums Überleben sein, für Mutter und Kalb.

Die ersten Wehen kommen, und die nächsten drei Nächte schlafe ich bei Yaya auf dem nackten Boden. Es ist arschkalt, wie immer im Dezember in Thailand. Ich bin drauf und dran, mir zum ersten Mal in meinem Leben ein Zelt zu nehmen. Doch dann denke ich: Das kannst du jetzt nicht machen. Du hast dich doch als Held erfunden! Als Jäger, nicht als Sammler, oder? Also kein Zelt.

Mama Yaya bietet den optimalen Schutz.
Mama Yaya bietet den optimalen Schutz.

Ich friere wie Sau.

Die Wehen erweisen sich jedoch als Fehlalarm, und so gehe ich über Weihnachten mit Kunden auf eine viertägige Tour mit Elefanten nach Laos.

In der Nacht zum 30. Dezember schlafe ich wieder in meinem Haus. Um halb vier morgens klopft es an der Tür. Mein Sohn Roger ruft: «Das Kalb kommt, hoch!» Wir laufen hin, und da ist es grad schon heraus. Ein Bulle!

Unsere Mahuts haben die Geburt live erlebt. Jetzt sind sie aufgeregt, schreien herum, auch vor Erleichterung. Im Oktober zuvor haben wir ein Kalb sehr unglücklich verloren. Da durfte diesmal nichts schiefgehen. Und deshalb sind alle unsere Mahuts am Start. Es gibt genug zu tun. Den kleinen Bullen müssen wir in den ersten vier Stunden dazu bringen, bei der Mutter zu säugen. Trinkt er nicht, stirbt er. Zunächst aber fordert uns die Mutter. Yaya tobt eine Stunde lang. Für sie ist alles neu, aufregend, beängs­tigend. Sie hatte ja nie die Chance, in und von der Natur zu lernen. Dort schützt die Leitkuh das frisch geborene Kalb. Und die Tanten, die alle Kinder und Kindeskinder der Leitkuh sind, beruhigen die Mutter nach der Erstkalbung. Eine Erstgebärende selbst hat schon bei anderen Geburten zugeschaut und gelernt.

Sinan heute: Auf den Spuren von Messi.
Sinan heute: Auf den Spuren von Messi.

Der beste Trainer des Elefanten ist immer der Elefant. Aber jetzt, in diesen Stunden, müssen wir die Leitkuh ersetzen. Mit drei Mann legen wir eine Decke unters Neugeborene, rechts und links und vorne, dann heben wir’s hoch und bringen es zur Mutter. Damit zumindest der erste Kontakt schon mal da ist.

Ein Kalb orientiert sich bei der Mutter immer nach hinten. Doch die Zitzen sitzen vorne. Also müssen wir das Junge nach vorne bringen und Yaya im selben Moment dazu bewegen, ein Bein nach vorne zu setzen. Sonst kann das Baby nicht trinken. Die Mutter macht das nicht intuitiv, es ist nicht angeboren. Deshalb trainieren wir das vorher. Doch in ihrer Panik nimmt Yaya keine Kommandos mehr wahr.

Wenn sich das Kalb akklimatisiert hat, wenn also die Körper- und Vitalfunktionen da sind, dann stecken wir ihm den Daumen in den Mund, oben am Gaumen, um den Saugreflex zu wecken. Elefanten trinken mit dem Mund, nicht mit dem Rüssel! Das für die Milchausschüttung maßgebende Hormon wird erst durchs Saugen aktiviert. Wie beim Menschen – wenn du das Baby nicht anlegst, schießt bei der Mutter keine Milch ein.

Unbedingtes Vertrauen in den Mahut.
Unbedingtes Vertrauen in den Mahut.

Nach weiteren zwei Stunden Kampf ist der Kleine an den Zitzen, das Colostrum schießt ein. Diese Erst- oder auch Biestmilch enthält in hohem Maße Proteine, Enzyme, Vi­-tamine, Mineralien, Wachstumsfaktoren, Aminosäuren und von der Mutter gebildete Antikörper, um das Kalb und sein Immunsystem zu stärken.

Als wir endlich durch sind, bin ich es auch. Ich strahle schon Autorität aus, das ist einfach so. Aber in dieser Nacht bin ich total fertig. Ich habe 12 Kälbern auf die Welt geholfen. Dieses ist mein 13., mein erstes eigenes, und ich weiß nichts mehr. Ich stehe daneben, gebe keine Anweisungen mehr, nichts. So muss das sein, wenn du stundenlang über fremde Kinder redest, aber wenn es um dein eigenes geht, kommt nix. Die Mahuts schauen mich fassungslos an. Auch Roger ist nach diesen vier Stunden fix und alle.

Für den Moment ist alles gut. Bis zum nächsten Stressfaktor. Die Nachwehen kommen und mit ihnen die Nachgeburt. «Sie kommt! Sie kommt!» Wir brauchen einen Eimer, sofort, damit sie nicht in den Dreck fällt. Oder in die Scheiße, das wäre wirklich blöd. Denn wir wollen das Blut der Plazenta ablecken und sie dann essen. Wir stürzen uns regelrecht drauf.

Es ist erst einmal ungewohnt, die Nachgeburt abzulecken. Aber das Blut eines Elefanten zu trinken – das macht dich stark. Du wirst Teil von ihm. Wir essen die Nachgeburt roh. Roger reicht mir das Messer, ich bin der Besitzer des Elefanten, mir gebührt der erste Schnitt. Mein Sohn ist nach mir dran. Er ist ja mit all dem Wahnsinn groß geworden, von Anfang an. Dass ich ein Freak bin, wusste er schon, da war er drei Jahre alt. Auch Natalie, unsere Geschäftsführerin, isst die Nachgeburt. Dann sind die Mahuts dran. Selbst unsere Praktikanten machen das in der Regel, auch wenn sie erst kurz bei uns sind.

Umsorgt und gehegt und von Yaya geküsst.
Umsorgt und gehegt und von Yaya geküsst.

Die Nachgeburt schmeckt nach nichts. Aber sie symbolisiert das neue Leben, es ist eine Form der spirituellen Begleitung: Wir begleiten das Kalb auf seinem Weg in die Welt. Durch das tägliche Zusammensein mit den Tieren bauen wir eine Verbindung auf, die ist so tief – Außenstehende können sich das nicht einmal vorstellen. Das Essen der Nachgeburt ist natürlicher Teil dieser Verbindung. Mehr noch: Wenn wir es nicht machen, sind wir todunglücklich.

Die erste Nacht nach der Geburt schlafe ich bei unserer Yaya und dem Kalb. Wir werden unseren kleinen Bullen Sinan nennen. Der Name kommt aus dem Arabischen und bedeutet «Eiserne Speerspitze». Wir schlafen in den nächsten Tag hinein. Silvester 2017. Noch ahnen wir nicht, dass uns ein ganz besonderer Jahreswechsel bevorsteht.

Fotos: Elephant Special Tours & Faszination Fernost/B. Linnhoff


Das Buch Ein Leben für die Elefanten: Wie ich mir in Thailand meinen Traum erfüllte von Bodo Förster und Co-Autor Bernd Linnhoff erzählt auf 320 Seiten die Geschichte des deutschen „Elefantenflüsterers“ Bodo Förster in Thailand und ist im Rowohlt-Verlag (ISBN: 2019 3644003130, 9783644003132) als Paperback (16,00 EUR) und eBook (12,99 EUR) erhältlich. Infos: Rowohlt.

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